
Wir müssen einmal über unser sogenanntes Glückshormon Dopamin sprechen – wobei es genauer gesagt nicht nur ein Hormon, sondern auch ein Neurotransmitter ist. Und als solcher ist eine seiner Hauptfunktionen, das Belohnungssystem im Gehirn zu aktivieren. Dopamin fördert und steuert also unseren Antrieb und kann regelrechte Motivationsschübe auslösen – oder eben nicht, wenn es nicht ausgeschüttet wird.
Warum ich an dieser Stelle diesen rudimentären Versuch unternehme, in einem Fachmagazin die Wirkung von Dopamin zu erklären? Weil ich den Eindruck habe, dass ein Großteil der handelnden Akteure in Politik und Gesundheitswesen nicht weiß, wie unser Belohnungssystem funktioniert. Wie anders ist es zu erklären, dass Innovationen derzeit regelrecht ausgebremst werden. Wäre ich Mediziner, würde ich dem deutschen Gesundheitswesen als Patienten einen gravierenden Dopaminmangel attestieren, der sich in Form von Antriebslosigkeit, schwindender Konzentration und vor allem fehlender Motivation äußern kann. Auch Müdigkeit und Gedächtnislücken sind Folgen, wenn der Dopaminspiegel zu niedrig ist.
Klare Symptome für Dopaminmangel
Vielleicht ist der niedrige Dopaminspiegel noch nicht für alle sichtbar. Deshalb will ich gerne erklären, was mich beunruhigt. Ende Mai musste mit Aidhere wieder ein Anbieter von digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA, Insolvenz anmelden. Begründet haben es die Verantwortlichen in einer Pressemitteilung mit einer Entscheidung der Schiedsstelle, den ursprünglich vereinbarten Vergütungsbetrag für ihre DiGA Zanadio – eine digitale Adipositas-Therapie – um mehr als die Hälfte zu reduzieren. Und das war nicht die erste Insolvenz. Auch Rehappy, eine App für Schlaganfallpatienten, und Newsenselab, eine M-sense Migräne Lösung, sind an finanziellen Hürden gescheitert, weil sie aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen wurden.
Nun kann man natürlich anbringen, dass laut Studien die Erfolgsquote bei Neugründungen gerade einmal bei zehn Prozent liegt. Andere Statistiken legen nahe, dass fast 70 Prozent aller Startups in den ersten drei Jahren scheitern. Demnach könnten die genannten Beispiele auch einfach den ganz normalen Wahnsinn des Gründertums widerspiegeln.
Wenn Unternehmen allerdings gute Produkte entwickeln und Lösungen bereitstellen, die wirklich einen Bedarf treffen, müssen Nachfragen erlaubt sein. Im Fall von Aidhere hier ein kleiner Exkurs: Laut Zahlen des Robert Koch Instituts, basierend auf Selbstangaben, sind 46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer hierzulande übergewichtig. Und laut den KiGGS Untersuchungen, einer Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, sind es 15 von 100 Kindern und Jugendlichen auch, sechs von 100 sind sogar adipös, also stark übergewichtig. Bei einer App, die als Therapie bei Menschen mit einem BMI über 30 auf langfristige Effekte einer Verhaltensänderung setzt und das mit mehr Bewegung und einer gesunden Ernährung kombiniert, dürfte sich das Gesundheitswesen demnach gar nicht mehr einkriegen. Denn laut Berechnungen der Universität Hamburg belaufen sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Adipositas in Deutschland – direkt und indirekte Kosten zusammengenommen – auf stolze 63 Milliarden Euro pro Jahr.
Den Fehler finden
Kann eine App, die einen der Hauptauslöser zahlreicher Volkskrankheiten adressiert, dann überhaupt scheitern? Offensichtlich. Vielleicht liegt das Problem darin begründet, dass die DiGA-Anbieter im ersten Jahr den Preis selbst bestimmen können und erst dann zäh über die Schiedsstelle verhandelt wird. Und wenn das dortigen Ergebnis dann über 50 Prozent unter dem ursprünglichen Preis liegt, war der initiale Preise entweder zu hoch oder die Schiedsstelle zu hart. Wenn die über Schiedssprüche erzielten Preise am Ende allerdings nicht reichen, um die Kosten für Investitionen, Betrieb und Weiterentwicklung zu decken, haben wir ein systemisches Problem – und kommen zwangsläufig auf meine Eingangsdiagnose zurück: Dopaminmangel. Denn wenn es sich nicht lohnt, kreativ, innovativ und mutig zu sein, wenn am Ende eines solchen Wagnisses nur Frust, Enttäuschung und vielleicht auch ein wirtschaftlicher Verlust stehen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen andere Wege einschlagen. Zumal die DiGA-Anbieter kaum die Mittel aufbringen können, sich über kostenintensive Widerspruchs- und Klageverfahren zu wehren oder ergänzende Studie zu finanzieren, um eine Streichung aus dem Verzeichnis zu umgehen.
Ich will damit nicht sagen, dass wir unsere Maßstäbe an die Wirksamkeit herunterschrauben sollen. Aber verlässlich und realistisch müssen die Rahmenbedingungen schon sein, damit die kreativen und innovativen Menschen im Land überhaupt einen Anreiz haben, Neues zu schaffen.
Neue Wege brauchen neue Rahmenbedingungen
Vereinfacht ausgedrückt, können wir nicht an alten Strukturen, Regeln und Maßstäben festhalten, wenn wir neue Wege gehen wollen. Und vor allem muss es erlaubt sein, über die Vergütung neuer Lösungen zu sprechen – nicht dogmatisch, sondern offen und konstruktiv. Was wir nicht brauchen, sind weniger Anreize. Doch genau das scheint aktuell die Intention des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dort möchte man nämlich mehrere DiGA nun auf Netzwerkverbindungen und Bibliotheken-Tracker prüfen. Auslöser war eine Anfrage von Handelsblatt Inside. Die Sorge: Daten könnten an Dritte weitergebenen werden und Nutzer nicht ausreichend informiert sein. Dass Datentracking für die Weiterentwicklung und Usability wichtig ist, wird in dem entsprechenden Beitrag zwar erwähnt, geschürt wird jedoch eher eine subtile Angst und Skepsis vor Gesundheitsanwendungen.
Im Englischen würde man jetzt sagen, cut Digital Health doch mal some slack! Alle, die sich in der Branche bewegen und tatsächlich gerade etwas zum Positiven für Professionals und Patienten verändern wollen, sind sich ihrer Verantwortung, die mit den Gesundheitsdaten einhergeht, durchaus bewusst. Wenn wir jetzt in Punkto DiGAs aber wieder die Datenschutzkeule rausholen, kann ich jeden Gründer und jede Gründerin verstehen, die resigniert das Handtuch wirft oder eine gute Idee, die zu einer bahnbrechenden Innovation führen könnte, gar nicht erst verfolgt.
Vielleicht beschäftigen wir uns alle noch einmal intensiv mit dem menschlichen Belohnungssystem. Alternativ könnten wir uns auch in der Tierwelt umschauen. Hier hat man sowohl im Training mit Pferden als auch im Training mit Hunden mittlerweile verstanden, dass die positive Verstärkung die Dominanztheorie in Punkto Erfolg um Längen schlägt. Wobei auch hier noch das ein oder andere Urgestein partout an den alten Strukturen festhalten will…





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