
International haben Pflegekräfte im Bevölkerungsschutz einen hohen Stellenwert. Deutschland hat hier Nachholbedarf, gleichzeitig kann es an einem Punkt als Vorbild für andere Länder dienen. kma hat darüber mit Susanne Scheck gesprochen. Sie ist die ehemalige Vorsitzende der Württembergischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz (WSSRK) und arbeitet aktuell unter anderem an Ausbildungsmodulen zum Disaster Nursing mit.
Was tun wir hierzulande, um die Pflege in den Bevölkerungsschutz einzubinden?
Susanne Scheck: Leider bislang sehr wenig. Daher haben wir – zusammen mit den drei anderen DRK-Schwesternschaften – das erste Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz in Deutschland gegründet. Wir verfolgen dort den praktischen Ansatz, die Pflegenden mit verschiedenen Fortbildungsmodulen zu befähigen, in Krisen- und Katastrophensituationen sicher zu handeln. Unser Ziel ist, den Pflegefachpersonen, u.a. mit Planspielen, Sicherheit zu geben, damit sie sich in der jeweiligen Ausnahmesituation ein aktives Handeln zutrauen und nicht in die Überforderung kommen.
Wie kam es zur Gründung des Kompetenzzentrums?
Letztendlich waren die Hochwasser an der Ahr und im Süden Deutschlands Auslöser. Unsere Mitglieder waren vor Ort im Hilfseinsatz und haben anschließend berichtet, wie es ihnen dort ergangen ist. Oftmals wusste man mit ihnen nicht viel anzufangen und sie haben zu Beginn in den Zentrallagern Sachen sortiert. Da waren sie mit ihren Kompetenzen aber völlig fehl am Platz. Erst mit der Zeit haben die Zivil- und Katastrophenschützer erkannt, was unsere Mitglieder eigentlich leisten können.
Der Bedarf hier ist sehr groß und wir schulen nicht nur Rotkreuzschwestern in unserem Kompetenzzentrum, sondern auch externe Pflegefachpersonen.
Welche Fortbildungs-Module bieten Sie dort an?
Neben der Basisschulung, die mittlerweile über 100 Pflegende absolviert haben, bieten wir auch spezielle Schulungen für Einrichtungsleitungen an. Wir haben seit Kurzem auch eine Schulung mit der mobilen medizinischen Versorgungseinheit, dem MMVe, im Angebot. Zudem hatten wir just unser erstes „Summercamp“, in dem die Geschulten aus den Basisschulungen zusammen mit vier DRK-Kreisverbänden und Laienschauspielern nochmal praktisch geübt und ihr Wissen aufgefrischt haben – zum Beispiel die Evakuierung eines Pflegeheimes. Solche Camps werden zukünftig regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr stattfinden.
Außerdem gehen wir auch in diesem Herbst noch mit Schulungen für Pflegeunterstützungskräfte an den Start. Wir bieten zudem unsere Schulungen nicht mehr nur in Stuttgart und Bonn an, sondern haben versucht, alle Regionen Deutschlands abzudecken. So werden die Schulungen auch beispielsweise in Nürnberg, Krefeld oder Lübeck angeboten.
Damit wären Pflegefachpersonen dann befähigt, beispielsweise in Krisenstäben mitzuarbeiten oder Teams im Krisenfall zu organisieren.
Derzeit arbeiten wir noch am Fachberater Pflege im Bevölkerungsschutz, da wir ja viel Wert auf den Praxisbezug legen. Unseren Ansatz bestätigen Studien aus dem Ausland, nämlich dass Planspiele bei dem Thema sehr viel bringen. Daher wollen wir alle Schulungsangebote gleich in curriculare Strukturen gießen und sehen das Thema im ersten Aufschlag eher im Bereich der beruflichen Bildung als im Studium. Mit dem Fachberater hätten wir die ICN Stufe 2 (ICN steht für International Council of Nurses, die Red.). Damit wären Pflegefachpersonen dann befähigt, beispielsweise in Krisenstäben mitzuarbeiten oder Teams im Krisenfall zu organisieren.
Und mal ehrlich: Bei dem Akademisierungsgrad, den wir in der Pflege haben, wäre es vermessen zu denken, wir müssen ausgerechnet beim Thema Disaster Nursing gleich mit einem Bachelorstudium anfangen. Das passt einfach nicht in unser Bildungssystem. Aber perspektivisch muss natürlich auch die Bachelor- und Masterebene mitgedacht werden.
Es wäre für uns zum Beispiel eine gute Lösung, das Thema Disaster Nursing mit an die Community Health Nurse anzubinden. Die sitzt in der Kommune und wäre vor Ort eine gute Ansprechpartnerin für die vulnerablen Gruppen. Aber das sind nur erste Ideen von uns, hier müssen wir – auch gemeinsam mit dem DPR (Deutscher Pflegerat, die Red.) – nochmal schauen, wie die Anbindung laufen kann.
Das ist ja schon eine ganze Menge. Wie informieren Sie zu diesem Thema?
Wir brauchen hier in Deutschland kaum Werbung machen, unsere Kurse sind derzeit alle voll. Dennoch informieren wir auf zahlreichen Veranstaltungen in Deutschland – und Europa – über das Thema. Ich war jüngst beim ICN-Kongress in Helsinki und habe über unsere Bemühungen hierzulande berichtet. Dass das Thema hochbrisant war, hat man unter anderem an der Menge an Veranstaltungen gesehen, die zum Thema Disaster Nursing und Pflege im Bevölkerungsschutz angeboten wurden.
Wir brauchen hier in Deutschland kaum Werbung machen, unsere Kurse sind derzeit alle voll.
Vor allem stieß dort auf große Resonanz, dass wir in Deutschland das Thema Pflege im Bevölkerungsschutz in die Ausbildung integrieren. Hier hinken viele andere Länder hinterher und waren sehr an unserem Vorhaben und einem Austausch interessiert. Wir erarbeiten ja seit vergangenem Herbst im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zusammen mit einem Konsortium ein Modul Disaster Nursing in der Ausbildung, kurz „Modina“.
Wie unterscheiden Sie sich mit Ihrem Konzept von dem anderer Länder?
Wie bereits angedeutet, haben wir uns im Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz für den praktischen Ansatz entschieden. Die anderen Länder haben zahlreiche Studien zum Thema Disaster Nursing gemacht und untersucht, welche Gruppen von Pflegepersonen am besten vorbereitet sind. Nicht überraschend kam dabei heraus, dass es für Intensivpflegekräfte oder Pflegekräfte in den Notaufnahmen einfacher ist, sich auf Ausnahmesituationen einzustellen.
In Finnland ist man sich der Nähe zu Russland durchaus bewusst. Hier ist man sich der Gefahr seitens der Bevölkerung und der Gesundheitsfachkräfte gewahr. In Taiwan gilt das oberste Prinzip des „Hospital at Home“ in Krisensituationen, sprich möglichst wenig Menschen in den Kliniken zu versorgen. Dort ist man sehr weit, was die Strukturen angeht. Es gibt eine gut ausgearbeitete Kaskade, wer im Ernstfall wohin verlegt werden muss und wie er dann versorgt wird. Und diese Kaskade kennen alle. In Schweden ist der Zivilschutz sehr weit fortgeschritten und es gibt die Broschüre „In case of crisis or war“ für die Bevölkerung. Auch hierzulande muss zwischen Zivil- und Bevölkerungsschutz unterschieden werden.
Wir haben uns im ersten Aufschlag auf den Bevölkerungsschutz fokussiert, weil die Profession Pflege hier eine bedeutende Rolle spielen kann, und haben bewusst einen anderen Ansatz gewählt als die internationalen Kollegen, die einiges auf der theoretischen Ebene erarbeitet haben. Wir haben uns gesagt, dass wir wissen, welche Kompetenzen unsere Kolleginnen und Kollegen haben und versuchen wollen, dieses Wissen und Können in die Praxis zu transferieren.
Wo sehen Sie noch Probleme beim Thema in Deutschland?
Ein großes Thema in der Krise ist die Versorgung von Patientinnen und Patienten, die noch in ihrer eigenen Häuslichkeit untergebracht sind und beispielsweise von einem ambulanten Pflegedienst oder Angehörigen betreut werden. An der Ahr konnten diese Patienten tagelang nicht betreut werden, die Einsatzkräfte wussten nicht einmal, wer welchen Bedarf hat. Wie auch: Es gibt ja kein Register mit Menschen, die zuhause gepflegt werden. Wir haben daher eine Kooperation mit der Angehörigen-Organisation „wir pflegen“ aufgebaut und bieten für die pflegenden Angehörigen regelmäßig Online-Schulungen zum Thema an.
Ein weiteres großes Manko ist, dass wir als Profession in der Politik und im Katastrophenschutz nicht mitgedacht werden.
Gibt es hier Ansatzpunkte, wie man dies ändern kann?
Ja. Der Deutsche Pflegerat (DPR) unterstützt unser Schulungsprogramm und erkennt unsere Kompetenz als DRK-Schwesternschaften im Krisen- und Katastrophenschutz an. Daher sitzt meine Kollegin und Vorsitzende der DRK-Schwesternschaft „Bonn“ e.V., Dr. Frauke Hartung, für den DPR in der Übungsreihe LÜKEX (kurz für Länderübergreifende Krisenmanagementübung).
Dort kommen bundesweit regelmäßig Fachleute zusammen, um gemeinsam Krisenmanagement zu trainieren. Bei diesen Übungen sind nahezu alle Institutionen, die Länder sowie viele Ämter vertreten, um sich effektiv gemeinsam auf mögliche Krisen vorzubereiten.
In der LÜKEX konnten wir schon das Thema der pflegenden Angehörigen einbringen und auf unser Schulungsangebot hinweisen. Das wurde sehr gut aufgenommen und es wird bereits angedacht, dass wir mit der Bundesärztekammer, dem Verein „wir pflegen“ und anderen Organisationen eine gemeinsame Übung durchexerzieren.
Das hat natürlich eine lange Vorbereitungsphase, aber wichtig ist ja, dass man alle Beteiligten zusammenbringt und schaut, ob und wie unser Konzept praktisch am Ende in der Fläche umsetzbar ist.
Sie planen das Thema ja wirklich groß. Können wir noch weitere Neuerungen erwarten?
Ja, Ende August bzw. Anfang September wird unsere App Katastrophen Nursing – KatNu – an den Start gehen. Es wird einen internen und einen allgemeinen Bereich geben, wo wir dann Informationen für die pflegenden Angehörigen einstellen können. Im internen Bereich werden für unsere Mitglieder und die Absolventinnen und Absolventen unserer Schulungen Informationen bereitgestellt.
Bei unserem Projekt „Modina“ sind wir auch schon einen großen Schritt weiter. Die Interviews sind nahezu alle transkribiert und die Planspiele stehen im Großen und Ganzen. Da wird im Herbst die Pilotphase mit zehn Einrichtungen – einer Fachhochschule, einer Hochschule und acht Pflegeschulen – starten. Das Kompetenzzentrum und seine tragenden DRK-Schwesternschaften sind hier in Vorleistung gegangen und gehen es immer noch. Aber man muss ja auch irgendwann mal starten und wir empfinden das als wichtiges Thema, so dass wir das gerne machen.
Kompetenzzentrum für Pflege im Bevölkerungsschutz
Weltweit haben wetter- und klimabedingte Katastrophen in den vergangenen Jahren zugenommen. Pflegebedürftige im Katastrophenfall adäquat zu versorgen, stellt schon heute eine große Herausforderung dar. Die Akademie für Pflege, Gesundheit und Soziales der DRK-Schwesternschaft „Bonn“ e.V. entwickelte mit der WSSRK ein auf den Bedarf im Krisen- und Katastrophenschutz abgestimmtes Kursprogramm für Rotkreuzschwestern: „Basiskurs Rotkreuzschwestern im Katastropheneinsatz“.
Mittlerweile gibt es weitere Module wie „Katastrophenvorbereitung für ambulante und stationäre Einrichtungen“ oder „Mobile Medizinische Versorgungseinheit (MMVe) im Katastrophenschutz. Die für Krisen und Katastrophen geschulten Rotkreuzschwestern können vielfältig eingesetzt werden und sind ein zentraler Pfeiler der Versorgung im Bevölkerungsschutz.
Hier finden Sie weitere Informationen und Anmeldungen zu den Schulungsterminen.







Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen