
Herr Wagner, Sie hatten zu Beginn des Deutschen Pflegetages noch gehofft, Jens Spahn würde die PPR 2.0 bei seiner Abschlussrede thematisieren und deren Einführung zum Jahresbeginn zustimmen. Das hat er nicht getan. Was heißt das für Sie?
Ich bin Optimist und sehe die Aussagen von Herrn Spahn als Gesprächsangebot an uns. Deshalb werden wir uns zeitnah noch einmal an ihn wenden. Wir haben unseren Auftrag aus der Konzertierten Aktion Pflege erfüllt und ein Interimsinstrument erarbeitet. Dieses wurde inzwischen um die Bereiche Pädiatrie und Intensivstationen ergänzt und auch an anderen Stellen schon nachgebessert.
Eigentlich war angedacht, dass sich das Ministerium nach Vorlage unseres Pflegepersonalbemessungsinstruments relativ schnell dafür oder dagegen entscheidet, sodass wir mit den Nachbesserungen hätten beginnen können. Durch die zum Teil Corona-bedingte Verzögerung hat sich der ganze ursprüngliche Zeitplan verschoben. Für uns war es aber auch von Anfang an selbstverständlich, dass der Feinschliff dann im Dialog mit dem Ministerium und den Kassen erfolgen muss. Wichtig ist, dass endlich ein Signal in die Berufsgruppe hineinkommt, dass sich etwas verbessern wird. Und ich setze hier optimistisch auf den Willen des BMG.
Am 25. November fand – auf Antrag der Fraktion Die Linke – eine Anhörung im Gesundheitsausschuss zur Pflegepersonalbemessung statt. Wie ist der aktuelle Stand?
In den Ausschüssen werden keine Beschlüsse gefasst. Es gab viele Fragen und Missverständnisse wurden deutlich, die zum Teil geklärt werden konnten. Wir konnten erläutern, wie weit die PPR 2.0 zurzeit gediehen sind und die Kritiker betonten nochmals, welche Schwachstellen es ihrer Ansicht nach noch gibt. Es war wieder die klare Ablehnung seitens der Krankenkassen gegenüber den PPR 2.0 zu spüren. Von den Kassen kam erneut der Vorschlag, ein komplett neues Instrument zu entwickeln – und das sei angeblich in nur zwei Jahren zu schaffen.
Ich bin überzeugt, dass dies nicht gelingt und die Entwicklung eher vier Jahre dauern wird – das hat die Erarbeitung eines Personalbemessungsinstruments in der stationären Pflege gezeigt. Und dann käme noch on top die Einführungszeit hinzu. Wir brauchen aber jetzt schnell eine konkrete politische Zielvorgabe als Zeichen für die Berufsgruppe, dass der Wille da ist, etwas zu tun und die Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern, wenn wir Pflegefachpersonen im Beruf halten wollen. Denn diese haben wenig Vertrauen in die Politik. Schließlich warnen wir schon seit fünfzehn Jahren vor einem Fachkraftmangel. Die demografische Entwicklung innerhalb des Berufstandes – in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren werden ungefähr vierzig Prozent der Pflegekräfte in Rente gehen – ist schon lange bekannt; das allein sind eine halbe Million Pflegefachpersonen.
Ich habe die Befürchtung, dass nach der Pandemie die Anzahl derer weiter steigen wird, die sagen: `Jetzt ist es gut. Während der Pandemie habe ich noch durchgehalten, aber jetzt kehre ich der Pflege den Rücken.´ Gepaart mit dem Wissen, dass der Lockdown im Frühjahr und der jetzige Teil-Lockdown seinen wirtschaftlichen Tribut fordern wird, ist das eine explosive Mischung.
Es dürfte jedem klar sein, dass nicht mehr allzu lange Geld da sein wird, um wie heute jede zusätzliche Stelle in der Pflege im Krankenhaus zu bezahlen. Bessere Arbeitsbedingungen scheinen damit ohne verbindliche Personalbemessung noch weiter in die Ferne zu rücken. Hier ist eine klare politische Positionierung notwendig! Denn wir werden auch nicht in signifikantem Umfang Pflegefachpersonen motivieren können, in ihren Beruf zurückzugehen, wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert.
Warum sträubt sich das BMG so gegen diese von Ihnen, Verdi und der DGK vorgeschlagene Interimslösung?
Ich glaube, das BMG würde gerne eine Lösung haben, der auch die Kassen zustimmen. Bei unserer vorsichtigen Bewertung des Pretests zu den PPR 2.0 kam heraus, dass zwischen 40.000 und 80.000 Vollzeitstellen fehlen. Diese müssen am Ende aber auch finanziert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Befürchtung besteht, dass die Kassen Alarm schlagen und mit der Forderung kommen, die Kassenbeiträge zu erhöhen. Das wäre zu kurz gedacht, da die Folgekosten für eine schlechte Versorgung nicht berücksichtigt würden.
Und seien wir mal ehrlich: Die Pflegepersonaluntergrenzen (PPUG) dienen ja nicht der Sicherung einer angemessenen Qualität der Patientenversorgung. Sie sollen nur das Schlimmste verhüten. Die Versorgung im Rahmen der Untergrenzen ist in den Kliniken mit vorher niedrigerem Personalschlüssel vielleicht weniger schlecht, aber ob das sicher für die Patienten ist, kann keiner beantworten. Die Zahlen zeigen, dass dafür in Bereichen, für die noch keine Untergrenzen gelten, Personal abgezogen wird. Es fehlt einfach ein korrespondierendes Instrument. Die Personalausstattung für eine Versorgung auf einem Niveau, wie es das Sozialgesetzbuch verlangt, ist bisher nicht definiert.
Sie postulieren, dass die PPR 2.0 schnell umsetzbar wären. Wie schnell denn genau?
Innerhalb von ein paar Monaten wären die Krankenhäuser soweit, dass sie zumindest die Einstufung nach den PPR 2.0 machen könnten und wir hätten dann schon einmal Zahlen, um den Personalbedarf zu ermitteln. Wenn der Minister das Instrument noch weiter erproben will, gibt es auch dafür Optionen. Doch wir müssen jetzt endlich starten.
Und parallel dazu, muss noch in dieser Legislaturperiode der gesetzliche Auftrag für ein Instrument erteilt werden, das danach kommt. Denn dieser ganze Prozess braucht enorm viel Zeit – allein die Ausschreibung und die Vergabe. Mein Vorschlag: Wir starten jetzt zeitnah mit den PPR 2.0 und nach der Wahl evaluieren wir, ob sie eingeführt werden könnten. Zeitgleich beginnen wir mit der Entwicklung eines langfristigen Personalbemessungsinstruments und legen dafür noch vor der Wahl den gesetzlichen Grundstein.
Es dürfte allen Beteiligten klar sein, dass was jetzt nicht mehr auf den Weg gebracht wird, in dieser Legislatur auch nicht mehr passieren wird. Daher muss noch in dieser Legislaturperiode der gesetzliche Auftrag für ein Instrument erteilt werden, das danach kommt. Ob dann die bestehende Konstellation weiterentwickelt wird oder man einen ganz anderen Ansatz findet, kann man dann entscheiden.
Was würde die Einführung der PPR 2.0 denn für die Krankenhäuser bedeuten? Ich glaube ein weiteres Mehr an Bürokratie ist schwer vermittelbar.
Die PPR 2.0 würden kaum zusätzlichen Dokumentationsaufwand mit sich bringen. Wenn jemand Routine hat, sind das – auch je nach Digitalisierungsgrad des Krankenhauses – ein paar Minuten, um den täglichen Bedarf zu ermitteln. Aus unserer Sicht ist das eine absolut lohnenswerte Kosten-Nutzen-Konstellation. Wenn anhand dieser Erfassung am Ende verlässlich erkennbar ist, dass ein Mehr an Personal nötig ist, dann rentiert sich der Aufwand.
An einigen Krankenhäusern funktioniert die Auswertung auch mit den gängigen Systemen schon per Knopfdruck. Die IT-Anbieter versichern, dass diese Schnittstelle bei allen Systemen machbar bzw. bereits vorhanden ist. Vielleicht kann das auch ein Anlass für Häuser sein, die Digitalisierung voranzutreiben. Die Mittel dafür werden derzeit vom BMG auch zur Verfügung gestellt.
Zum 1. Februar 2021 gelten für weitere Bereiche Pflegepersonaluntergrenzen. Geht das nicht an Ihrem eigentlichen Ziel den PPR 2.0 vorbei? Würden diese eingesetzt, wären die PPUG doch obsolet, oder? Ist das ein weiteres Zeichen, dass Spahn die PPR 2.0 nicht will?
Nein, ich bin und bleibe Optimist und setze auf die Einsicht von Herrn Spahn, dass wir mehr Verbindlichkeit brauchen. Ein neues Personalbemessungsinstrument können wir nicht von heute auf morgen einführen. In der Konvergenzphase machen daher Untergrenzen durchaus Sinn und daher würde ich die Festsetzung dieser jetzt nicht als Absage an die PPR 2.0 sehen. Die Ausgangslage wird so sein, dass es eine auskömmliche Personalausstattung gibt und für diese festgelegt werden muss, welcher Wert auf keinen Fall unterschritten werden darf.
Herr Spahn hat kein grundsätzliches Aussetzen der PPUG in der zweiten Corona-Welle angekündigt, sondern Ausnahmen für besonders betroffene Kliniken. Es wird also differenzierter geschaut, wie sich die Situation weiterentwickelt. In Corona-Hotspots können Patientenströme auch heute schon gesteuert werden, indem man elektive Eingriffe verschiebt und diese Betten freilässt. Und auch Pflegefachpersonen von den peripheren Stationen können auf Intensivstationen unterstützen. Dazu kommen auch noch die freiwilligen Reserven und die Leiharbeitskräfte im Intensivbereich. Ich denke, dass wir die PPUG deshalb nicht generell aussetzen müssen. Dennoch müssen wir ein Auge darauf haben, normale gesetzliche Regelungen zum Arbeitsschutz einzuhalten. Dauerhafte 12-Stunden-Schichten und infiziertes Pflegepersonal ohne Symptome am Krankenbett sind für mich keine hinnehmbare Lösung.
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