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KommentarWie aus einem 20-Mio ein 220-Mio-Abenteuer wurde

Eine App im Dornröschenschlaf, explodierte Kosten und eine gute Fee, die ziemlich hustet – die Bilanz der Corona-App.

Admir Kulin
m.Doc GmbH
Admir Kulin, Gründer und Geschäftsführer der m.Doc Gmbh.

Geld wächst nicht auf Bäumen. Diese Redewendung scheint derzeit vor allem auf Risikokapital zuzutreffen. Denn mit einer strafferen Geldpolitik und der hohen Inflation meiden Investoren Risiko geradezu. So hat die Unternehmensdatenbank Pitchbook erst kürzlich ausgerechnet, dass im ersten Quartal 2023 gerade einmal rund 800 Millionen Euro in europäische Health-Tech-Unternehmen flossen. Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres waren es mit 1,7 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel.

Wenn die wenigen Investoren, die noch ins Wagnis gehen, dann Start-ups aus anderen europäischen Ländern bevorzugen, haben wir hierzulange ein Problem. Das berichtete zumindest das Handelsblatt kürzlich unter Berufung auf eine Start-up-Beraterin. Und auch auf Regierungsebene ist man sich durchaus darüber im Klaren, dass Innovationen „made in Germany“ ohne entsprechenden Kapitalzugang nicht funktionieren können. Deshalb sollen Start-ups künftig leichter an Risikokapital kommen – mit Hilfe einer immerhin schon im Entwurf vorliegenden Start-up-Strategie vom Bundeswirtschaftsministerium. Ziel sei es, den deutschen Wagniskapitalmarkt weiter zu stärken und zusätzliche Möglichkeiten für großvolumige Finanzierungen durch inländische Investoren zu schaffen, heißt es dort. Immerhin noch in dieser Wahlperiode soll das Vorhaben umgesetzt werden, betont die Start-up-Beauftrage der Bundesregierung gegenüber der Tagesschau.

Wagnis und Kapitalspritzen kann die Regierung

Dass die Bundesregierung etwas von Kapitalspritzen versteht, die, sagen wir mal, durchaus mutig sind, hat sie während der Corona-Pandemie bewiesen. Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich hier in meiner Kolumne von meinem verrückten Traum berichtet. Damals ist mir meine gute Fee erschienen, um mir zu verkünden, dass ich 20 Millionen Euro zur Verfügung hätte, um eine Corona-App zu entwickeln.

Für mich blieb es ein Traum, die deutsche Corona-App wurde Wirklichkeit und von den Politikern hoch gelobt. Als wichtigen Helfer, wenn es darum geht, Infektionsketten zu erkennen und zu unterbrechen, bezeichnete sie Angela Merkel und ihr Kanzleramtschef Helge Braun war überzeugt, dass es zwar nicht die erste Corona-App geworden sei, dafür aber die Beste. Vielleicht meinte er auch: die teuerste. Denn bei den 20 Millionen blieb es natürlich nicht. Mit insgesamt 220 Millionen Euro war die Corona-App letztendlich deutlicher teurer als geplant, worüber dieser Tage kaum gesprochen wird – vielleicht, weil wir uns mittlerweile daran gewöhnt haben, dass Vorhaben von offizieller Seite das zunächst veranschlagte Budget fast schon zuverlässig in exorbitanten Höhen überschreiten und zudem auch deutlich länger bis zur Fertigstellung brauchen als geplant.

Über 220 Millionen Euro müssen wir reden

Und doch müssen wir über die 220 Millionen Euro für die App reden – weil sie seit dem 1. Mai dieses Jahres nicht mehr warnt und ab dem 1. Juni dann in den „Schalfmodus“ geht. Das heißt, sie wird weder aktualisiert noch ist sie in den verschiedenen App-Stores verfügbar. Man dürfe sie aber gerne behalten, um beispielsweise die gespeicherten Impfzertifikate weiter zu nutzen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach beton sogar explizit, man solle die App nicht löschen – aus einem einfachen Grund: Das nächste Virus komme bestimmt.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten, die Corona-App heute – quasi posthum – zu betrachten:

  1. Als das „Erfolgskonzept“ als das sie die Bundesregierung gerne verkaufen möchte. Ein Konzept, das für andere Infektionskrankheiten weiterentwickelt werden kann und das die breite Akzeptanz der Bevölkerung genießt. Immerhin wurde sie 48 Millionen Mal heruntergeladen. Über das konkrete Nutzungsverhalten lässt sich freilich nichts sagen – wir erinnern uns, da war der Datenschutz im Weg.
  2. Auch deshalb würde ich einmal annehmen, dass die große Mehrheit der Deutschen die Corona-App eher in die Kategorie Elbphilharmonie oder BER einordnet. Zumindest fordern erste Politiker wie FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann eine Evaluierung der App. Gegenüber der Tagesschau sagt er, dass gesamtgesellschaftlich ausgewertet werden müsse, ob die App überhaupt geholfen hat. Eine Weiterentwicklung, das sagte er gegenüber der Funke-Mediengruppe, sei Verschwendung von Zeit und Steuergeldern.

Das falsche Signal für Innovation made in Germany

Ich würde sogar einen Schritt weitergehen. Denn bei 220 Millionen Euro Steuergelder für eine App, die nach gerade einmal zwei Jahren eingestampft wird, kann man auch ohne weitere Investitionen schon von einer „Verschwendung“ sprechen. Zumindest dann, wenn es kein Learning gibt, mit dem man Nutzung, Funktionen oder sonst irgendeinen Aspekt für künftige Anwendungen verbessern kann. Oder auch: Warum sprechen wir aktuell nicht darüber, was jetzt, nach Corona, aus der App werden könnte? In welche Richtung ließe sie sich ausbauen, wie die Millionen Downloads sinnvoll für die Gesundheitsversorgung nutzbar machen?

Denn wenn ich an dieser Stelle noch einmal die 800 Millionen Euro in Erinnerung rufen darf, die laut Pitchbook allen europäischen Health-Tech-Unternehmen als Invest im ersten Quartal zur Verfügung standen, sind 220 Millionen Euro für eine nicht mehr existente Anwendung inakzeptabel. Ich habe schon vor zwei Jahren in meinem Kommentar gesagt, dass ich es mehr als begrüßt hätte, wenn die Entwicklung der Corona-App an ein Konsortium gegangen wäre, dass die Solidität eines großen Players mit der Innovationskraft von Gründern verbunden hätte, deren Kerngeschäft Digital Health ist. Meine These damals, dass die Corona-App dann schneller zur Verfügung gestanden und das eine oder andere nützliche Feature mehr gehabt hätte, möchte ich mit Kenntnisstand heute noch erweitern: Sie wäre ganz sicher auch nicht im „Dornröschenschlaf“, sondern hätte nach wie vor ihre Daseinsberechtigung und einen konkreten Mehrwert für das Gesundheitswesen. Wo ich mir außerdem sicher wäre: Meine gute Fee hätte mir ordentlich etwas gehustet, hätte ich beim Geschenk von 20 Millionen Euro derart nachverhandelt, nur um zwei Jahre später mit einem neuen Wunsch bei ihr vor der Tür zu stehen. Auch gute Feen haben eine Toleranzgrenze.

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