
6 Uhr morgens. Das Telefon klingelt. Am Apparat ist die Stationsleitung. Ein Kollege ist krank und fällt spontan aus. Man wird gefragt, ob man kurzfristig die Schicht übernehmen könnte. Ein Szenario, das viele Pflegekräfte kennen – und das mindestens ebenso viele stört.
Leiharbeitskräfte können eine Lösung sein, falls niemand spontan einspringen kann. Sie anzuheuern ist aber kostenintensiv und birgt so manchen Nachteil. Dennoch: Manchmal ist es unumgänglich, diesen Weg zu gehen. Gerade deshalb schicken sich immer mehr Kliniken an, eine echte Alternative zu entwickeln. Gerade Universitätsklinika gehen mit gutem Beispiel voran und haben bereits vielerorts eigene Springerpools, mit denen sie nicht nur spontane Ausfälle, sondern auch generelle Arbeitsspitzen auffangen.
Es entsteht eine Win-Win-Situation für beide Seiten: für die Pflegekräfte und die Kliniken. Denn meist können die Springerpool-Pflegekräfte ihre Dienstzeiten selbst mitbestimmen und auch ihre Einsatzwunschorte werden oftmals mitberücksichtigt. Die Kliniken haben mit den eigenen Pools ausgebildetes Pflegepersonal aus ihren eigenen Häusern, das spontan und flexibel eingesetzt werden kann. Auch für Studierende der Pflegeberufe sind Springerpools eine gute Chance, weiterhin im Bereich der Pflege zu arbeiten.
Flexipool am Uniklinikum Halle
Das Universitätsklinikum (UK) Halle hat speziell für Studierende und Mitarbeitende in Elternzeit, die eine bereits abgeschlossene dreijährige Ausbildung in der Pflege haben, das Angebot des Flexipools aufgelegt. Die Mitarbeitenden haben eine „Stammstation“, das ist die Notaufnahme. Von dort können sie, sofern es Bedarf auf anderen Stationen gibt, abgerufen werden. Der Flexipool hat seinen Namen aufgrund der hohen Flexibilität des Einsatzortes. Dennoch können die Mitarbeitenden auch hier Vorlieben und Wünsche angeben, wo sie eingesetzt werden wollen.
Studierende haben so die Möglichkeit, nebenher Geld zu verdienen.
Die Studierenden erbringen auf 520-Euro-Basis drei bis vier Dienste im Monat, das vorrangig am Wochenende und an Feiertagen. „Sie haben so die Möglichkeit, an uni-freien Tagen oder in der Elternzeit nebenbei Geld zu verdienen“, erklärt Julia Hörner, pflegerische Leitung des Springerpools in Halle. Die Studierenden haben Mitsprache bei der Dienstplanerstellung und es wird darauf geachtet, dass das Studium und ihre Einsätze auf Station miteinander vereinbar sind. Sie profitieren zudem davon, dass sie das breite Angebotsspektrum des Hauses auf verschiedenen Stationen kennenlernen, abwechslungsreiche Tätigkeitsfelder haben und auch an Fortbildungen teilnehmen dürfen. „Die Stationen haben im Gegenzug gut ausgebildete Unterstützung an Tagen, die schwerer zu besetzen sind und an denen Personalausfälle schwer kompensiert werden können“, führt Hörner weiter aus.
Der Flexipool mit seinen zehn Mitarbeitenden ist ein besonderer Teil des herkömmlichen Springerpools, mit dem das UK Halle kurz- und mittelfristig Personalausfälle und Leistungsspitzen kompensiert. Das Springerpool-Team besteht derzeit aus rund 100 Mitarbeitenden, die alle neun Cluster des Klinikums versorgen.
Pioniere aus Dresden
Auch das Uniklinikum Dresden (UKD) hat einen Springerpool – und zwar nicht erst seit gestern. Dieser existiert bereits seit 2002, also über 20 Jahre. Er war einer der ersten in ganz Deutschland und bestand zu Beginn aus fünf Mitarbeitenden. Die Zuweisungen erfolgten damals nach bestem Wissen und Gewissen, natürlich mit einer Prüfung im Dienstplan, aber eben noch nicht so Kennzahlen-gestützt und zielgerichtet wie heute. Mittlerweile sind in dem Springerpool 40 Pflegekräfte beschäftigt und 35 Medizinstudierende, die als studentische Hilfskräfte z.B. Nachtwachen übernehmen. Eines ist über all die Jahre jedoch gleichgeblieben: Die „Poolis“, wie sie in Dresden genannt werden, haben eine hohe Planungssicherheit und es lohnt sich für sie auch finanziell.
Mittlerweile können fast alle Formen des Personalausfalls mit dem Pool gemeistert werden.
Seit den Anfängen ist der Springerpool nicht nur kontinuierlich gewachsen. „Mittlerweile können fast alle Formen des Personalausfalls auf Stationen, aber auch in Funktions- und Ambulanzbereichen mit dem Pool gemeistert werden – auch Ausfälle aufgrund von Elternzeit, Fachweiterbildungen, Sonderurlauben oder Pflegezeiten für Angehörige“, erklärt Katrin Weigelt, stv. Pflegedirektorin und Pflegedienstleitung Pflegepool am UKD. Sie führt weiter aus, dass das UKD so alle Mitarbeitenden auffangen könne, die im üblichen stationären Setting nicht mehr arbeiten wollen oder können. „Wir bieten allen damit eine Planungssicherheit und haben seit einem Jahr das Motto ‚Arbeite, wie du willst‘ für unseren Pflegepool eingeführt. Es sind mittlerweile bei uns im Pool nahezu alle Arbeitszeiten möglich. Wir merken jetzt schon, dass dadurch die Anzahl der Mitarbeitenden im Pool noch weiter angestiegen ist“, freut sich die gelernte Kinderkrankenschwester, die den Pool mit aufgebaut hat.
Für den Pflegepool bewerben sich nicht nur Mitarbeitende aus dem UKD, die aus individuellen Gründen nicht mehr im Dreischichtmodell arbeiten wollen. Auch die Bewerbungen von extern nehmen zu. „Es passiert uns schon hin und wieder, dass wir eine Pflegefachperson für den Pool verlieren, weil sie den Einsatz in einer Station so toll fand, dass sie dortblieb, weil es eine Vakanz auf Dauer gab. Das Pool-Prinzip funktioniert also in beide Richtungen und es gelingt uns so, dass wir wirklich keine Pflegefachperson verlieren, die sich für das Haus interessiert“, sagt Weigelt nicht ohne Stolz.
Neues Projekt: Nana-Pool
In Dresden fungiert die Leitung des Pools, die im Übrigen eine der fünf Mitarbeitenden der ersten Stunde ist, wie eine Stationsleitung, die „ein virtuelles Team führt, das via Einsatzplanung zusammenarbeitet“, erklärt Weigelt. Es ergebe sich daraus ein weiterer Vorteil für die Mitarbeitenden: „Die Poolis bekommen mehr individuelle Mitarbeiterfürsorge und Betreuung durch ihre Leitung, weil diese keine Verantwortung für Patienten hat. Zudem können die Poolis bei uns ebenso an Fach- und Weiterbildungen teilnehmen und haben auch ihre eigenen Events als Team.“
Weigelt will dieses Jahr das nächste Projekt in Angriff nehmen, das auf eine Idee der Pflegedirektorin zurückgeht: den „Nana-Pool“. Damit will das UKD allen ehemaligen Mitarbeitenden und EU-Rentnern anbieten, auf 520-Euro-Basis weiter in der Pflege zu arbeiten und sich bestimmte Dienste auszusuchen.
Ideenaustausch mit anderen Kliniken
Das UKD war – wie etwa 50 weitere Häuser aus Deutschland und Österreich, und wie auch das UK Halle – im vergangenen Jahr auch auf dem Springerpool-Symposium, das vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) organisiert wurde. Weigelt findet den Austausch und das Netzwerk, das über das Symposium entstanden ist, sehr wertvoll. So wollen sie und ihre Kolleginnen sich beispielsweise demnächst noch einmal direkt mit dem UKE austauschen und Themen wie die digitale Einsatzplanung und die Pool-App besprechen. „Hier sind die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg einfach führend und wir freuen uns schon auf den Ideenaustausch“, erklärt Weigelt.
Springerpool-Symposien
Das erste Springerpool-Symposium fand 2019 in Jena statt. Dort trafen sich etwa 20 Häuser aus Deutschland. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hatte dann 2020 die Aufgabe, die Zusammenkunft und den Austausch zu organisieren. Doch dann kam Corona und das Symposium im Norden konnte erst im vergangenen Jahr durchgeführt werden. In 2024 wird das Symposium in Berlin an der Charité stattfinden.
Die Veranstaltung wächst und ist auch durch das Engagement der Hamburger Kolleginnen und Kollegen zu einem Netzwerktreffen geworden, das auch „Wissenstransfer zwischen den Pools schafft“, erklärt Linda Wrobel, Abteilungsleitung Zentrales Personal- und Poolmanagement am UKE, die mit ihrem Team die letzte Veranstaltung organisiert hat. Sie hat aus dem Symposium mitgenommen, dass „gerade Digitalisierung und Disposition in einer Software“ wichtige Themenbereiche sind, die übergreifend interessieren. Das UKE geht hier voran und will zusammen mit Softwareherstellern ein Projekt entwickeln, das einen automatischen Dispositionsvorschlag macht. „Wir merken, dass wir an unsere Grenzen stoßen, wenn wir 130 Köpfe in unserem Pflegepool und 700 Aushilfen disponieren und das alles manuell machen müssen und die Kommunikation über E-Mail läuft“, erklärt Wrobel den Vorstoß des UKE.
Leuchtturmfunktion in Hamburg
Die Elbe scheint ein Katalysator zu sein in Sachen Springerpools. Denn auch beim UKE-Pflegepool geht es nicht nur darum, den reinen Personalausfall zu kompensieren. Vielmehr werden die Mitarbeitenden selbst, ihre Bedürfnisse und Karrierepfade in den Fokus gerückt. „Wir betreiben auch innerhalb des Pflegepools Personalentwicklung und ermöglichen Fach- und Weiterbildungen“, erklärt Linda Wrobel, Abteilungsleitung Zentrales Personal- und Poolmanagement am UKE. Der Pflegepool sieht sich als ein Team, als eine Station – nur eben als Pool organisiert. „Wir haben aus dem Pool heraus zum Beispiel eine Gesundheits- und Krankenpflegerin als angehende stellvertretende Stationsleitung entwickelt, die jetzt ihren Karriereweg auf einer festen Station weitergeht“, erzählt Wrobel nicht ohne Stolz.
Wir haben aus dem Pool heraus eine Gesundheits- und Krankenpflegerin als angehende stellvertretende Stationsleitung entwickelt.
Die Abteilung Zentrales Personal- und Poolmanagement betreut fast 100 Bereiche am UKE und umfasst mittlerweile 130 Poolkräfte, 250 examinierte und 450 studierende Aushilfen. Es gibt drei erfahrene Stationsleitungen, die den UKE-Pflegepool leiten, führen und inhaltlich weiterentwickeln. Sie stehen im täglichen Austausch mit den Stationen, die Bedarfe haben und disponieren diese.
Der Springerpool ist sozusagen eine eigene Station, die beispielsweise auch eigene Hygienementoren hat, die für die Mitarbeitenden des Pools eigene Hygieneschulungen durchführen. „Wir standardisieren gerade alle Geräteeinweisungen, damit auch unsere Poolmitarbeitenden nicht nur mitlaufen, sondern übergeordnet erfasst und strukturiert wird, auf welchen Stationen die jeweiligen Pflegefachpersonen arbeiten und diese dann auch die entsprechenden Einweisungen haben“, fasst Wrobel eine weitere Besonderheit des UKE-Springerpools zusammen.
Besonders macht den Springerpool am UKE zudem, dass auch Praxisanleitende mit dabei sind. Diese können dann auf die Stationen entliehen werden, falls es zu Engpässen kommt, um die Auszubildenden entsprechend anzuleiten. Es gibt zudem auch eigene Wundmanager und Demenzmentoren sowie Peer-Berater, die bei traumatischen Erlebnissen die Poolbeschäftigten mit unterstützen können.
Perspektivisch wird das Angebot auch bis in die eigene Häuslichkeit ausgeweitet werden.
„Wir erweitern unser Angebot gerade auch auf den Bereich familiale Pflege, um das Entlassmanagement noch besser und pflegende Angehörige fit zu machen für die Aufgaben, die eventuell daheim nach der Entlassung auf sie zukommen können“, führt Wrobel das neueste Angebot ihrer Abteilung aus. Seit Anfang Februar bieten die extra weitergebildeten Kolleginnen und Kollegen auf Station – aber außerhalb des Stationsalltags – Trainings an. „Perspektivisch wird das Angebot auch bis in die eigene Häuslichkeit ausgeweitet werden“, zeigt Wrobel die Vision des UKE auf, die zeigt, dass es sich beim Pflegepool an der Alster um mehr als um reines Ausfallmanagement handelt. Denn die gesamte Organisation des Bereichs familiale Pflege läuft über die Abteilung von Wrobel.
Nicht nur Kopf, damit die Quote stimmt
Eine weitere Besonderheit des UKE-Pflegepools ist, dass die Mitarbeitenden „nur auf Stationen arbeiten, auf denen sie eingearbeitet sind“, ergänzt Oliver Harmsen, Wrobels Assistent. Sie können Fachbereiche für sich als Tätigkeitsbereiche ausschließen bzw. ihre Neigungen speziell auch angeben. „Unsere Poolmitarbeitenden müssen also nicht im ganzen Haus arbeiten und einspringen. Sie sind bei uns nicht nur ein Kopf, damit die Quote stimmt. Wir wünschen uns aber schon, dass sie mindestens sieben Bereiche aus den 100 angeben, auf denen sie eingesetzt werden können“, sagt Harmsen.
Der Einsatz auf den jeweiligen Stationen erfolgt aber erst, wenn sie dort vor Ort auch eingearbeitet wurden. „Das sehen wir als unerlässlich gerade vor dem Hintergrund der Patientenversorgung an. Aber auch die Mitarbeitendenzufriedenheit ist für uns an dieser Stelle ausschlaggebend – sowohl für die Stationen als auch für die Pflegefachpersonen aus dem Pool“, berichtet Wrobel von der Motivation, die dahintersteckt.
Flex-Pool für den Deutschen Fachkräftepreis der Bundesregierung nominiert
Der von der Bundesregierung erstmal Ende Februar 2023 vergebene Deutsche Fachkräftepreis in sieben Kategorien richtet sich an Unternehmen, Institutionen und Netzwerke. In der Kategorie „Erwerbspotenziale“ ist das Ortenau Klinikum – mit zwei weiteren Bewerbern – mit seinem Konzept Flex-Pool nominiert, das verschiedene Arbeitszeitmodell in der Pflege ermöglicht. „Mit dem Flex-Pool verfolgen wir insbesondere das Ziel, eine zunehmend verlässliche Dienstplangestaltung für die Pflegekräfte auf den Stationen zu erreichen“, betont Kathleen Messer, Pflegerische Vorständin des Ortenau Klinikums. „Wir streben eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit und Bindung unserer Pflegekräfte an unseren Klinikverbund an.“ Seit Einführung des Flex-Pools sind bereits über 100 Mitarbeitende dort beschäftigt.
In der Kategorie „Ausbildung“ ist im Übrigen noch ein Klinikum nominiert: das Marienhospital in Stuttgart. Mit der Einführung seiner „Koordinationsstelle Ausbildung und Studium“ verbesserte es die interne Vernetzung, standardisiert Prozesse und gewinnt so mehr Zeit für die Begleitung von Auszubildenden und Studierenden.





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