Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

StrukturreformDie Bundesländer sind nun in der Pflicht

Die Länder haben sich im Ringen mit dem Bund erfolgreich gegen eine Beschneidung ihrer Kompetenzen bei der Krankenhausplanung gewehrt und sich so Mitspracherechte gesichert. Ihre klare Aussage an den Bund: Krankenhausplanung ist nicht nur unser Recht, wir können es auch besser.

Prof. Dr. Andreas Schmid
Oberender AG
Prof. Dr. Andreas Schmid ist Manager bei der Oberender AG und Mitglied des Vorstandes der DGIV.

Die Vergangenheit eignet sich hierfür nicht wirklich als Beleg. Es finden sich kaum Beispiele, dass Krankenhausplanung einen starken gestalterischen Anspruch hatte. In den meisten Ländern dominierte – in vielen dominiert noch heute – eine Fortschreibung etablierter Strukturen, die lediglich in ihrer Dimension behutsam angepasst werden. Bereits vor Corona existierten zum Teil massive Überkapazitäten, die Verteilung der Ressourcen entsprach weder dem Bedarf noch den Anforderungen einer modernen Medizin. Regionale Gesamtplanung – Fehlanzeige. Auch eine „hohe“ Förderquote von 70 oder 80 Prozent bleibt zunächst ein gebrochenes Versprechen, nämlich die Investitionskosten im Zuge der dualen Finanzierung vollständig zu tragen.

Umdenken hat begonnen

In einigen Bundesländern ist mittlerweile ein Umdenken zu erkennen. Nordrhein- Westfalen als bestes Beispiel hat den Versuch unternommen, Krankenhausplanung neu zu denken. Derzeit läuft die spannendste Phase dieses Großprojektes, in dem sich die Akteure auf regionaler Ebene auf Veränderungen einigen sollen. Der Erfolg ist noch nicht sicher, aber bereits heute kann festgestellt werden, dass mit einem neuen Bewusstsein auf vorhandene Strukturen geblickt wird. In Niedersachsen sind auf Basis des noch recht jungen Krankenhausgesetzes die ersten Regionalen Gesundheitszentren in der Umsetzung – ebenfalls Vorreiter, in einem wichtigen Schritt hin zu modernen, intersektoralen und bedarfsgerechten Versorgungsstrukturen.

Ohne Garantie, dass im ersten Schuss gleich die perfekte Umsetzung gelingt, aber ein extrem wichtiger Schritt. Einige Bundesländer folgen, so sieht auch das neue sächsische Krankenhausgesetz vergleichbare Optionen vor.

Andere Länder müssen sich hier zügig auf den Weg machen. Dass es kein Vorschaltgesetz gibt, die desolate wirtschaftliche Lage der Kliniken zu überbrücken, erhöht den Druck auf die Länder, konsequente und harte Entscheidungen bzgl. einzelner Standorte zu treffen, um knappe Investitions- und Rettungsschirmmittel zielgerichtet einzusetzen. Aber mit dem Krankenhausstandort hört es nicht auf – es gilt die regionale Versorgung in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen und stimmige Versorgungskonzepte zu entwickeln. Nicht zuletzt ist Krankenhausplanung ein intensiver kommunikativer Akt – hin zur Bevölkerung, aber auch hin zu den verschiedenen professionellen Stakeholdern im System. Hier müssen die Länder noch stärker in die erste Reihe und vor Ort, Lokalpolitikern und Krankenhausgeschäftsführern den Rücken stärken, erklären und vermitteln.

Sektorengrenzen überwinden

Gesundheitsversorgung ist aber nicht nur Krankenhaus. Gesundheitsversorgung beinhaltet ambulant tätige Vertragsärzte, Pflegedienste, Hebammen, Apotheken, Rettungsdienst und vieles mehr. Wird stationäre Versorgung neu strukturiert, dann muss das Gesamtpaket in den Blick genommen werden, sonst gibt es wenig mit Substanz, was man dem Bürger kommunizieren kann. Die im Eckpunktepapier beschriebenen Intersektoralen Versorger/Level 1i-Krankenhäuser sind hier ein zentraler Baustein mit in der Tat revolutionärem Potential. Dieses gilt es nun zu heben und nicht zu zerreden.

Doch nicht überall wird dies das Mittel der Wahl sein. Integrierte Versorgung wird in der Breite der Standard werden. Nicht nur aus guten Gründen, da die Qualität der Versorgung davon profitiert. Auch weil in absehbarer Zeit die Ressourcenknappheit – zuvorderst die Knappheit an Fachkräften aber auch an freien Finanzmitteln – es erzwingen wird, vom bekannten Status quo und etablierten Rollenverteilungen abzuweichen. Und ja, auch dann, wenn Ärzte, Krankenhäuser und die weiteren Aktiven dafür gefühlt gar keine freien Ressourcen haben. Welcher Vertragsarzt langweilt sich aktuell und sucht als Zeitvertreib ein neues Betätigungsfeld? Welcher Geschäftsführer und Ärztliche Direktor ist unterfordert mit seinen Aufgaben und will sich durch zusätzliche neue Felder auslasten?

Dies führt zu einer weiteren Herausforderung, die mit dem recht technokratischen Begriff der Krankenhausplanung in den kommenden Jahren einhergeht: Es wird kaum möglich sein, dass ohnehin schon überlastete Hausärzte einfach so obendrauf auch noch belegärztlich in einem Sektorenübergreifenden Versorger tätig werden. Genauso wenig wird ein Krankenhaus nicht ohnehin schon knappes ärztliches Personal im Status quo umfassend für einen diffusen Mix an ambulanten Angeboten bereitstellen können. Diese wäre die Parallele zu vielen gescheiterten Digitalisierungsprojekten, in denen dysfunktionale analoge Prozesse eins zu eins in dysfunktionale digitale Prozesse übersetzt wurden. Am Ende sind dann stets alle frustriert, da trotz massiven Aufwands nichts wirklich besser wurde.

Krankenhausplanung muss künftig auch stärker berücksichtigen, von welchen Aufgaben man sich trennen kann, weil sie auch anderweitig – besser oder mindestens ebenso gut – erbracht werden können. Vertragsärzte werden sich überlegen müssen, wie sie sich von Aufgaben freimachen können, die sie von ihrer Arbeit am Patienten abhalten. Der prompte und regelmäßig vehemente Einwand – würde ich ja gerne, aber die ganze Bürokratie lässt mich doch nicht – ist in weiten Teilen berechtigt, aber auch nicht immer. Viele Vorreiter zeigen, dass es mit Mut zur Veränderung durchaus Wege gibt, Versorgung neu zu denken, raus aus dem Hamsterrad und mehr in eine aktive und gestaltende Rolle zu kommen. Aber in großen Teilen ist die Kritik natürlich auch berechtigt. Ein Wust an Richtlinien, ein unaufhaltsam wachsendes Beauftragtenwesen, immer komplexere Vorgaben und Prüfaufwände haben sich die einzelnen Leistungsträger des Gesundheitswesens ja nicht selbst ausgedacht.

Damit schließt sich der Bogen und man kommt zurück zur künftigen Rolle der Länder. Vorbehalte, die sie sich im Eckpunktepapier haben einräumen lassen, z.B. bei der Gestaltung der Leistungsgruppen und den eng mit diesen verwobenen Qualitätsvoraussetzungen, geben ihnen einen Gestaltungsspielraum, der über die den Ländern üblicherweisegegebene Einflusssphäre hinausgeht. Es gilt Qualitätskriterien zu definieren, die zukunftsfest sind. Zukunftsfest auch dahingehend, dass sie den Akteuren Flexibilität gewähren und einen Vertrauensvorschuss geben, statt die zuletzt um sich greifende Misstrauenskultur noch weiter zu verfestigen.

Zukunftssichere Qualitätskriterien setzen

Zukunftsfest heißt dementsprechend auch, am Ergebnis ansetzend. In den letzten Jahren wurden die strukturellen Voraussetzungen immer weiter nach oben geschraubt. Die PPuG-Verordnung ist im Krankenhaus nun nahezu flächendeckend in Anwendung und hat die – sich vorrangig auf einzelne Indikationen stüt-zende wissenschaftliche Evidenz – schon weit hinter sich gelassen. Der strukturelle Fehler steckt im immanenten Nirvana- Optimismus – in der ökonomischen Literatur als Nirvana-Fehlschluss bekannt. Im konkreten Fall liegt dieser in der Annahme, dass dieser in der modellhaften Annahme, dass hinreichend Personal zur Umsetzung dieser Vorgaben zur Verfügung steht. Dieses fehlt jedoch bereits heute und künftig noch mehr. Wohl dem, der dann gut versorgt ein Bett ergattert hat, wehe dem, der im Krankenwagen Runden dreht, da sich die Krankenhäuser reihum aus Personalmangel abgemeldet haben. Dass die PPP-RL in der psychiatrischen Versorgung nochmals (und damit endgültig?) ausgesetzt werden muss, ist ein weiteres Beispiel für dieses Auseinanderfallen von gut gemeinter Tat und harter Realität.

Damit die Krankenhausreform zukunftsfähig ist, müssen die an die Leistungsgruppen gekoppelten Qualitätskriterien auch zukunftssicher sein. Ein reines Aufzählen von idealtypischen Personalbesetzungen wird den Praxistest kaum bestehen können, so wünschenswert ein derartiges Szenario auch sein mag.

Flexiblen Austausch von Ressourcen ermöglichen

Die Länder haben sich hier Mitspracherechte einräumen lassen, die sie nun auch in diesem Sinne nutzen müssen. Nicht um Kompromisse beim Qualitätsniveau im Ergebnis zu machen, sondern um flexible und kreative Lösungen zuzulassen. Die Qualität der Versorgung darf auch in peripheren Regionen nicht schlechter sein, als in urbanen Räumen, sie wird aber anders zu organisieren sein. Nicht alles wird sich dabei abschließend regeln lassen – dazu sind mögliche Konfigurationen zu vielfältig. Intersektorale Versorgung wird einen flexiblen Austausch von Ressourcen zulassen müssen, der sich an dem orientiert, was in der jeweiligen Region möglich ist. Je mehr die Länder durch konkretes Handeln dem Bund zeigen, dass sie die Strukturreform ernst nehmen, desto größer wird auch hier die Bereitschaft sein, Freiheitsgrade zu gewähren.

Dann liegen hierin auch große Chancen – trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen gibt es keinen Grund in völligen Pessimismus zu verfallen. Die Fortschritte in der Medizin sind beachtlich und kommen beim Patienten an – gleiches gilt für die Digitalisierung, allen Unkenrufen zum Trotz. Die DGIV hat es sich zur Aufgabe gemacht, positiven Beispielen eine Plattform zu bieten, konstruktive Kritik in den politischen Prozess einzubringen und dabei einen alle Stakeholder integrierenden Ansatz zu verfolgen. Bringen auch Sie sich ein!

2023. Thieme. All rights reserved.

DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.