Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Ärztlicher NotdienstNotaufnahmen fürchten die Folgen des Poolärzte-Urteils

Die Arztsuche im Südwesten wird schwieriger, denn nach einem Urteil läuft der ärztliche Notdienst selbst im Notfallmodus. Manche Praxen schließen bereits, und auch in anderen Bundesländern wächst die Sorge. Kliniken fürchten die Folgen für ihre Notaufnahmen.

Arzt sitzt seiner Patienten gegenüber und erklärt. Auf dem Tisch vor ihm liegen Dokumente und ein Wasserglas.
Ngampol/stock.adobe.com
Symbolfoto

Nach einer weitreichenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ist in Baden-Württemberg ein Notfallplan für den ärztlichen Bereitschaftsdienst angelaufen. Die Menschen im Land müssen sich in nächster Zeit voraussichtlich auf längere Wartezeiten und vollere Praxen einstellen – insbesondere am Wochenende und außerhalb der Sprechzeiten. Die Notfallmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) sollen für mindestens drei Monate gelten.

Einige Notfallpraxen bleiben derzeit komplett geschlossen, in anderen kommt es zu Einschränkungen. Sie machen unter der Woche gar nicht mehr oder nur noch teilweise auf, sondern konzentrieren sich auf das Wochenende und Feiertage. Darüber hinaus gelten in vielen weiteren der 115 Notfallpraxen im Land verkürzte Öffnungszeiten.

Ansturm auf Notaufnahmen erwartet

Mehrere Verbände fürchten nun, dass mehr Menschen in die Notaufnahmen gehen werden – auch ohne triftigen Grund. Der Virchowbund etwa, in dem die niedergelassenen Mediziner organisiert sind, prophezeit überlaufene Notaufnahmen. Die ärztliche Versorgung werde erneut massiv bedroht. Seit Monaten hätten Verbände und Organisationen davor gewarnt, welche einschneidenden Folgen eine mögliche Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Bereitschaftsdienst für die ambulante Versorgung hätte.

Auch der Ärzteverbund Medi, der nach eigenen Angaben rund 5000 niedergelassene Mediziner und Medizinerinnen vertritt, befürchtet Einschränkungen für die Patienten. Künftig müssten die niedergelassenen Ärzte die Notdienste parallel stemmen, sagt der Medi-Vorsitzende Norbert Smetak. Das bedeute reduzierte Notdienstzeiten, weniger Sprechzeiten in der Regelversorgung und einen weiteren Ansturm auf die Notaufnahmen der Krankenhäuser.

Ortenau Klinikum appelliert an Patienten

Das Ortenau Klinikum etwa appelliert an die Patienten sich auf die neuen Öffnungszeiten einzustellen, wenn sie den Ärztlichen Bereitschaftsdienst in den Notfallpraxen in Anspruch nehmen müssen. „Die Notaufnahmen unserer Kliniken sind für schwere Notfälle zuständig“, betont der Medizinische Vorstand, Dr. Peter Kraemer. Im Ortenaukreis sind die Notfallpraxen in Achern und in Lahr betroffen.

Es sei wichtig, dass die Notaufnahmen ausschließlich von Patienten in schweren und lebensbedrohlichen medizinischen Notfällen aufgesucht würden. Nur so könne für diese Patienten möglichst ohne lange Wartezeiten die Behandlung gewährleistet werden. Beispiele für schwere und lebensbedrohliche Notfälle seien starke Atemnot, Bewusstlosigkeit, stark blutende Wunden, Herzbeschwerden, Verdacht auf Schlaganfall, Lähmungserscheinungen, Komplikationen in der Schwangerschaft, Vergiftungen und starke Schmerzzustände, mahnt Kraemer.

Rems-Murr-Kliniken befürchten Härtetest

Die Rems-Murr-Kliniken sehen die Mitarbeitenden in ihren beiden Notaufnahmen als Leidtragende des Urteils. „Sie werden die Folgen spüren“, sagt Geschäftsführer André Mertel: „Unser Klinikpersonal wird die Einschränkungen im Notfalldienst der niedergelassenen Ärzteschaft nicht vollständig auffangen können.“

Die Interdisziplinären Notaufnahmen der Rems-Murr-Kliniken arbeiten an den Standorten Winnenden und Schorndorf mit den Notfallpraxen der Niedergelassenen räumlich und zeitlich eng verzahnt im sogenannten Ein-Tresen-Modell zusammen. Notfallpraxis und Notaufnahme sind an einem Ort gebündelt. Das Modell sei seit sechs Jahren ein Erfolgsmodell, betont Landrat Dr. Richard Sigel, Aufsichtsratsvorsitzender der Kliniken:Dieses Modell wird nach dem aktuellen BSG-Urteil nun einem Härtetest unterzogen, der dem Personal ebenso wie den Patientinnen und Patienten einiges abverlangen wird.“

Gericht: Poolarzt muss sozialversichert werden

Hintergrund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts. Die Kasseler Richter hatten am Dienstag entschieden, dass ein Zahnarzt sozialversichert werden muss, wenn er als sogenannter Poolarzt einem von der KV organisierten Notdienst nachkommt. Die KVBW kündigte nach der Entscheidung an, mit „sofortiger Wirkung die Tätigkeit der Poolärztinnen und Poolärzte“ zu beenden. Das bestehende System könne in der bisherigen Form nicht weitergeführt werden, da der ärztliche Bereitschaftsdienst in seiner Organisationsstruktur wesentliche Ähnlichkeiten mit dem zahnärztlichen Bereitschaftsdienst aufweise.

Vor dem Urteil haben laut KVBW rund 3000 Poolärzte etwa 40 Prozent der Dienste in den Notfallpraxen und der medizinisch erforderlichen Hausbesuche übernommen – und so die niedergelassenen Ärzte entlastet. Ihr Wegfall könne nicht schnell kompensiert werden. Der Notdienst soll weiter sichergestellt sein – aber nicht im bisherigen Umfang.

Nicht betroffen von den Maßnahmen sind gebietsärztlich organisierte Dienste wie der augenärztliche und der HNO-Notfalldienst. Auch die Kindernotfallpraxen bleiben bestehen. Der Rettungsdienst und die Notaufnahmen sind ebenfalls nicht betroffen. Die künftige Struktur des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Baden-Württemberg war zunächst offen. „Das werden wir erst entscheiden, wenn uns die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt und wir alle Details kennen“, hatte KVBW-Vorständin Doris Reinhardt mitgeteilt.

Sorgen in Rheinland-Pfalz und im Saarland

Auch nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland (KVS) drohen Schließungen von Ärztlichen Bereitschaftspraxen. Das Urteil werde „künftig leider gravierende Auswirkungen für die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten haben“, teilte die KVS in Saarbrücken mit. Durch die Sozialversicherungspflicht kämen auf die KVS „finanziell und logistisch nicht zu stemmende Mehrbelastungen“ zu. Daher sei es unausweichlich, „die Poolärzte aus der Versorgung zu nehmen und die Bereitschaftsdienste den originär dienstverpflichteten niedergelassenen Ärzten und zugelassenen MVZ zuzuweisen“. Aufgrund der Knappheit an dienstfähigen Ärzten sei dies nur durch eine erhebliche Reduzierung der Bereitschaftsdienstpraxen realisierbar. Poolärzte sind Ärzte, die im Saarland nicht niedergelassen sind, aber auf freiwilliger Basis Bereitschaftsdienste übernehmen.

In Rheinland-Pfalz könnte ebenfalls die Schließung von ärztlichen Bereitschaftspraxen bevorstehen. Nach Einschätzung von KV-Chef Peter Heinz könnten künftig rund 60 Prozent der geleisteten Dienste wegfallen. Die Öffnungszeiten in zahlreichen ärztlichen Bereitschaftspraxen müssten als Konsequenz stark eingeschränkt werden und kleinere Einrichtungen schließen.

Andere Art der Vergütung in Hessen

In Hessen ist nach Angaben der KV Hessen noch offen, inwieweit sich die Entscheidung des Bundessozialgerichts auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst auswirkt. „Final können wir das noch nicht beurteilen“, sagte ein Sprecher. Es sei schwierig, Stellung zu beziehen, da es noch keine schriftliche Urteilsbegründung gebe. Zugleich weist die Vereinigung aber auf die unterschiedlichen Strukturen in den Bundesländern bei der Vergütung hin. Anders als im Südwesten werde in Hessen nach Leistung und nicht nach Stundenlöhnen gezahlt.

Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen