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Der kma Entscheider-Blog

kma Entscheider BlogKrankenhäuser in der Interventionsspirale

Der Gesundheitsminister kündigt eine umfassende Krankenhausreform an. Wird es am Ende wieder nur mehr klein-kleine Regulierung werden oder wird Lauterbach die Fallpauschalen ganz abschaffen, die er vor fast 20 Jahren als Berater von Ulla Schmidt mit eingeführt hat?

Philipp Köbe
Philipp Köbe ist freiberuflicher Dozent und Unternehmensberater im Gesundheitswesen.

In kaum einem Bereich greift der Staat so häufig ins Geschehen ein, wie im Gesundheitswesen. Und trotzdem führen die Maßnahmen oft ins Leere, setzen neue Fehlanreize oder verschlechtern die Gesundheitsversorgung. Kann der Staat es einfach nicht oder ist die Politik zu mutlos? Was wir heute sehen hat Ludwig von Mises schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als großes Risiko gesehen: Interventionsspiralen. Kurz gesagt entstehen dabei Wohlfahrtverluste durch Fehlallokationen der volkswirtschaftlichen Ressourcen.

Die Fallpauschalen waren eine gute Idee

Blicken wir 20 Jahre zurück. Deutschland hatte die längsten Klinik-Verweildauern in der hochentwickelten Welt. Es war klar, dass eine Umstellung des Systems erfolgen musste. Das war die Geburtsstunde der German-DRGs, des deutschen Fallpauschalensystems. Zunächst erfüllten die DRGs ihren Zweck, die Verweildauer ist über die Zeit gesunken. Zugleich wurden jedoch die Fehlanreize deutlich. Es war jetzt lukrativ Patienten möglichst kurz liegen zu lassen und bestimmte Fälle eher nicht aufzunehmen. In einer typisch deutschen, glanzvollen und akribischen betriebswirtschaftlichen Optimierung des Unternehmens Krankenhaus wurden die Kliniken auf effiziente Behandlungsfabriken getrimmt. Personal wurde abgebaut, Prozesse verschlankt, ganze Wertschöpfungsketten umgebaut. Im Ergebnis wurden damit erlöstreibende Behandlungen maximal ausgeweitet, während kostenfressende Aufenthalte minimiert wurden. Konkret bedeutete das ein Boom der Herzkatheterlabore und ein Verschwinden der Geburtshilfen.

Von einer Intervention zur nächsten Intervention

Was die Politik bei den Fallpauschalen nicht bedacht hatte war der Fakt, wenn sich Krankenhausaufenthalte verkürzen, müssen die Kliniken ihre Bettenzahl reduzieren oder auch ganz aus der Versorgung verschwinden. Krankenhausschließungen waren und sind jedoch maximal unpopulär. So mussten über die Jahre die Kliniken irgendwie überleben, wurden mit Steuergeldern über Wasser gehalten oder privatisiert. Lektion 1: Wer A sagt muss auch B sagen. Der Umstrukturierung der Versorgung (weniger und schneller stationär) muss die strukturelle Bereinigung (Klinikschließungen) folgen.

Inzwischen haben sich auch Wald-und-Wiesen-Krankenhäuser an komplexere Interventionen herangetraut, zulasten der Qualität. Mit dem Leopoldina-Papier aus 2016 wurde erstmals kommuniziert, dass Deutschland auf eine mittlere dreistellige Klinikanzahl verzichten könnte, zugunsten einer besseren qualitativen Versorgung. Schließlich kam die Politik darauf eine qualitätsorientierte Vergütung einzuführen. Dazu braucht es jedoch vernünftige, gut messbare Qualitätsindikatoren, die ein eigens dafür geschaffenes Institut entwickeln sollte. Ob am Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen jemals ernsthaft daran gearbeitet wurde und ob die Indikatoren jemals kommen, wir dürfen gespannt bleiben. Lektion 2: Wenn es einen Einheitspreis (Fallpauschale) gibt, dabei die Qualität jedoch irrelevant ist, dürfte selbige sinken. Eine qualitätsorientierte Vergütung ist daher sehr sinnvoll, weil sie einen Anreiz zur Outcome-Verbesserung setzt, wenn sie denn gekommen wäre.

Personalnot mit Ansage

Wir hatten dann also diese sagenhafte Optimierung, die insbesondere zu einer Verdichtung der Pflegetätigkeiten mit hoher Belastung für das Personal führte. Aber auch der Druck im ärztlichen Dienst ist deutlich angestiegen. Was mit Personaluntergrenzen in der Pflege begonnen hatte, endete schließlich mit einer vollständigen Ausgliederung der Pflegekosten aus den Fallpauschalen. Lektion 3: wenn Krankenhäuser mit einer Pauschale auszukommen müssen, sind Kosteneinsparungen in einem intensiven Anpassungswettbewerb (Kalkulationshäuser bestimmen den Preis) unumgänglich. Und die Personalkosten sind natürlich einer der größten Blöcke. Welchen Effekt die ausgegliederten Pflegepersonalkosten haben werden, ist noch nicht absehbar. Experten gehen von einem Kollaps der pflegerischen Versorgung aus, weil die Maßnahmen zu spät und mit unzureichender Schlagkraft kommen. Ob die Ausgliederung der Personalkosten in einem Engpassberuf eine gute Idee war, ist eine andere Frage. Jetzt können die Kliniken Fantasiegehälter zahlen und sich die Pflegekräfte gegenseitig abwerben, wobei die dabei entstehenden Kosten einfach refinanziert werden. Theoretisch gibt es noch eine Reserve von einigen Hunderttausenden ausgebildeten Pflegekräften, die nur auf bessere Arbeitsbedingungen warten, wie die Hans-Böckler-Stiftung berechnet hat.

Was hat der Gesundheitsminister vor

Gelegentlich verweist der Gesundheitsminister noch auf seine Mitwirkung bei der Einführung der Fallpauschalen. Allerdings will er das System überwinden und sucht nach neuen Lösungen. Aber woher sollen sie kommen und wie will er sie ausgestalten? Er sagt, dass wir in Deutschland 50% mehr stationäre Fälle haben als die umliegenden Länder. Wir haben also in den vergangenen 20 Jahren lediglich eine Verschiebung von der Verweildauer zu den Fallzahlen vorgenommen. An der stationären Überversorgung hat sich jedoch wenig geändert. Mit den Bundesländern stimmt Lauterbach derzeit die Eckpunkte für eine Reform ab. Dabei soll die ambulante und stationäre Versorgung besser verzahnt werden. Insgesamt wäre die logische Konsequenz, dass eine umfangreiche Leistungsverschiebung in den ambulanten Sektor erfolgen muss. Dafür müssten Länder und Kassenärztliche Vereinigungen jedoch auch die Leistungsplanung enger abstimmen oder besser noch integrativ gemeinsam durchführen.

Ob Lauterbach mit den Kinderkliniken den Einstieg in eine Fachabteilungs-Vorhaltepauschale beginnt, ist noch nicht abzusehen. Dabei könnten die Versorger pro Kind in einer Stadt oder in einem Landkreis eine Pauschale erhalten, unabhängig von der Versorgungsform. Das könnte dann der Einstieg in eine Leistungserbringung mit regionalen Versorgungsbudgets sein, wie sie die Stiftung Münch vorschlägt. Damit würde jedoch ein Paradigmenwechsel bei der Vergütung und damit einhergehend bei der gesamten Versorgerstruktur eingeläutet. Ob die Politik diesen Mut aufbringt, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass der Interventionismus ein Ende haben muss und wir endlich eine umfassende Reform benötigen, die nicht alles bis ins Detail regelt, sodass der Gesetzgeber in jährlich wiederkehrenden Reformen nachbessern muss.

 

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