
Erst letzte Woche hatte die niedersächsische Landesregierung auf der Basis eines Minderheitenvotums den Fall der dortigen Pflegekammer eingeleitet. Nun scheint der befürchtete Dominoeffekt eingetreten zu sein. Im Unterschied zu Niedersachsen kann sich die geplante Kammergründung in Baden-Württemberg allerdings auf einen klaren Auftrag der betroffenen Berufsgruppe stützen. In einer repräsentativen Befragung hatten sich 68 Prozent der teilnehmenden Pflegekräfte für die Kammer ausgesprochen.
Eine Verschiebung auf die nächste Legislaturperiode bedeutet eine Verschiebung auf unbestimmte Zeit. Ob und wann die Verkammerung wieder aufgenommen oder erfolgreich zu Ende geführt werden kann, ist ungewiss. „Die Pflegenden in Baden-Württemberg haben ihren politischen Willen für eine Kammer klar und zweifelsfrei artikuliert. Dieses Votum wird nun aus politischem Machtkalkül mit Füßen getreten. Der berechtigte Anspruch der größten Berufsgruppe, ureigene Belange mitzubestimmen und einen regulären Platz im Gesundheitssystem einzunehmen, wird immer noch nicht ernstgenommen. In dieser Hinsicht ist Pflege wohl doch nicht systemrelevant“, so BLGS-Bundesvorsitzender Carsten Drude.
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) unterstützt die Entscheidung von Landessozialminister Manne Lucha, die Gründung einer Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft für alle Pflegenden in Baden-Württemberg auf Eis zu legen. „Für die Kammer gab es in der Pflege nie eine echte Mehrheit und es gibt wirklich Wichtigeres zu tun“, sagt der bpa-Landesvorsitzende Rainer Wiesner.
Auch in Baden-Württemberg hatte sich bei der ursprünglichen Befragung lediglich eine kleine Zahl von Pflegenden für eine Kammer ausgesprochen. „Auf der Basis von etwas mehr als 1800 Ja-Stimmen anschließend zehntausende beruflich Pflegende in eine teure Kammer zu zwingen, war von Anfang an haarsträubend“, sagt Wiesner. Der bpa-Landesvorsitzende sieht auch die Notwendigkeit einer solchen neuen Behörde nicht. „Die Pflege wird gehört und unterstützt, die Zahl der Menschen, die sich für den Pflegeberuf entscheiden, wächst und alle notwendigen Abläufe und Prüfaufgaben sind geregelt. Für eine Kammer hätte es nichts Sinnvolles zu tun gegeben.“
Befürworter üben starke Kritik
Mit Fassungslosigkeit und großem Bedauern hat der DBfK Südwest e.V. die Nachricht aufgenommen. „Ich bin maßlos enttäuscht. Mich verwundert es sehr, dass die CDU Fraktion im baden-württembergischen Landtag im Gegensatz zu anderen Bundesländern (wie z.B. Nordrhein-Westfalen) in der Errichtung einer Landespflegekammer auf die Bremse tritt. Gerade jetzt in den Zeiten der Pandemie zeigt sich die Wichtigkeit der Pflegefachpersonen in der Versorgung der Bevölkerung“, kommentiert Andrea Kiefer, Vorsitzende des DBfK Südwest e.V. die aktuelle Situation.
Auch die Bundespflegekammer kritisiert die Entscheidung der Landesregierung in Baden-Württemberg. Das Gerede der Landesregierung über eine Aufwertung des Pflegeberufs seien nur Lippenbekenntnisse. Das zeige die Absage an eine Pflegekammer deutlich. Wenn man die Pflege brauche, wie in der Corona-Krise, würde über die gesellschaftliche Bedeutung philosophiert, aber am Ende sei die Landesregierung nicht bereit, die nötigen Veränderungen herbeizuführen. Die Leidtragenden seien Patienten, Pflegebedürftige und Angehörige, die auf eine sichere, zukunftsfähige und qualitativ hochwertige Pflege angewiesen sind.
Die Absage an die Kammer sei auch eine Absage an die Selbstverwaltung in der Pflege. Die Inhalte des Berufs mitzugestalten, neue, attraktive Aufgabenfelder zu entwickeln und selbstbewusst Entscheidungsbefugnisse einzufordern, das könne die berufliche Pflege in der Selbstverwaltung selbst gestalten. Nun würden weiter andere darüber entscheiden, was Pflege sei.





Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen