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KriseKein Ende der Lieferengpässe in Sicht – Klinikapotheken in Not

Eine Versorgungssicherheit und Lieferstabilität von Medikamenten ist weiterhin nicht absehbar. Die Apotheken im klinischen Markt warten händeringend auf Reformen, die zur besseren Versorgungsrealität führen.

Mehrere Medikamentenblister liegen übereinander.
DedMityay/stock.adobe.com
Symbolfoto

Im Bereich der Krankenhausapotheken wurde durch das Lieferengpassbekämpfungsgesetz (ALBVVG) die Verpflichtung zur Vorratshaltung bestimmter Antibiotika und Parenteralia, die in der intensivmedizinischen Versorgung von Krankenhauspatienten zur Anwendung kommen, erweitert. Ebenso sind unter bestimmten Voraussetzungen Zytostatika, die bei der Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt werden, verpflichtend vorzuhalten. „Trotz der beschriebenen Maßnahmen bleibt die Versorgungssituation in Krankenhausapotheken aufgrund nicht ausreichender Verfügbarkeit von Arzneimitteln in einigen Bereichen weiterhin angespannt. Anhaltende Lieferengpässe, insbesondere bei Antibiotika und Infusionslösungen, sind weiterhin präsent. Kliniken mussten teilweise in Erwägung ziehen, Operationen zu verschieben. Nur durch das Management und die Organisation alternativer Beschaffungswege durch die Krankenhausapotheken wird die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und damit die sichere Behandlung von Patienten auch in Zeiten instabiler Lieferketten gewährleistet“, so beschreibt esChristopher Jürgens, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA).

Personelle Herausforderung

Stefan Bode, Leiter Portfolio Management Pharma, Blut & Labor bei Sana Einkauf & Logistik, kann keine positive Botschaft verkünden: „Von 6000 Arzneimitteln sind weiterhin über 780 Mittel von Lieferengpässen betroffen.“ Dazu zählen unter anderem über 20 Antibiose-Präparate, Infusionslösungen, Blutdrucksenker, onkologische Produkte, wie z.B. Platine. Spezielle Schlaganfall-Medikamente mussten in der Vergangenheit bereits schon aus Kanada und Japan geholt werden. Im Sana-Einkauf ist Bode für die Absicherung der Versorgung in über 60 Klinik-Apotheken mit einem Einkaufsvolumen von 700 Millionen Euro jährlich in ganz Deutschland zuständig, darunter für neun eigene Sana-Apotheken. Allein zwei Vollzeit-Kolleginnen sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Engpässe auszugleichen und medizinische Mittel umzulenken. Die Sana Einkauf & Logistik sei bisher damit erfolgreich, in Teilen sei die Situation jedoch kritisch.

Von 6000 Arzneimitteln sind weiterhin über 780 Mittel von Lieferengpässen betroffen.

Das bestätigt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft im Überblick. „Für die Apotheken bedeuten Arzneimittel-Lieferengpässe weiterhin eine extreme Herausforderung. Der personelle Mehraufwand, um Alternativprodukte zu suchen, möglicherweise auch bei anderen Großhändlern zu bestellen oder sogar Mittel aus dem EU-Ausland zu bestellen, ist immens“, sagt Joachim Odenbach, Pressesprecher der DKG.  Ambulante und Klinische Arzneimittel sind zwei vollkommen hermetische Marktbereiche. Erschwerend kommt hinzu, dass es für den Großhandel zwar eine Belieferungspflicht für ambulante Apotheken gibt, nicht aber für Krankenhäuser.

Abhängig vom Preisdiktat des asiatischen Marktes

Schon vor vielen Jahren hatte Deutschland damit angefangen, die Kosten für Arzneimittel immer weiter herunterzudrücken. Die Industrie produzierte daraufhin zunehmend im Ausland. „Heute haben wir ein stark globalisiertes Wirkstoff-Thema “, sagt Bode. Von Aspirin bis Antibiotika werde vor allem in Asien, China, Indien, Pakistan, der Mongolei produziert. Die Nachfrage in den eigenen Volkswirtschaften, vor allem in Indien wächst stark. Deutschland sei inzwischen in einer Abhängigkeit des Preisdiktates des asiatischen Marktes. „Es wird immer knapper in den Kliniken. Die Preise entwickeln sich dynamisch nach Angebot und Nachfrage“, beschreibt Bode die Situation.

Heute haben wir ein stark globalisiertes Wirkstoff-Thema.

In Europa herrscht inzwischen überall ein latenter Mangel an Arznei-Ware. Da Deutschland das Land mit den günstigsten Preisen ist, verkaufen die Hersteller bei Knappheit vieles lieber woanders hin. Hierzulande steht damit immer weniger zur Verfügung. Bode: „Das System ist inzwischen so ausgereizt, dass wir viele Mittel nur genau in der Menge bekommen, die wir normalerweise brauchen. Kommt es zu kurzen Produktionsproblemen, kann keine Ersatzfirma dies auffangen.“

Ersatz-Beschaffung: Von Hannover über die Türkei und zum vierfachen Preis zurück

Ein Beispiel war die knapp gewordene Kochsalzlösung, nur weil ein Großunternehmen kurz nicht liefern konnte. „Das Paradoxe: Wir haben dann das Salz, welches ursprünglich aus Hannover kommt, über die Türkei und die Schweiz bestellt. Auch die Plastikbeutelchen dazu waren aus Hannover. Fertig angemischt kam die Arznei dann zum vierfachen Preis zurück!“ Steriles Wasser wurde aus Portugal und Polen beschafft. So sieht der Alltag aus, wenn man nach alternativen Lösungen sucht.

Das Paradoxe: Wir haben dann das Salz, welches ursprünglich aus Hannover kommt, über die Türkei und die Schweiz bestellt.

Allein durch Probleme am Suezkanal, durch Rebellen, Covid und Krieg war zu sehen, wie schnell Lieferketten abreißen – mit Folgen für den europäischen Markt. Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) lag frühzeitig auch Experten wie Bode zur Ansicht vor. Ein Vorrat für vier Wochen sollte aufgebaut werden, aber selbst das geht nicht, weil gar keine Ware dafür da ist. Auch Artikel für Notfälle fehlen. Bode und sein Team rechneten die erhobenen Zahlen für Produktbeschaffung und Investitionen in zusätzlich benötigte Lagerflächen auf den stationären Sektor hoch. Herausgekommen ist ein kalkulatorischer Vorhaltebedarf von 100 Millionen Euro jährlich, um dieses Gesetz zu verwirklichen. Daraufhin berieten die Experten die Politik, dass Anreize geschaffen werden müssten, in Europa zu produzieren. Bode: „Die haben sich dann bedankt und – alles ignoriert.“ Das Grundproblem sei: „…dass wir bereit sein müssen, mehr Geld für Arzneimittel auszugeben.“

Verschiedene Meinungen von Experten und Institutionen

„Über die Verpflichtung von pharmazeutischen Unternehmen, Arzneimittel an den pharmazeutischen Großhandel zu liefern, hinaus fordern wir eine Ergänzung der Lieferverpflichtung durch die Industrie auch an Kliniken/Krankenhausapotheken“, Christopher Jürgens, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA). Auch die DKG ist der Meinung, dass es nicht möglich sein wird, mit einigen kleineren Stellschrauben das Problem lösen zu können. Odenbach: „Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Versorgungssicherheit und einen gesamteuropäischen Ansatz, um die Produktion gerade von generischen Produkten und Altoriginalen in Europa wieder sicherzustellen. Von der Wirkstoffproduktion gar nicht zu reden.“

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geht auf klinische Engpässe nicht ein. Allgemein gelte: „Periodisch auftretende Nichtverfügbarkeiten einzelner Wirkstoffe, Stärken oder Darreichungsformen von Antibiotika können generell auftreten, wobei entweder wirkstoffgleiche Alternativen (z. B. Stärke, Darreichungsform) oder therapeutische Alternativen nach vorliegender Datenlage zur Verfügung stehen werden. Insofern ist also nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen“, sagt ein Pressesprecher.

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Aus dem Bundesministerium für Gesundheit heißt es: „Anders als vielfach suggeriert, gibt es in Deutschland keine allgemeine Versorgungsknappheit von Arzneimitteln, sondern punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen Markt“.

Trotz Lieferengpässen, so das BMG, könnten die Patienten in Deutschland grundsätzlich mit therapiegerechten Arzneimitteln versorgt werden – bei Lieferengpässen bestimmter Arzneimittel stehen fast immer wirkstoffgleiche Arzneimittel oder therapeutische Alternativen zur Verfügung. Dies könne zwar zu einem erhöhten Aufwand in Apotheken führen, stelle aber die Versorgung von Patienten sicher.

Insbesondere mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) seien die gesetzlichen Bestimmungen so verändert worden, dass Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver wird. „Entsprechende Rahmenbedingungen wurden durch Anreize für die Wirkstoffherstellung in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bei den Ausschreibungen der Rabattverträge und neuen Möglichkeiten zur Preisanhebung verbessert“, so die Pressestelle des BMG. Mittelfristig werde sich die Lage zudem dadurch verbessern, dass mit Auslaufen der alten Rabattverträge, die im ALBVVG vorgeschriebenen neuen Regelungen zu Rabattverträgen flächendeckend für alle Verträge gelten, die zu einer Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln verpflichten.

Der ADKA weist darauf hin, dass viele Krankenhausapotheken nicht die räumlichen Kapazitäten haben, um solch große Arzneimittelmengen für längere Zeit zu lagern. Der Fokus muss daher auch weiterhin darauf liegen, dass die Versorgung der Kliniken bedarfsgerecht erfolgen kann, ohne den Druck auf die Krankenhäuser vor Ort zu erhöhen. Eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten entlang der Lieferkette sei unerlässlich, um langfristig eine stabile und verlässliche Arzneimittelversorgung in Krankenhausapotheken sicherzustellen.

Die dokumentierten Engpässe hätten Ende des dritten Quartals 2024 wieder das Niveau von Anfang 2022 erreicht, heißt es vom Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI). Derzeit seien mehr als drei Millionen Versicherte von Arzneimittellieferengpässen betroffen und nach wie vor 500 Engpass-Präparate gelistet. ZI-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried entnimmt den Zahlen, dass das Ende Juli 2023 in Kraft getretene ALBVVG lediglich ein kleines Pflaster auf einige der Versorgungslücken gewesen sei. Das Strukturproblem einer zu geringen Zahl von Wirkstoffherstellern bliebe trotz zahlreicher finanzieller Anreize des Gesetzgebers ungelöst.

Derzeit sind mehr als drei Millionen Versicherte von Arzneimittellieferengpässen betroffen.

Dass die Lieferengpässe längst zur politischen Zerreißprobe geworden sind, ist überall zu hören. „Die oft zu geringe Anzahl der Wirkstoffhersteller ist durch die Gesetze der Ampel nicht vergrößert worden. Weiterhin hängen Lieferketten am seidenen Faden und drohen schon bei kleinen Störungen zu zerreißen. Neben nationalen Anstrengungen braucht es auch gemeinsame europäische Lösungen“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge MdB, der kma. Die EU als globaler Player habe hier andere Möglichkeiten, die für Standort- und Produktionsbedingungen der Hersteller entscheidend sein können. Anfang 2025 solle ein Gesetz für kritische Arzneimittel von der EU-Kommission vorgelegt werden. Die nächste Bundesregierung sollte diesen Prozess konstruktiv begleiten.

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