
Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens schreitet voran – zumindest auf dem Papier. In der täglichen Realität von Arztpraxen, Kliniken, Apotheken und Pflegeeinrichtungen herrscht hingegen oft ein kommunikatives Nebeneinander, das seinesgleichen sucht. Zwischen KIM, TI-Messenger, Patientenportalen und den alten Bekannten Telefon, SMS und Fax entwickelt sich ein Flickenteppich, der nicht nur für Verwirrung sorgt, sondern auch Ressourcen bindet, Frust erzeugt und die Versorgung der Patientinnen und Patienten beeinträchtigen kann.
Der Status quo: Ein bunter Strauß an Kanälen
Wer heute im deutschen Gesundheitswesen arbeitet, jongliert mit Kommunikationsmitteln, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die KIM-Dienste (Kommunikation im Medizinwesen) sollten eigentlich die sichere, digitale Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheken oder Krankenhäusern ermöglichen – und das datenschutzkonform. Parallel dazu wurden mit dem TI-Messenger neue Standards für schnelle, sichere Chat-Kommunikation geschaffen. Patientenportale versprechen, die Brücke zum Patienten zu schlagen und den Informationsfluss zu verbessern.
Doch die Realität sieht anders aus: Das Fax ist nach wie vor nicht totzukriegen, und das Telefon bleibt trotz aller Digitalisierung der schnellste Weg, Informationen auszutauschen. Manchmal flackert auch noch eine SMS aufs Handy – gerade bei kurzfristigen Terminen oder Notfällen. Dieses Nebeneinander ist nicht nur ineffizient, sondern birgt auch Risiken: Informationen gehen verloren, landen beim Falschen oder erreichen ihr Ziel gar nicht erst.
Vielfalt ohne Struktur und Ordnung
Die zentrale Frage lautet: Warum ist es so schwierig, die Vielzahl der Kommunikationskanäle zu strukturieren? Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Historisch gewachsene Strukturen: Viele Praxen und Einrichtungen haben über Jahre eigene Wege gefunden, Informationen zu teilen und ihre Prozesse um die hierfür etablierten Werkzeuge herum aufgebaut. Neue Tools stoßen auf Skepsis oder werden nur halbherzig eingeführt.
- Regulatorische Anforderungen: Datenschutz und IT-Sicherheit sind im Gesundheitswesen besonders streng geregelt. Die Folge: Viele Lösungen werden zu kompliziert oder unpraktikabel konzipiert und dann auch so empfunden.
- Fehlende Interoperabilität: Die verschiedenen Systeme sprechen oft nicht miteinander. Ein Faxgerät kann keine E-Mail empfangen, und der KIM-Dienst arbeitet nicht mit jedem Informationssystem reibungslos zusammen.
- Komfortzone und Gewohnheiten: Das Telefon ist schnell zur Hand, das Faxgerät steht im Nebenraum – gerne auch gleich neben der Kaffeemaschine. Warum also neue, ungewohnte Wege gehen?
Die Folgen der Kommunikationsvielfalt
Was auf den ersten Blick nach einer „Viel hilft viel“-Strategie aussieht, hat gravierende Nachteile:
- Verlust von Informationen: Je mehr Kanäle genutzt werden, desto größer die Gefahr, dass Informationen untergehen oder doppelt verschickt werden.
- Erhöhte Fehleranfälligkeit: Missverständnisse durch unterschiedliche Medien, fehlerhafte Zuordnung oder Übertragungsfehler sind an der Tagesordnung.
- Datenschutzrisiken: Unsichere Kanäle wie Fax oder SMS entsprechen nicht den heutigen Sicherheitsstandards und bergen erhebliche Risiken für sensible Gesundheitsdaten.
- Frust bei Mitarbeitenden: Die ständige Suche nach Nachrichten in verschiedenen Systemen kostet Zeit und Nerven.
- Unübersichtlichkeit für Patienten: Auch Patienten wissen nicht immer, welcher Kanal für welche Information genutzt werden soll.
Wege aus dem Kommunikationswirrwarr
Wie also kann endlich Ordnung einkehren? Ein Patentrezept gibt es nicht – aber einige zentrale Handlungsfelder lassen sich klar benennen:
- Standardisierung und Interoperabilität forcieren: Systeme wie KIM und TI-Messenger müssen einheitliche, offene Standards verwenden, damit alle Beteiligten unabhängig von Software oder Anbieter reibungslos kommunizieren können.
- Verbindliche Vorgaben für die Nutzung: Es braucht klare Regeln, wann welcher Kommunikationsweg zu nutzen ist. Beispielsweise könnten für bestimmte Dokumenttypen (z. B. Arztbriefe, Befunde) ausschließlich digitale, sichere Kanäle zugelassen werden. Hier ist aber weitere Regulierung erforderlich: ein an sich sinnvoller Dienst wie KIM scheitert, wenn wichtige Strukturen wie Dienstkennungen nicht vorgegeben und implementiert werden – denn dann kann ein elektronischer Arztbrief auch versehentlich an eine KIM – Mailadresse geschickt werden, die eigentlich nur für den Versand elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingerichtet wurde (und geht dort vermutlich unter).
- Schulungen und Change Management: Die Einführung neuer Kommunikationskanäle scheitert oft an mangelnder Akzeptanz. Niemand möchte zu den bereits vorhandenen Kommunikationskanälen einfach weitere, ebenfalls nicht integrierte Werkzeuge. Hier ist es entscheidend, alle Mitarbeitenden mitzunehmen, Ängste abzubauen und Vorteile aufzuzeigen.
- Patienten einbinden: Patientenportale bieten die Chance, den Informationsaustausch zu verbessern. Sie müssen jedoch so gestaltet sein, dass sie leicht verständlich, barrierefrei und nutzerfreundlich sind. Hier wäre die verbindliche Nutzung des TI-Messengers ein echter Fortschritt und wahrer Segen, denn dieser Messenger wird allen Versicherten bereits über die ePA-App zur Verfügung gestellt. Damit gäbe es endlich einen einheitlichen, sektorübergreifenden und sogar Patientinnen und Patienten einbeziehenden Kommunikationskanal – gerade in fragmentierten Systemen wie dem deutschen Gesundheitswesen unverzichtbar (Conway’s Law lässt grüßen).
- Den Abschied vom Fax organisieren: Ein klarer Zeitplan für das Ausphasen unsicherer Kanäle wie Fax oder SMS ist überfällig. Übergangsfristen und Alternativen müssen klar kommuniziert werden.
Es braucht Mut zur Veränderung, klare Vorgaben und die Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden.
Andere Länder sind hier bereits weiter. In Dänemark oder Estland etwa läuft die Kommunikation im Gesundheitswesen nahezu vollständig digital ab. Einheitliche Plattformen, zentrale Patientenakten und verbindliche Standards machen es möglich. Davon kann Deutschland lernen: Digitalisierung ist nicht Selbstzweck, sondern dient der besseren Versorgung der Menschen – und manchmal ist weniger mehr.
Die Rolle der Politik und Selbstverwaltung
Die Politik ist gefordert, klare Rahmenbedingungen zu setzen, um die Digitalisierung aktiv zu fördern. Dazu gehören Investitionen in digitale Infrastruktur, die Förderung interoperabler Lösungen und die Durchsetzung verbindlicher Standards durch BMG und gematik. Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – von Ärztekammern über Kassenärztliche Vereinigungen bis zu den Krankenkassen – muss diesen Wandel aktiv gestalten und vorleben.
Fazit: Der Wandel ist alternativlos
KIM, TI-Messenger und die Integration beider in Patientenportale sind wichtige Werkzeuge für die Zukunft der medizinischen Kommunikation. Doch solange sie neben Telefon, Fax und SMS nur ein weiterer Baustein im ohnehin schon komplexen Gefüge sind, wird sich wenig ändern. Es braucht Mut zur Veränderung, klare Vorgaben und die Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden. Die Digitalisierung bietet die Chance, die Kommunikation im Gesundheitswesen endlich sicher, effizient und patientenorientiert zu gestalten. Diese Chance sollten wir nicht länger verstreichen lassen. Nur wenn wir Ordnung in die Kommunikation bringen, können wir die Potenziale der Digitalisierung voll ausschöpfen – zum Wohle aller Beteiligten und vor allem der Patientinnen und Patienten.






Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen