
Aus Sicht von Militärs, Politikern und Medizinern muss sich Deutschland besser auf mögliche Bedrohungsszenarien wie Krieg und Krisen vorbereiten. Im Fall eines Überfalls Russlands auf die baltischen Staaten etwa oder zur Versorgung von Soldaten und Verwundeten aus Kriegsgebieten stehe die kritische Infrastruktur (Kritis) vor enormen Herausforderungen, machten Vertreter der Bundeswehr, der Politik und der Medizin in Berlin deutlich.
Sie waren im Rahmen der Kritis-Fachtagung „Das deutsche Gesundheitswesen in Krieg und Katastrophe: Prüfstein für den Föderalismus“ im Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) zusammengekommen. Die Tagung ist eine Kooperationsveranstaltung des ukb und des Netzwerks Gesundheitsstadt Berlin.
Immense Aufgaben im Bündnisfall
Komme es zum Nato-Bündnisfall, müsste Deutschland als logistische Drehscheibe für bis zu 750 000 alliierte Soldaten auch deren Gesundheitsversorgung sicherstellen – von möglichen Impfungen bis zur Akutversorgung verletzter Soldaten. Zum anderen, so die Experten bei der Tagung, könnte ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine dazu führen, dass hunderttausende Verwundete aus dem Kriegsgebiet in Deutschland versorgt werden müssten. Das bedeute eine Mammutaufgabe für Krankenhäuser, Arztpraxen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst – und Deutschland wäre nach Ansicht der Experten nicht (ausreichend) vorbereitet.
Wir müssen das Thema mit nationalem Nachdruck angehen.
„Wir benötigen belastbare Netzwerke für die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehrkrankenhäusern, den BG Kliniken und den Universitätsklinika“, forderte Reinhard Nieper, Vorsitzender der Geschäftsführung der BG Kliniken. In Deutschland müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, „in denen genügend Kapazität in kurzer Zeit zur Verfügung stehen kann“. Diese öffentlich getragenen Krankenhäuser müssten mit „ausreichenden Mitteln aus einem Sondervermögen für die Verteidigung unterstützt werden“, so Nieper.
Zu diesen Rahmenbedingungen gehörten Gesetze wie das Gesundheitssicherstellungs- und vorsorgegesetz (GSVG) und das Kritis-Dachgesetz (KritisDachG), das die neue Bundesregierung nach Meinung der Fachleute noch in diesem Jahr verabschieden sollte.

Es fehle etwa am Zusammenwirken des Bundes und der Länder, sagte Klaus Holetschek, Fraktionsvorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Im Zuge eines Sondervermögens für die Infrastruktur müssten auch die Krankenhäuser mitgedacht werden. „Wir müssen das Thema mit nationalem Nachdruck angehen, alles auf den Prüfstand und die richtigen Weichen stellen“, so Holetschek: „Die neue Bundesregierung muss dieses Thema sofort angehen.“
Die zivil-militärische Zusammenarbeit muss auf eine neue Ebene gehoben werden.
„Die Unterstützung von Krankenhäusern ist ebenso unverzichtbar wie die Finanzierung von Waffen, Gerät und Ausrüstung“, betonte Prof. Dr. Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des ukb und Programmleiter der Fachtagung. Ein Umdenken sei für die gesamte Infrastruktur erforderlich: „Die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Gesundheitseinrichtungen, Hilfsorganisationen, Bevölkerungsschutz und Bundeswehr muss auf eine neue Ebene gehoben werden.“
Für Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Charité (Koordinator der AG „Health Security“/Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“) haben dabei klare Zuständigkeiten mit koordinierten Kompetenzen höchste Priorität: „Unsere Zuständigkeiten sind zu fragmentiert. Militärischer und ziviler Bereich, Krankenhäuser und Sicherheitsbehörden müssen ihre Kompetenzen stärker koordinieren, Bund, Länder und Kommunen effizienter zusammenarbeiten.“ Es gehe um gemeinsame Übungen und Standards und bessere Schnittstellen zwischen den Sektoren: „Im Krisenfall muss es schnell gehen, lange Abstimmungsrunden können wir uns dann nicht leisten.“
Man müsse auf das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein, sagte Generalleutnant André Bodemann, der stellvertretender Befehlshaber Operatives Führungskommando der Bundeswehr und Kommandeur Territoriale Aufgaben ist. Deutschland müsse in der Lage sein, viele Tausend Soldaten zu versorgen, die durch Deutschland marschierten oder verwundet zurückkämen. „Schon heute gilt: Wir sind nicht im Krieg, formaljuristisch, aber wir befinden uns auch schon lange nicht mehr im Frieden, weil wir täglich bedroht und auch attackiert werden“, sagte Bodemann.
Die Bedrohung oder Herausforderung zu früher sei eine ganz andere, so Bodemann: „Es gibt die Digitalisierung und die Cyber-Thematik, die wir damals zumindest in dieser Ausprägung gar nicht kannten.“ Früher habe es nur Null oder Eins gegeben, Frieden oder Krieg. „Heute liegt dazwischen eine lange Strecke hybrider Bedrohungen. Es sind vor allem, aber nicht nur die hybriden Bedrohungen, gegen die wir uns aufstellen müssen.“
Bestehende Kooperationen zeigen den Weg
Es sei wesentlich, dass sanitätsdienstliche Kooperationen ausgebaut würden, sagte Almut Nolte, die stellvertretende Befehlsinhaberin Zentrale Sanitätsdienste und Abteilungsleiterin Einsatz und Gesundheitsversorgung im Unterstützungskommando der Bundeswehr. Die zivil-militärische Zusammenarbeit müsse auf allen Ebenen gestärkt werden. Kooperationen, wie zum Beispiel zwischen Bundeswehrkrankenhäusern und BG-Kliniken, der Charité und dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin in der Infektionsmedizin oder zwischen dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und der Universitätsmedizin Mainz in der klinischen Forschung, zeigten den Weg einer zukunftsweisenden Zusammenarbeit, so Nolte.
Verteidigung betrifft ganz massiv auch die zivile Seite.
Dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Ralph Tiesler, zufolge wird das Zusammenwirken verschiedener Akteure bereits geübt. Diese Übungen müssten jedoch intensiviert werden. Auch die Warninfrastruktur solle weiter ausgebaut werden, etwa mit Sirenen, sagte Tiesler. Teilweise gebe es rechtliche Vorgabe, die die Zusammenarbeit verschiedener Akteure erschwerten.
„Verteidigung ist nicht nur eine militärische Aufgabe, sondern betrifft ganz massiv auch die zivile Seite“, sagte Tiesler. In zivilen Lagen sei Deutschland resilient. „Die weniger gute Nachricht ist, dass das Szenario eines Krieges, das für uns jahrzehntelang unvorstellbar war, von uns noch weit größere Anstrengungen erfordern würde als die Pandemie“, mahnte Tiesler.
Für Dr. Daniel Dettling, Geschäftsführer Gesundheitsstadt Berlin, ist das Gesundheitssystem das erste Ziel, „wenn es darum geht, unsere Gesellschaft zu destabilisieren. „Ein Szenario wie ein Nato-Bündnisfall spielt bei der Krankenhausreform beispielsweise keine Rolle“, kritisiert Dettling. Neue Krankenhäuser müssten wie in anderen Ländern auch mit geschützten Räumen wie unterirdischen OP-Sälen geplant werden. „Wir müssen uns mental, technologisch und logistisch besser und umfassend vorbereiten.“
Das mahnt auch Bundesärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt an: „Das Gesundheitswesen in Deutschland braucht eine umfassende Resilienzstrategie, auch für den Bündnis- beziehungsweise Verteidigungsfall.“ Dieser werde unwahrscheinlicher, „wenn potenzielle An-greifer wissen, dass wir auch in Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung gut vorbereitet sind“.








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