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Medizincampus OberfrankenIntegration von Wissenschaft und Praxis

Hier die Gesundheitsversorgung mit ihren Fakten und von Zwängen geprägten Realitäten, dort der Elfenbeinturm mit seinen wissenschaftlichen Theorien und von Annahmen geformten Modellen. Zwischen diesen Welten braucht es Wege der interdisziplinären Translation mit solidem Fundament und bidirektional belastbarer Trittfestigkeit, die vor allem proaktiv und fortlaufend gepflegt werden.

Ärzte im Gespräch mit Röntgenaufnahmen und anderen Dokumenten.
Monet/stock.adobe.com
Symbolfoto

Sowohl wissenschaftstheoretische als auch versorgungspraktische Fragestellungen des Gesundheitswesens werden an der Universität Bayreuth intensiv untersucht. Insbesondere im Hinblick auf deren Weiterentwicklung unter den Bedingungen einer sich stetig verändernden, globalisierten Gesellschaft werden Themen wie Digitalisierung, Ökonomie oder die Gerechtigkeit der Gesundheitschancen gezielt einbezogen. Gleichzeitig haben sich in der Chemie und Biologie verschiedene naturwissenschaftliche Exzellenzbereiche wie die Genetik oder die Polymere etabliert. Auch diese nähern sich den medizinischen Fragestellungen an, sodass bereits eine Reihe von Forschungsverbünden und Studiengängen entstanden sind, die heute Anknüpfungspunkte für die medizinische Ausbildung, Forschung und Versorgung darstellen.

Gesundheit und Medizin im Fokus interdisziplinärer Forschung und Lehre

Diese vielversprechenden Entwicklungen werden seit Kurzem flankiert durch den Medizincampus Oberfranken. Dieser möchte junge Menschen begeistern, in zukunftsweisenden medizinischen oder medizinnahen Gebieten auf eine bessere Versorgung von Patientinnen und Patienten hinzuarbeiten. Der Medizincampus Oberfranken basiert auf einer Partnerschaft der Universität und des Universitätsklinikums Erlangen-Nürnberg mit dem Klinikum und der Universität Bayreuth. Im Februar 2019 fiel die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung, dort 100 Studierenden jährlich ein Studium der Humanmedizin zu ermöglichen. Dessen vorklinischer Teil startete bereits ein halbes Jahr später in Erlangen, wo es in den etablierten Erlanger Medizin-Studiengang integriert ist. Zum klinischen Studium, das ebenfalls unter Regie der Universität Erlangen stattfindet, kommen die angehenden Ärztinnen und Ärzte seit dem Sommersemester 2022 nach Bayreuth und zu einer wachsenden Zahl oberfränkischer Kooperationshäuser und -praxen.

Im Endausbau wird der Medizincampus Oberfranken 600 Studienplätze und 250 direkt geschaffene universitäre Arbeitsplätze anbieten – am Klinikum Bayreuth 30 klinisch-medizinische Professuren, an der Universität Bayreuth zehn Profilprofessuren in medizinnahen Bereichen. Alle werden mit dazu beitragen, dass sich ein hervorragendes neues Studienangebot mit einer spezifischen Identität herausbildet. Dass dafür generelle Themen wie die Digitalisierung, das öffentliche Gesundheitswesen oder die Sicherstellung der ländlichen Versorgung aufgegriffen werden, ist evident. Die neuen Angebote des Medizincampus Oberfranken stärken die Attraktivität von Studium und Forschung am Standort Bayreuth ebenso wie die medizinische Versorgung von Stadt, Region und dem Land.

An der Projektgeschäftsstelle des Medizincampus Oberfranken an der Universität Bayreuth laufen derzeit zwei innovative, interdisziplinäre Forschungsprojekte:

  • Die VERAH am Ort (VaO) ermöglicht es, delegierte hausärztliche Leistungen bei gleichbleibender Qualität effizienter zu erbringen.
  • Das Hausarztzentrierte Adipositas-Präventionsprogramm: Exercise & Nutrition (HAPpEN) gestaltet die Behandlung von Adipositas angenehmer und nachhaltig erfolgreicher.

Gesundheit und Medizin als individuelle Hilfe und soziale Wissenschaft

Es ist Ansatz des Medizincampus Oberfranken, die innovative Gesundheitsversorgung von ihren naturwissenschaftlichen Grundlagen bis zu anwendungsbezogenen Modellen auch in ihrer praktischen Umsetzung oder Weiterentwicklung zu begleiten. Kooperationen wie mit der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ergänzen das stetig wachsende regionale Netzwerk in Lehre und Forschung. Die zehn medizinnahen Profilprofessuren folgen dabei der Bayreuther Tradition des engen interdisziplinären Schulterschlusses und werden in den Schwerpunktbereichen „Public Health“, „Digital Healthcare“ sowie „Molekulare Biosysteme“ angesiedelt.

„Public Health“ beschäftigt sich als anwendungsorientiertes Fachgebiet vor allem mit bevölkerungs- und systembezogenen Fragestellungen der Gesundheitsförderung und Krankheitsvorbeugung. Dazu gehören auch die Gesundheitskompetenz, die Gesundheitskommunikation und die sozial gerechte Verteilung von Gesundheitschancen. Charakteristisch ist die Vielseitigkeit und Interdisziplinarität mit Methoden unterschiedlichster Disziplinen und vielfältigen Teilgebieten von der Versorgungsforschung bis zur Sozialmedizin. So können unterschiedliche, auch gegenläufige Partikularinteressen identifiziert, bewertet und abgewogen werden. Eine solche Überlegung gilt den gesundheitlichen Effekten der umwelt- und klimabezogenen Entwicklungen und entsprechenden medizinischen, politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen.

„Digital Healthcare“ umfasst die rasant und deutlich wachsenden Möglichkeiten in der Gesundheitsversorgung durch neue Technologien. Diese erstrecken sich von der Identifikation relevanter Probleme und Fragestellungen über deren Bearbeitung zur Lösungsfindung und Einbindung in die Versorgungspraxis. Schlüsselrollen haben dabei spezialisierte Anwendungen und Endgeräte, vor allem aber auch Methoden der Datenverarbeitung und die verbindende Infrastruktur. Ein solches Netzwerk kann die Gesundheitsversorgung vielfältig unterstützen, beispielsweise die Unabhängigkeit im Alltag durch zuverlässige, unauffällige und ortsunabhängige Assistenz erhalten oder medizinische Entscheidungen durch die Mustererkennung kleinster Regelmäßigkeiten, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten in Sprache, Text oder Bild unterstützen.

„Molekulare Biosysteme“ bilden einen Teilbereich der Biologie an der Schnittstelle von Medizin, Gesundheitsversorgung und Labordiagnostik. Diese Interdisziplinarität kombiniert Inhalte und Methoden der experimentellen Medizin mit verschiedenartigen Feldern der Biochemie, der Genetik, der Molekularbiologie oder der Zellbiologie. Dabei werden die Grundlagen des Lebens erforscht, um krankhaften Veränderungen vorbeugen oder sie behandeln zu können. Komplexe Systeme, die auf der gleichzeitigen Verarbeitung von Materialien und Stammzellen basieren, werden die Forschungslandschaft in der regenerativen Medizin zukünftig prägen. Aber auch Einflussfaktoren wie das menschliche Mikrobiom und die Epigenetik spielen entscheidenden Rolle in der zukünftigen medizinischen Versorgung.

Der Medizincampus Oberfranken als Knotenpunkt und Motor

Mit den Profilprofessuren unterstreicht die Universität Bayreuth die bei gesundheitsbezogenen Fragestellungen nötige Interdisziplinarität und ermöglicht eine Verknüpfung des klassischen Medizinstudiums mit der medizinnahen Forschung sowohl in anwendungs- als auch in grundlagenorientierten Bereichen. Eine Projektgeschäftsstelle ergänzt sie und ermöglicht, stärkt und beflügelt die Kooperationen mit Studierenden, wissenschaftlichen Communities und nicht zuletzt dem regionalen Umfeld. Der Gedanke der interdisziplinären, integrierten Forschung ist dabei stets leitend und wird – dem Grundsatz der Translation folgend – auch in die medizinische Versorgung hineingetragen.

Zu deren Sicherung gilt die Regionalisierung der Ärzteausbildung unter Verantwortung der Universitätsmedizin als zukunftsweisend. So können moderne Ansätze gerade in ländlichen Regionen gut erprobt werden. Konkretisiert in Projekten, die in Regionen geringer Einwohnerdichte, rückläufiger Erwerbstätigenzahlen oder einem steigenden Durchschnittsalter der Ärzte- und der Bürgerschaft durchgeführt werden, stehen solche Vorhaben vor zwei Herausforderungen: die Verstetigung der Innovation über die Förderphase hinaus und die Bindung von Medizinerinnen und Medizinern an die Region. Beides wird durch die interdisziplinäre, Wissenschaft und Praxis integrierende Zusammenarbeit deutlich erleichtert. Nur das wissenschaftliche Arbeiten in realen Kontexten erreicht die höchste Relevanz für die Versorgungswirklichkeit, mehrt deren validierte Optionen, steigert deren Attraktivität und sichert ihre Qualität zukunftsfest: ein Gewinn sowohl für die Gesundheitsversorgung als auch für den Elfenbeinturm.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e. V. (DGIV) hat zum Ziel, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zu entwickeln und im Kontext sich verändernder Versorgungsaufgaben als Ansatz für eine „neue Regelversorgung“ durchzusetzen. Sie verfasst und adressiert Positionspapiere z.B. anlässlich von Wahlen oder zu Themen wie der Digitalisierung. Ebenso führt sie Veranstaltungen von Workshops bis zu Kongressen durch.

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DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.