
Im Streit um eine hohe Arbeitsbelastung am Marburger Standort des privatisierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) ist die nächste Eskalationsstufe erreicht. Mit Briefen an das hessische Sozialministerium sowie an das Regierungspräsidium Gießen hat der Betriebsrat jetzt auf die Situation aufmerksam gemacht. Darin geht es um Überlastungsanzeigen der Beschäftigten. Deren Weiterleitung an den Betriebsrat sei von der Geschäftsführung eingestellt worden, kritisieren die Arbeitnehmervertreter in den Schreiben. Dadurch könne der Betriebsrat seiner „Überwachungsfunktion“ – etwa zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes – nicht mehr nachkommen.
Hintergrund ist nach Darstellung des Betriebsratsvorsitzenden Klaus Gerber ein chronischer Personalmangel an dem Klinikum. Dadurch könnten etwa Pausen häufig nicht genommen werden, und durch steigenden Arbeitsdruck könnten Fehler in der Patientenversorgung nicht ausgeschlossen werden. Sowohl das Ministerium als auch das Regierungspräsidium werden in den Schreiben gebeten, den „untragbaren Zustand“ zu beenden und für die Einhaltung des Arbeitsschutzes Sorge zu tragen.
Ministerium: „Keine aufsichtsrechtliche Eingriffsmöglichkeit“
Das Sozialministerium bestätigte den Eingang des Schreibens, das derzeit bearbeitet werde. Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsräten sei grundsätzlich im Betriebsverfassungsgesetz geregelt, so das Ministerium. „Strittige Fragen müssen demnach vor Schlichtungsstellen oder den Arbeitsgerichten geklärt werden.“ Seitens des Landes bestehe hier „keine aufsichtsrechtliche Eingriffsmöglichkeit“.
Der Betriebsrat des UKGM-Standortes Marburg habe zuletzt im Juli dieses Jahres Überlastungsanzeigen des Personals übermittelt. Soweit darin Fragen des Arbeitsschutzes berührt sind, prüfe das Regierungspräsidium Gießen als zuständige Aufsichtsbehörde, inwieweit Defizite vorlägen, und leite gegebenenfalls Maßnahmen mit Blick auf Arbeitsschutzvorschriften ein. Solche Überprüfungen habe es an beiden UKGM-Standorten auch in den vergangenen Jahren gegeben. Um auf Situationen aufmerksam zu machen, die Patienten gefährden könnten, seien Überlastungsanzeigen allerdings nur bedingt geeignet, da die darin enthaltenden Informationen „keine Analyse oder Risikobewertung kritischer Ereignisse zulassen“, so das Ministerium.
Klinikleitung verweist auf angespannte Personalsituation
Die Klinikdirektorinnen und -direktoren betonen in einer Stellungnahme, die Patientenversorgung und -sicherheit an dem Klinikum seien „gewährleistet“. Wie praktisch alle anderen Kliniken in Deutschland habe auch Marburg mit einer angespannten Personalsituation zu kämpfen. Man wolle und werde sich aber nicht aus der Versorgung von Patienten mit schweren akuten Erkrankungen zurückziehen.
Wir wägen tagtäglich sehr sorgfältig ab, wie weit dem Personalmangel in Bezug auf die Sicherheit der Patienten Rechnung getragen werden muss.
Jeden Tag werde „verantwortungsbewusst und selbstverständlich in enger Abstimmung mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ entschieden, welche Betten belegt und welche OP-Säle betrieben werden könnten, schreibt Prof. Dr. Hinnerk Wulf im Namen der KlinikdirektorInnen. „Wir wägen tagtäglich sehr sorgfältig ab, wie weit dem Personalmangel in Bezug auf die Sicherheit der uns anvertrauten Patienten Rechnung getragen werden muss.“ Dies erfolge in direkter Kommunikation insbesondere auch mit den Pflegekräften vor Ort, „um drohende Überlastungssituationen rechtzeitig zu erkennen“.
Aufgrund dieser Absprachen seien in den vergangenen Monaten „stets über 20 Prozent unserer Betten nicht belegt und nahezu täglich einzelne Operationssäe nicht oder nur phasenweise im Betrieb“ gewesen. Zudem habe sich das UKGM stundenweise immer wieder von der hessenweit überregionalen Notfallversorgung von Patienten abmelden müssen.
Hoffen auf Entlastungstarifvertrag
Erst im Frühjahr hatten sich die Gewerkschaft Verdi und die UKGM-Klinikleitung nach einem Streik auf den nach Verdi-Angaben bundesweit ersten Entlastungstarifvertrag in einem privaten Krankenhaus geeinigt. Die Regelungen werden nach Angaben der Gewerkschaft jedoch erst ab kommendem Frühjahr greifen. Aus Sicht von Betriebsratschef Gerber dauert dies zu lang. „Wir brauchen umgehend mehr Personal in allen Bereichen.“
Nach Einschätzung von Verdi-Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm fehlen an den beiden Standorten des Uniklinikums jeweils mehrere hundert Beschäftigte. Generell gelte insbesondere für Pflegeberufe, dass die Arbeitsbedingungen häufig nicht gut und das Gehalt angesichts der Schwierigkeiten und der Verantwortung des Berufs „nicht angemessen“ seien. Deshalb sei Personal- und Fachkräftemangel in zahlreichen Krankenhäusern bundesweit ein Problem. Der Gewerkschafter geht aber davon aus, dass sich dank der Vereinbarungen auch wieder mehr Menschen am UKGM bewerben werden. Andere Unikliniken mit entsprechenden Vereinbarungen hätten damit positive Erfahrungen gemacht, sagte Dzewas-Rehm.
Vom Universitätsklinikum Frankfurt, für das bereits zuvor ein Entlastungstarifvertrag geschlossen worden war, hieß es, Überlastungsanzeigen würden vom Vorstand sehr ernst genommen. „Jede einzelne wird besprochen und geprüft, mit welchen Maßnahmen die Situation verbessert werden kann“, erklärte ein Sprecher des Klinikums. Hierfür böten die Vereinbarungen neue Möglichkeiten – „auch bereits präventiv“. Zum Beispiel könnten einzelne Stationen bei Bedarf aus einem sogenannten Springerpool unterstützt werden. Abschließende Einschätzungen zu den Auswirkungen der Vereinbarungen seien derzeit noch nicht möglich, weil sie erst seit recht kurzer Zeit gälten oder noch in der Umsetzung seien.





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