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CoronaIntegrierte Versorgung im Spiegel der Pandemie

Die weltweite SARS-CoV-2-Epidemie mit ihren schwerwiegenden Erkrankungen und ihrer besonderen Form der Dissemination wirkt wie ein Scheinwerfer, der insbesondere wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Krisenbereiche hervorhebt. Hierzu gehört zuallererst die Gesundheitsversorgung.

Mehrere Viren und rote Blutkörperchen strömen durch die Blutbahn.
Romolo Tavani/stock.adobe.com
Symbolfoto

Die Corona-Pandemie stellt Gesundheitssysteme weltweit vor enorme Herausforderungen.
Hierzulande gelingt die Bewältigung – trotz aller Kritik – auch deshalb vergleichsweise gut, weil unser Gesundheitswesen materiell und personell im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut ausgestattet ist. Dies wird schon an einem einfachen Beispiel deutlich: England verfügt über 10,5 Intensivbetten pro 100 000 Einwohner (2020). Für Spanien sind es 9,7 solcher Betten (2017).

Dem steht der höchste Wert im Vergleich aller OECD-Länder von 33,9 Intensivbetten je 100 000 Einwohner (2017) in Deutschland gegenüber, die im zurückliegenden Jahr noch einmal deutlich aufgestockt werden konnten. Generell erlaubt es die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes bisher, mehr als 11,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheitsversorgung aufzuwenden. Auch dies ist ein Spitzenwert. Dabei lässt sich natürlich darüber streiten, wieviel Gesundheit für wieviel Geld „gekauft“ werden kann. Hohe Ausgaben – das ist aus internationalen Vergleichen bekannt – sind jedenfalls kein Garant für eine adäquate, d.h. hochwertige und im Zugang auch gerechte Versorgung.

Intersektorale Zusammenarbeit kann funktionieren

Wenn zu diesem Zeitpunkt schon ein erster Rückblick auf den Umgang mit der Pandemie erlaubt ist, dann hat das System der medizinischen Versorgung in Deutschland gezeigt, dass es auch über Sektorengrenzen hinweg in einem Notfall sachgerecht funktionieren kann. Hört man die offiziellen Vertreter und Vertreterinnen der stationären und ambulanten Interessensverbände, dann ist es zwar den jeweiligen Sektoren getrennt zuzurechnen, dass die medizinische Versorgung nicht aus den Fugen geraten ist. Die Realität dürfte aber etwas anders aussehen: Es war die grundlegende Voraussetzung für eine adäquate Patientenversorgung, dass Behandlungspfade nicht an den Sektorengrenzen abgerissen sind und vor Ort Brüche gemeinsam überwunden wurden. Offensichtlich gelingt dies in der Pandemie besser als es Patientinnen und Patienten im Routinebetrieb oft erlebt haben. Es gehört also zu den ersten Einsichten des Managements der SARS-CoV-2-Pandemie, dass ein Miteinander, welches auf eine sinnvolle Behandlungssituation für individuelle Patienten fokussiert, der richtige Weg ist.

Gesundheitssystem ist das zentrale Element der Daseinsvorsorge

Diese Erkenntnis unterstreicht, dass tiefgreifende gesundheitspolitische und strukturelle Korrekturen notwendig werden. Die Pandemie hat darüber hinaus vor allem für diejenigen, die in der Gesundheitsversorgung ein wirtschaftlich unzureichendes und vermeintlich zu teures gesamtgesellschaftliches Investment sahen, verdeutlicht, dass das Gesundheitssystem ein zentrales Element der Daseinsvorsorge darstellt. Ohne diese Investition und Vorhaltung ist unser Gemeinwesen nicht existenzfähig. Umso mehr stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, die Effizienz und Effektivität zukunftssichernd zu steigern.

Die Grundbedingung hierfür bleibt der adäquate, gleichberechtigte Zugang zur Versorgung. Dies betrifft sowohl den ambulanten als auch den stationären Bereich und schließt Versorgungsfelder wie die Prävention oder die Rehabilitation mit ein. Charakteristika unserer gesellschaftlichen Entwicklung, wie der demografische und epidemiologische Wandel oder auch die Zunahme der vulnerablen Gruppen, bedürfen besonderer Berücksichtigung.

Innerhalb des Systems bedeutet dies, dass Grenzen und Hindernisse zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen der Geschichte angehören müssen. Den Ansätzen zur Integrierten Versorgung gehört die Zukunft! Es darf nicht einzelnen Krankenhäusern oder einzelnen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in einer Region überlassen bleiben, wie eine barrierefreie Patientenversorgung gelingt. Und es geht auch nicht nur um eine intersektorale Zusammenarbeit, sondern vornehmlich auch um interprofessionelles Zusammenwirken. Der erste Schritt dazu – Modellprojekte ausgenommen – wären adäquate, stabile und konsistente normative Rahmenbedingungen, die den Beteiligten Sicherheit und Handlungsspielraum geben. Stattdessen finden wir bislang Stückwerk vor, von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung über die spezialisierte ambulante Palliativversorgung bis hin zu Disease-Management- Programmen und vielem mehr. Die Pandemie unterstreicht: Dies zu konsolidieren muss eine Priorität der Politik sein. Das bedeutet nicht, dass man von der Bandbreite unterschiedlicher Ansätze – beispielsweise von netzbasierten Modellen über MVZ bis zu Selektivverträgen – generell abrücken muss. Die Konsolidierung bezieht sich auf die gesetzlichen Regelungen. 30 verschiedene Paragrafen im SGB V, die die Sektoren in ihrer Bedeutung adressieren, sind das strukturelle Hindernis für die Integrierte Versorgung.

Es braucht dringend einen Paradigmenwechsel

Derzeit kommen gesetzliche Initiativen, die die Integrierte Versorgung stärken könnten, irritierenderweise ins Stocken. So wird das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung in der laufenden Wahlperiode voraussichtlich nicht mehr verabschiedet und auch die von der Großen Koalition ins Leben gerufenen Bund-Länder- Arbeitsgruppe „Sektorenübergreifende Versorgung“ bleibt hinter den Erwartungen zurück. Zwar gibt es Erleichterungen zu selektivvertraglichen Versorgungskonzepten im Bereich der sogenannten „Besonderen Versorgung“. Aber es fehlt unverändert die Bereitschaft zu einem Paradigmenwechsel.

DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.