Die Medizintechnik-Branche steckte in den letzten Jahren mitten in einer gigantischen Übernahmewelle. Die Besonderheit dabei: Während im Normalfall bei einer Übernahme in erster Linie der Aktienkurs des Kaufobjekts profitiert, gewinnen bei den Medtech-Deals auffallend häufig beide Titel. Als sich beispielsweise Anfang Oktober 2014 die beiden Katheterproduzenten Becton Dickinson & Co. und CareFusion zusammenschlossen, kletterten die Aktien des Käufers Becton um 13 Prozent und die Papiere des Übernahmekandidaten CareFusion sogar um 27 Prozent.
2014 kaufte Medtronic für knapp 43 Milliarden Dollar die Firma Covidien, den damals achtgrößten Medizintechnik-Hersteller der Welt. Medtronic stellt unter anderem Herzschrittmacher, Herzklappen und Insulinpumpen her. Covidien bietet vor allem chirurgische Instrumente an. Mit Covidien gewann Medtronic unter anderem erheblich an Größe, um in den USA im Ringen um Aufträge der Krankenhäuser vorne mitmischen zu können. Denn dort drücken die Gesundheitsreform und sinkende Erstattungsbeträge der Krankenkassen auf die Preise für Medizingeräte.
Streben nach Größe
Hinter den Fusionen steckt ein branchenweites Streben nach Größe, nach dem Aufbau von Unternehmen, die eine Vielzahl von Lösungen für den Klinik- und Ärztealltag aus einer Hand bieten. In dem Ende 2014 eröffneten Fiona Stanley Hospital in Perth mit 18 OPs und 22 Stationen war Siemens Healthcare für die gesamte Medizintechnik verantwortlich – von der Planung über die Beschaffung bis zum Management der Geräte und zum Anwendertraining. Der betreute Maschienenpark umfasst etwa 6.000 Geräte verschiedener Hersteller, vom CT-Scanner bis zum Monitoring-System.
Auch der Sandwell and West Birmingham Hospitals NHS Trust hat mit Siemens dieses Jahr einen Kooperationsvertrag im Wert von circa 50 Millionen Euro geschlossen. Die Partnerschaft geht über einen üblichen Managed-Equipment-Service-Vertrag hinaus: Integriert in das Team des Kunden wirken Fachleute von Siemens daran mit, die Abläufe in den Krankenhäusern zu optimieren und Technologie-Roadmaps zu entwerfen, die dafür sorgen, dass die verfügbaren medizinischen Systeme jederzeit die aktuellen Anforderungen erfüllen.
Medtech-Deals in Deutschland
Auch in Deutschland arbeiten Medizintechnikunternehmen immer öfter mit medizinischen Einrichtungen zusammen. So kooperieren seit August 2015 die Asklepios Kliniken Hamburg mit Samsung Health Medical Equipment (HME). Auszubildende zum Medizinisch-Technischen Radiologie Assistenten sowie Ärzte und Klinikpersonal können in der Fachschule für Radiologie den Umgang mit modernster digitaler Röntgentechnologie trainieren. Dafür stellt Samsung die Röntgensystemen GC85 und GF50 zur Verfügung. Das GC85 für Spezialuntersuchungen, wie etwa Ganzwirbelsäule- und Ganzbeinaufnahmen ist erst seit März 2015 auf dem Markt und zählt somit zur neuesten Gerätegeneration, die in der klinischen Praxis eingesetzt wird.
Der Herzschrittmacher-Spezialist Medtronic finanziert und richtet nicht nur ganze Operationssäle ein, sondern garantiert auch einen Fixpreis für bestimmte Eingriffe - zum Beispiel für das Einsetzen eines Herzschrittmachers. „Wir haben mittlerweile 80 langfristige Kooperationsverträge in 16 hauptsächlich europäischen Ländern abgeschlossen und managen mittlerweile weltweit rund 200 Katheterlabore und rund 90 Operationssäle“, erklärt Florian Distler, Business Director Integrated Health Solutions bei Medtronic. Ein aktuelles lokales Projektbeispiel sei dafür die Kooperation mit den Kliniken der Stadt Köln. Im Rahmen eines Betreibermodells übernimmt Medtronic dort den Betrieb der Kardiologie, Angiologie sowie der Diabetologie in der Klinik in Merheim.
Risiko und Verantwortung tragen alle Partner gemeinsam
Der Auftrag umfasst die Finanzierung der Infrastruktur und Medizintechnik mit einem Volumen von 32 Millionen Euro bei einer Laufzeit von 15 Jahren für sämtliche Baumaßnahmen. Außerdem übernimmt Medtronic sämtliche Wartungen und Beratungs- und Projektdienstleistungen zur Optimierung der klinischen Prozesse. „Von den aktuell zwölf in Deutschland laufenden Kooperationsverträgen stellt das Projekt in Köln das derzeit größte für uns dar“, stellt Distler fest. In Zukunft würde sich die Vergütung stationärer Behandlungen für Medizinprodukthersteller noch stärker an den Behandlungserfolgen der Therapien orientieren, glaubt der Kooperationsexperte. Und „Wir werden uns auch als Medizinproduktehersteller stärker – im Rahmen von erfolgsabhängigen Vergütungsmodellen und Garantien – messen lassen müssen“, blickt Distler in die Zukunft. Krankenhäuser, Krankenkassen und Hersteller müssten in derartigen Strukturen zwangsläufig noch enger kooperieren, denn Risiko und Verantwortung würden dann von allen Partnern gemeinsam getragen.
„In Zukunft vermehrt Komplettlösungen“
Für die Krankenhäuser wäre diese Entwicklung eine riesige Umstellung. Einheitliche Standards und Leistungsvergleiche standen für sie bisher nicht im Vordergrund. Auf der anderen Seite könnten Kliniken sich, wenn sie in bestimmten Bereichen durch Systempartner entlastet werden, verstärkt den ärztlichen und pflegerischen Leistungen widmen – und diese weiterentwickeln. Dass die Medizintechnikunternehmen Krankenhäusern in Zukunft vermehrt Komplettlösungen anbieten werden, prognostiziert auch Peter Vullinghs, CEO bei Philips für Deutschland Österreich und die Schweiz. „In Zukunft verkaufen wir als Philips nicht mehr nur Geräte an die Krankenhäuser, sondern bieten unsere Beraterdienstleistung an – gemeinsam mit den Klinikbetreibern bewerten wir den Gesamtkomplex Krankenhaus und erarbeiten Komplettlösungen“, so Vullinghs. Das starte mit einem Business Plan, gehe über die Analyse der Infrastruktur von Gebäuden und der Ausstattung bis hin zur IT, dem Coaching der Mitarbeiter und einer Finanzierungslösung.
Versorgung optimal steuern
Die Anforderungen verändern sich. Früher ging es in den Kliniken und Arztpraxen darum, ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Technologie zu haben. Heute geht es sehr viel mehr darum, die Versorgung des Patienten möglichst optimal zu steuern – von der Prävention über Diagnose und Therapie bis hin zur Pflege zuhause. Das niederländische Unternehmen Philips sieht sich dabei als Medizintechnik-Anbieter, der einen sehr breiten Bedarf besient. „Wir haben Fokus-Bereiche gewählt, in denen wir nicht nur Diagnose und Therapie sondern möglichst den kompletten Versorgungspfad abdecken wollen – von der Prävention über Diagnose und Therapie bis zur Nachsorge. Das sind die Themen „Onkologie“, „Schwangerschaft“ und „Nachsorge“, „Atmung“ und der Bereich „Kardiologie“. Diesen ganzheitlichen Versorgungsansatz nennen wir „Health Continnuum“, beschreibt Vullinghs die Unternehmensstrategie.


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