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Pflegedienstleiter im Interview„Uns droht ein Mangel an Personal und an Material“

Wir seien gut vorbereitet, so Spahn im Februar. Nun steigt die Zahl der Corona-Infizierten rasant. Pflegedienstleiter Fred Leicht vom St. Marien-Hospital Lünen und Ludger Risse vom St. Christophorus-Krankenhaus Werne über die Lage in den Kliniken.

Fred Leicht und Ludger Risse
Christiane Goldt/St. Christophorus-Krankenhaus
Pflegedienstleiter Fred Leicht, St. Marien-Hospital Lünen, und Ludger Risse, St. Christophorus-Krankenhaus Werne.

Herr Risse, im Februar noch hieß es, Deutschland sei gut vorbereitet. Spiegelt das Ihre Realität am 19. März wider?

Risse: Es fühlt sich gerade ein wenig an wie die Ruhe vor dem Sturm. Ja, Herr Spahn hatte angekündigt, dass wir gut vorbereitet seien. In der Tat droht uns aber ein Mangel an Personal und an Material; Schutzausrüstung etwa wird knapp und wir wissen nicht genau, wann wir was bekommen. Auf die Palme bringt mich, dass es Firmen gibt, die die aktuelle Notlage ausnutzen und Schutzkleidung zum zehnfachen Preis anbieten. Ich finde, solch ein Geschäftsgebaren sollte man strafrechtlich verfolgen.

Haben Sie denn positiv getestete Patienten in der Klinik?

Leicht: In Lünen gibt es einen positiv getesteten Patienten. Aber das ist gar nicht unbedingt das Problem. Schwierig ist es, unsere anderen Patienten, die Symptome aufweisen und auf ganz unterschiedlichen Stationen liegen oder über die Notaufnahme kommen, zu filtern, gegebenenfalls zu testen und derweil zu isolieren. Das ist eine unheimliche Logistik. Am Anfang kamen auch noch viele Patienten vom Hausarzt mit Verdacht auf Corona. Die haben bei uns gar nichts verloren, das ist Sache des Gesundheitsamtes und spielt sich jetzt zum Glück ein. Eine Mammut-Aufgabe ist es auch, unsere Intensiv-Beatmungsplätze auszubauen und aufzustocken für den Notfall.

Wie arbeiten Sie in Ihren Kliniken, die ja auf zwei Standorte verteilt sind, zusammen?

Risse: Wir haben übergeordnet ein Koordinationsteam, das sich jeden Morgen via Videokonferenz austauscht und Maßnahmen festlegt. Im Team sind Geschäftsführung, Pflegedirektoren, ärztlicher Direktor und die Hygiene. Hier stellen wir Regeln auf, die verbindlich für beide Häuser gelten. Um die Mitarbeiter zu informieren und auf den neuesten Stand zu bringen, wenden wir uns jeden Tag per Mail an alle. In Lünen trifft sich das mittlere Management jeden Tag zu einer kurzen Lagebesprechung. Ich stelle fest, dass die Teams interprofessionell enger zusammenrücken. Es ist gerade ein täglicher Wettlauf mit ungeheurer Dynamik und der Frage, wie wir es schaffen, immer ein, zwei Schritte voraus zu sein.

Sind bei Ihnen aktuell mehr Mitarbeiter krank?

Leicht: Nein, das sind sie nicht. Ich erlebe, dass die Pflegenden sich ihrer Verantwortung bewusst sind und auf sich achten. Wer erkältet ist, trägt Mundschutz oder bleibt zu Hause. Ich erlebe da auch keine große Verunsicherung. Wir arbeiten zudem gerade daran, wie wir gefährdete Mitarbeiter, die auch einer Risikogruppe angehören, in Bereichen einsetzen können, in denen sie besonders geschützt sind.

Wie Sie schon sagten, gibt es weder genug Personal noch Material, wenn es hart auf hart kommt...

Risse: Ja, diese beiden Faktoren sind das große Damoklesschwert. Hier brauchen wir Mut und Kreativität, auch mal zu unpopulären Entscheidungen: etwa Personal in die Intensivmedizin, ZNA oder auf die Infektionsstation zu entsenden, das dort nicht eingearbeitet ist. Das kann die Kollegen dort dann in vielen Dingen unterstützen, damit die ausgebildeten Mitarbeiter sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren können. Auch wenn es lange her ist, Herr Leicht und ich sind auch Fachpfleger. Wir würden dann wie andere Kollegen aus dem QM oder sonstigen Bereichen selbstverständlich mit anpacken. In puncto Material ist es ähnlich: Auch hier müssen wir bei Bedarf priorisieren und rationieren, was wir ohnehin schon tun.

Das Thema Corona scheint Ihren Tagesablauf zu dominieren und vieles scheint ungewiss. Wie bewahren sie da einen kühlen Kopf?

Leicht: Es ist unsere Aufgabe, in der Situation ruhig und besonnen zu agieren. Und ja, wir verbringen bestimmt 80 Prozent unseres Tages mit dem Thema. Auf der anderen Seite ist viel mehr Zeit, weil sämtliche Termine und AGs derzeit auf unbestimmte Zeit vertagt wurden. Operationen finden auch nur noch in begrenztem Rahmen statt.

Was ist wichtig bei Ihrer aktuellen Arbeit?

Risse: Vor allem eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit und eine Zurücknahme von Partikularinteressen. Letzteres kann ich gar nicht oft genug betonen. Wir müssen weiter täglich dynamisch reagieren und aus den neuesten Entwicklungen Handlungen ableiten. Dabei halte ich es für entscheidend, dass Führungskräfte ruhig, aber konsequent handeln. Wir können nicht alles ausdiskutieren.

Möchten Sie einen Ausblick wagen?

Leicht: Derzeit ist alles offen, ein Blick in die Glaskugel bringt uns nicht weiter. Ich wünsche mir, dass sich die Gesellschaft zurücknimmt, frei nach dem Motto unserer Facebook-Kampagne: Wir bleiben für Euch da! Bitte bleibt Ihr für uns daheim!

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