
Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Die Deutsche Presse-Agentur hat den Gesundheitsökonomen gefragt, wie eine Krankenhausreform in Sachsen-Anhalt aussehen könnte. Anfang April war in Magdeburg ein Gutachten zur Zukunft der Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt vorgestellt worden, das die Landesregierung in Auftrag gegeben hatte.
Herr Prof. Busse, Gutachter empfehlen Sachsen-Anhalt, die Basisversorgung bei der stationären Versorgung wohnortnah zu organisieren und schwere Fälle stärker an großen Kliniken zu konzentrieren. Schon jetzt gibt es mehrere Krankenhäuser in Magdeburg und Halle, im ländlichen Raum aber werden die Wege zum Teil immer weiter. Wie ist das zu lösen?
Die Beobachtung stimmt, aber sie wird immer so interpretiert, als ob der ländliche Raum benachteiligt wäre. Eigentlich muss man das mal umdrehen und sagen: Wir haben insgesamt ein Problem mit zu vielen kleinen Krankenhäusern in Deutschland – und das insbesondere in den Städten. Die Stadtbevölkerung hat vielleicht das Gefühl, privilegiert zu sein und die Landbevölkerung das Gefühl, benachteiligt zu sein. Entscheidend ist aber, dass die Patienten im richtigen Krankenhaus behandelt werden. Es nützt nichts, wenn Menschen in der Stadt einen kurzen Weg haben, aber im falschen Krankenhaus behandelt werden. Und es wäre auch falsch, jetzt auf dem Land mehr Krankenhäuser aufzumachen.
Im Bereich der Notfallversorgung verweist das Gutachten auf Defizite bei der Behandlung von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Wie kann es gelingen, Patientinnen und Patienten dort zu behandeln, wo es sinnvoll ist?
Wir wissen, dass die meiste Zeit verloren geht, bis die 112 gerufen wird. Da müssen wir Aufklärung in der Bevölkerung betreiben. Für den Weg zum Krankenhaus ist auch eine gute Dichte bei den Rettungswachen wichtig. Helfen können zudem Rettungshubschrauber. Es ist unverständlich, dass wir kaum Rettungshubschrauber haben, die nachts und bei schlechtem Wetter fliegen können. Das ist in Ländern wie Dänemark, Norwegen und Schweiz ganz anders. Das gehört dazu. Und letztlich ist aber auch wichtig, dass man tatsächlich in das richtige Krankenhaus kommt. Wenn ich einen Schlaganfall habe, ist es nicht sinnvoll, ins Krankenhaus zu kommen, das nur zehn Minuten weg ist, wenn das für eine Behandlung aber gar nicht ausgestattet ist. Man muss die ganze Kette betrachten.
Die Kliniken sollen sich insgesamt stärker spezialisieren. Wie muss die Politik diesen Prozess steuern?
Die Länder haben die Aufgabe, die Krankenhausplanung zu machen. Sie behaupten auch, dass sie das tun. Aber de facto läuft das nicht gut. Ein Gesundheitsministerium überlegt sich häufig nur: Wie viele Krankenhäuser brauchen wir? Und denkt, je mehr, desto besser. Und dann wird zumeist geplant, welche Fachabteilungen man braucht. Anschließend kriegt das Krankenhaus einen sogenannten Feststellungsbescheid. Da steht aber nicht detailliert genug drin, welche Leistung das Krankenhaus erbringen darf. Das muss viel spezifischer ausfallen. Nicht nur Fachabteilungen sollten hier aufgeführt werden, sondern einzelne Leistungsgruppen, etwa „Eingriffe an der Wirbelsäule“ oder „Brustkrebs“. Mit festem Willen kann man Spezialisierungen auch steuern.
Die Zahl der Fälle ist nach der Corona-Pandemie in vielen Kliniken gesunken. Was bedeutet dieser Trend?
In Deutschland haben wir insgesamt zu viele Behandlungen im Krankenhaus. Wir haben im Schnitt 50 Prozent mehr vollstationäre Krankenhausfälle pro Einwohner als unsere Nachbarn. Es gibt Länder wie die Niederlande, die haben fast dreimal weniger Fälle. Und das liegt natürlich nicht primär daran, dass die jetzt alle gesünder sind in den Niederlanden, sondern dass die eben viel mehr ambulant behandeln. Blinddarmoperationen oder Leistenbruchoperationen müssen nicht immer vollstationär gemacht werden. Die werden in vielen Ländern, etwa in Dänemark, ganz überwiegend ambulant gemacht. Auch bei Krebsbehandlungen kann man Reformen einleiten.
Welche?
Der komplexe Eingriff, die initiale Behandlung, muss natürlich in einem spezialisierten Krankenhaus erfolgen, beispielsweise bei Krebs der Bauchspeicheldrüse. Da kann man durchaus auch von der Altmark nach Magdeburg fahren. Muss ich dann aber auch immer für die hoffentlich ambulant erfolgende Folgebehandlung nach Magdeburg fahren? Oder kann das kleinere Krankenhaus in Stendal oder in Salzwedel dies auch übernehmen? Auf so etwas müssen sich die kleinen Krankenhäuser mehr einstellen, als Satellitenstationen angedockt an die Unikliniken. Die Krankenhäuser müssen insgesamt viel mehr miteinander kooperieren und sich mehr als Netzwerk statt als Konkurrenz verstehen.
Die Finanzierung der Geburtshilfe ist oft nicht auskömmlich. Es gibt immer wieder Schließungen in Sachsen-Anhalt. Müssen sich die Leute damit abfinden, dass Kinder nicht mehr nahe der eigenen Heimatstadt geboren werden? Oder sollte der Staat diesen Bereich anders finanzieren?
Jede Familie wünscht sich eine Geburt, die ohne Komplikationen verläuft. Das Besondere an der Geburtshilfe ist ja aber, dass es um die komplizierten Fälle geht. Bei bekannten Risikogeburten kann man die Situation vorher einschätzen und dafür sorgen, dass die Geburt eben nicht in einem kleinen Haus stattfindet, sondern in einem Zentrum. Das Problem ist, dass etwa die Hälfte aller Komplikationen, die während der Geburt passieren, bei einer bis dahin stinknormalen Schwangerschaft vorkommen. Wenn wir auch da gute Ergebnisse haben möchten, dass eben die Kinder, im schwersten Fall sogar die Mütter, nicht mehr sterben, wird man nicht umhinkommen, Geburten an zentralen Orten durchzuführen. Dort ist mehr Expertise und die ist oft innerhalb von Sekunden vonnöten, etwa beim Nabelschnurvorfall. Bei denjenigen, wo es unkompliziert läuft, können Mutter und Kind ja schnell nach Hause. Das muss die Politik den Menschen immer wieder erklären.
Ein großes Thema ist der Fachkräftemangel. Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Wir haben in den letzten 20 Jahren kaum bemerkt, dass die Anzahl der im Gesundheitswesen arbeitenden Personen in Deutschland um 50 Prozent angestiegen ist. Wir hatten im Jahr 2000 vier Millionen Beschäftigte, jetzt sind es sechs. Mit der Umstrukturierung der Krankenhäuser hin zu mehr ambulanten Eingriffen und kürzeren, zielgerichteten stationären Aufenthalten kann man Personal freisetzen. Es hat dann die Zeit, sich um die verbleibenden, tatsächlich stationär zu behandelnden Patienten zu kümmern. Insofern muss das Fachkräfteproblem mit dem Qualitätsproblem betrachtet werden. Die Puzzleteile sind da ganz eng miteinander verbunden.





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