
In Deutschland hat sich die präklinische und klinische Notfallversorgung in der letzten Dekade zu einem sehr anspruchsvollen Handlungsfeld entwickelt: So besteht die primäre notfallmedizinische Herausforderung in der schnellen Behandlung von Notfallpatienten mit zeitkritischen Krankheitsbildern jeden Alters sowie verschiedenster Erkrankungen und Verletzungen. Hierbei wird ein Spektrum von der ambulanten Behandlung bis hin zur Schockraumversorgung von Schwerstverletzten und intensivpflichtigen Patienten erfasst. Aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen mit starkem Zeit- und Kostendruck, hohen Fallzahlen und multiplen Schnittstellenbereichen werden an das zuständige Personal komplexe Anforderungen gestellt.
An der Schnittstelle RD/ZNA besteht ein erheblicher Optimierungsbedarf.
Die Prozesskette in der Notfallversorgung führt dabei von der Alarmierung über die Phase der präklinischen Notfallversorgung im Rettungsdienst (RD) bis hin zur klinischen Versorgung in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Krankenhauses. Das Patienten-Outcome wird hier maßgeblich durch Qualifikation und Handlungskompetenzen des beteiligten Personals (Notfallmediziner, Notfallsanitäter und -pflege) sowie Prozesszeiten der Notfallversorgung in Präklinik und Klinik beeinflusst.
Dies gilt insbesondere für die vital bedrohlichen Notfälle wie den Herz-Kreislaufstillstand (Out-of-Hospital Cardiac Arrest, OHCA) und schwerstverletzte Patienten (Severely Injured Patients, SIP), die einer zeitkritischen Intervention und einer möglichst nahtlosen Notfallversorgung in der Rettungskette bedürfen. An der Schnittstelle RD/ZNA besteht jedoch derzeit in Deutschland ein erheblicher Optimierungsbedarf.
Zeitverlust durch fehlende digitale Dokumentation
Aufgrund der hohen Heterogenität der rettungsdienstlichen Organisationsstrukturen in den einzelnen Bundesländern wird nicht einheitlich und flächendeckend digital dokumentiert. Vielerorts werden daher handschriftlich geführte Einsatzprotokolle verwendet, die möglicherweise schwer lesbar und wegen fehlender Plausibilitätsprüfung häufig lückenhaft sind. Die Voranmeldung von Notfallpatienten erfolgt oft noch telefonisch. Informationen werden dabei nicht selten unvollständig oder fehlerhaft übermittelt. Alarmierungs- oder Anmeldesysteme wie zum Beispiel „Ivena“ oder „Rescuetrack“ kommen zwar zur Anwendung, übermitteln aber lediglich Basisdaten der Disposition.
Seit Einführung des Digitalfunks ist eine Kommunikation über Funk an die Einsatzstelle beziehungsweise mit den Rettungsmitteln oder Rettungsleitstellen nicht mehr möglich. Aufgrund fehlender digitaler Dokumentation und/oder Interoperabilität der digitalen Systeme ist darüber hinaus eine Echtzeitdatenübertragung aus der Präklinik in viele RD-Bereiche nicht möglich.
Daher erfolgt eine Übergabe der Patienten in der jeweiligen ZNA. Hierbei kommt es häufig zu erheblichen Zeit- und Informationsverlusten. Zahlreiche klinische Studien belegen jedoch die Bedeutung der notfallmedizinischen Prozesszeiten für das Patienten-Outcome: So verbessert die frühzeitige Diagnostik insbesondere bei hochkritischen Notfällen wie dem OHCA die Prognose. Ebenso belegen aktuelle Studien einen Überlebensvorteil bei zeitoptimiertem Schwerstverletztenmanagement.
Optimale Abstimmung zwischen RD und ZNA
Genau hier setzt das Verbundprojekt Connect_ED (Entwicklung eines intelligenten Kollaborationsdienstes zur KI-basierten Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst und Zentraler Notaufnahme) an. Ziel des Projekts ist es, durch die Implementierung eines intelligenten Kollaborationsdienstes zwischen Präklinik und Klinik eine nahtlose Notfallversorgung zwischen Rettungsdienst und Zentraler Notaufnahme zu etablieren. Der Assistenzdienst soll dazu interaktiv administrative, organisatorische und notfall-medizinische Prozesse unterstützen und dem ärztlichen und nicht-ärztlichen Personal in Präklinik und Klinik webbasiert auf mobilen Endgeräten sowie Wearables (Smart Glasses) zur Verfügung gestellt werden.
Darüber hinaus soll der Assistenzdienst eine auf künstlicher Intelligenz (KI) basierte Entscheidungsunterstützung für das weitere diagnostische und therapeutische Procedere liefern und den Einsatzteams ein edukatives Feedback auf Basis der digital erhobenen Routinedaten liefern. Mittels Echtzeitdatenübertragung werden der Zentralen Notaufnahme dazu alle relevanten medizinischen Behandlungsdaten und Befunde des Notfalls übermittelt.
Projektsteckbrief Connect_ED

Entwicklung eines intelligenten Kollaborationsdienstes zur KI-basierten Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst und Zentraler Notaufnahme
Förderung: 2,7 Millionen Euro, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Laufzeit: 1. August 2022 bis 31. Juli 2025 (FKZ 16SV8977)
Projektleitung: Prof. Dr. Sabine Blaschke, Ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), in Kooperation mit Prof. Dr. Dagmar Krefting, Leitung des Instituts für Medizinische Informatik der UMG
Technische Expertise: GECKO Institut der Hochschule Heilbronn (Prof. Dr. Martin Haag) und Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (Dipl. Inf. Michael Dietrich)
Wissenschaftliche Begleitung:
- Deutsche Gesellschaft für Notfall- und Akutmedizin e.V. (DGINA)
- Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Notfall- und Intensivmedizin e.V. (DIVI)
- German Resuscitation Council (GRC)
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)
- Deutscher Berufsverband Rettungsdienst (DBRD)
- Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS)
Weitere Informationen: www.bmbf-Connect-ed.de
Durch den Einsatz eines solchen interaktiven, KI-basierten Assistenzsystems soll die notfallmedizinische Prozess- und Behandlungsqualität und damit das Therapieergebnis der Notfallpatienten optimiert werden: So ließe sich durch die Implementierung einer technologisch gestützten Interaktion zwischen Präklinik und Klinik ohne Medienbrüche eine optimale Abstimmung zwischen RD und ZNA erzielen.
Durch eine Echtzeitübertragung präklinischer Behandlungsdaten sowie additiver Informationen kann frühzeitig und bedarfsadaptiert die Mobilisation von Personal und Ressourcen in der ZNA erfolgen und die Priorisierung weiterer Behandlungsschritte (u.a. Vorbereitung OP-/Intensiv-Kapazitäten, Massentransfusion, interventionelle Radiologie) zeitgerecht umgesetzt werden. Durch die optimale Vorbereitung der erforderlichen Maßnahmen kann eine Beschleunigung der Prozessabläufe in der gesamten Notfallversorgungskette erzielt und damit das Patienten-Outcome verbessert werden.
Klinische Pilotstudie in Göttingen und Berlin
Dies soll schließlich in einer klinischen Pilotstudie in zwei Prüfzentren in Göttingen (Zentrale Notaufnahme, Prof. Dr. Sabine Blaschke) und in Berlin (Zentrale Notaufnahme, Campus Benjamin Franklin, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Prof. Dr. Rajan Somasundaram) sowie angeschlossenen Rettungsdienstbereichen evaluiert werden. Hierzu werden in einer Kontrollphase zunächst die Daten in den beiden Studienzentren zur Erhebung des Ist-Zustandes erhoben. Schließlich wird eine Pilotstudie mit Einsatz des neu entwickelten Kollaborationsdienstes Connect_ED in Präklinik und ZNA durchgeführt.
Umfrage
Im Rahmen des Projekts Connect_ED führen die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und die Charité Universitätsmedizin Berlin eine Umfrage bei Rettungsdiensten, Notärzten und Zentralen Notaufnahmen durch. Sie wollen den Ist-Zustand der Notfallversorgung an der Schnittstelle RD/ZNA erheben und die Nutzeranforderungen für den Kollaborationsdienst Connect_ED erfragen.
Hier geht es direkt zur Umfrage.
Weitere Informationen: www.bmbf-Connect-ed.de








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