
Bereits während der Covid-19-Pandemie gaben in einer im Dezember 2020 durchgeführten Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe unter 3 571 Pflegekräften rund ein Drittel der Befragten an, in den vergangenen 12 Monaten häufig darüber nachgedacht zu haben, ihren Beruf zu verlassen. Diese Entwicklung ist alarmierend, besonders vor dem Hintergrund, dass dem Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) zufolge bis zum Jahr 2030 allein in den Kliniken ca. 63 000 Pflegekräfte zusätzlich benötigt werden. Es zeichnet sich somit ab, dass der bereits bestehende Pflegepersonalmangel weiter zunehmen wird.
Eine sorgfältige Dienstplangestaltung kann die langfristige Bindung von Fachkräften fördern und somit dem drohenden Personalmangel entgegenwirken.
Neben dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge, der Babyboomer, sind die herausfordernden Arbeitsbedingungen als Ursache längst bekannt. Dazu zählt insbesondere die zunehmende Arbeitsintensivierung im Pflegeberuf, welche sich auszeichnet durch die tägliche Bewältigung von körperlich wie emotional schwerer Arbeit – oft unter Zeitdruck und mit kaum vorhandenen Pausenmöglichkeiten – inklusiveSchichtarbeit sowie Wochenend- und Zusatzdiensten für erkrankte oder fehlende Kolleginnen und Kollegen. Auch eine teils mangelnde Wertschätzung der erbrachten Pflegearbeit durch Führungskräfte und Gesellschaft sowie der hohe bürokratische Dokumentationsaufwand neben der pflegerischen Tätigkeit spiegeln sich im Belastungserleben der Pflegekräfte wider. Es ist zu konstatieren, dass alle genannten Belastungen Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Pflegekräfte haben und somit für eine massive Fluktuation aus dem Pflegeberuf sorgen – eine der Hauptursachen für den sich verschärfenden Personalmangel.
Um diesem entgegenzuwirken, ist eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung von entscheidender Bedeutung. Es gilt, Bedingungen zu schaffen, die den besonderen Anforderungen dieses Berufsfelds gerecht werden und gleichzeitig die Attraktivität des Pflegeberufs steigern.
Bessere Bezahlung und strukturelle Veränderungen nötig
Hierbei sind laut der 2023 veröffentlichten Studie des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Arbeitsplatzsituation in der Akut- und Langzeitpflege neben einer angemessenen Bezahlung insbesondere strukturelle Veränderungen innerhalb der Organisation entscheidend: Eine Personalzusammensetzung, die am tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichtet ist, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, unterstützende Führungskräfte und partizipative Führungsmodelle sowie die Stärkung der eigenen Profession und Kompetenzen, bessere Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, aber auch die Digitalisierung am Arbeitsplatz.
Eine mögliche Lösung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen stellt die Arbeitsflexibilisierung mittels Umgestaltung von Dienstplänen dar. Durch eine optimierte Planung, welche die Bedarfe der Pflegekräfte berücksichtigt, können mithilfe eines kompetenten (kommunikativen) Umgangs der Führungskräfte mit komplexen Planungssituationen und funktionierenden Ausfallkonzepten Arbeitsbelastungen besser verteilt, Pausenzeiten besser berücksichtigt und eine entsprechende Work-Life-Balance für die Pflegekräfte erreicht werden.
Auch eine weitere vom BMG in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2022 erkennt in der „Flexibilisierung der Arbeit im Sinne der beruflich Pflegenden (…) das größte Potential“, Menschen, die sich in den vergangenen Jahren immer zahlreicher für eine Pflegeausbildung entschieden haben, langfristig zu binden. Es zeichnet sich ab, dass eine sorgfältige Dienstplanumgestaltung nicht nur die Arbeitszufriedenheit steigern, sondern auch die langfristige Bindung von Fachkräften fördern und somit dem drohenden Personalmangel in der Pflege entgegenwirken könnte. Erste Pilotprojekte am Klinikum Bielefeld („Pilotprojekt 4-Tage-Woche“) sowie an der Uniklinik Würzburg („FLEX4UKW“) zeigen zwei unterschiedliche Flexibilisierungslösungen auf, die zurzeit in der Praxis erprobt werden. Das „Pilotprojekt 4-Tage-Woche“ bietet den Teilnehmenden eine 4-Tage-Woche mit längeren Schichtzeiten. Dadurch versprechen sich die Verantwortlichen neben zufriedeneren Mitarbeitenden auch eine zuverlässigere Dienstplanung und bessere Schichtbesetzung – und schließlich mehr Zeit für die Patientenversorgung.
An der Uniklinik in Würzburg beabsichtigt „FLEX4UKW“ eine flexible Dienstplanung der Teilnehmenden nach ihren individuellen (zeitlichen) Bedürfnissen, verbindlich und im gewünschten Einsatzfachbereich. Das „Flex-Team“ kompensiert dabei entstandene Ausfälle im Stammteam und sorgt für mehr Planungssicherheit. Die beiden Pilotprojekte zeigen, dass die in der bereits zitierten Studie des BMG aufgefühten Wünsche der beruflich Pflegenden – Beteiligung an Entscheidungsprozessen, Förderung der individuellen Stärken sowie Vereinbarkeit von familiärer Pflege, Familie und Beruf – in den Kliniken Berücksichtigung finden.
Ausweg partizipativ gestaltete Dienstplanmodelle?
Auch ein vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP) in Auftrag gegebenes Gutachten zur zukünftigen Sicherung der intensivmedizinischen Versorgung in Bayern identifiziert Handlungsfelder für die Pflege, welche in vier Handlungsempfehlungen münden: „Führung, Verantwortung und Kommunikation für die Pflege neu denken“, „Selbstwirksamkeit und Kompetenz durch Aus- und Weiterbildung steigern“, „Work-Life-Balance als Leitbild für den Reformprozess etablieren“ sowie die „Pflege als zentralen Baustein der grundsätzlichen Reformen im Gesundheitswesen anerkennen“.
Damit diese Handlungsempfehlungen ihren Weg in die Praxis finden können, fördert das StMGP ein umfangreiches Modellprojekt der Universität Bayreuth, welches innovative, partizipativ gestaltete Dienstplanmodelle in rund sieben Kliniken in Bayern erproben und evaluieren soll. Im Zuge dessen werden in jeder Einrichtung die Präferenzen der Pflegekräfte sowie des Personals der Leitungsebene im Hinblick auf Anforderungen und Ausgestaltung von Dienstplänen erhoben. Auf dieser Grundlage implementiert jede Klinik ein neues und auf die Gegebenheiten vor Ort angepasstes Dienstplanmodell, das in einem weiteren Schritt extern evaluiert wird. Die Ergebnisse des Projekts können handlungsleitend für zukünftige Bestrebungen der Arbeitsflexibilisierung in den Pflegeabteilungen deutscher Krankenhäuser sein.
Ein Umdenken der Arbeitsbedingungen in der Pflege durch die Kliniken ist essentiell, um die Pflegetätigkeit darüber hinaus für Personen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen wie Berufs- und Quereinsteigende, Rückkehrende in den Beruf sowie ausländisches Pflegepersonal attraktiv zu machen. Gleichzeitig sind verbesserte Arbeitsbedingungen entscheidend, um das bestehende Personal in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern zu binden, den Austritt aus dem Beruf zu verhindern und den Einsatz von Arbeitnehmerüberlassung auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. „Attraktive pflegerische Rollen und Karrierewege – auch für akademisch ausgebildete Kolleg*innen [sic] – und moderne Arbeitszeitmodelle liegen in […] [der] Verantwortung [der Kliniken]“ konstatiert Christel Bienstein, Präsidentin des Berufsverbands für Pflegeberufe. An dieser Stelle setzt das Projekt der Universität Bayreuth an und soll den Kliniken einen Leitfaden an die Hand geben, um sie zu befähigen, diese Verantwortung zu übernehmen.



