Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

VorbildLiebe Niederlande, wie digitalisiert man ein Gesundheitswesen?

Digitalisierungsgrad in Deutschland und den Niederlanden: Für die einen eine Herausforderung, für die anderen bereits im Gesundheitssystem etabliert. Was unsere Nachbarn haben und wir noch nicht.

Das Wort "Change" auf Holzwürfeln gedruckt. Der Würfel mit dem Buchstabe "G" wird gedreht, es taucht der Buchstabe "C" auf. Somit entsteht das Wort "Chance".
voyata/stock.adobe.com
Symbolfoto

In der Gesundheitsbranche sind die Niederlande und Deutschland zwei starke Akteure mit unterschiedlichen Ansätzen zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Während die COVID-19-Pandemie die Dringlichkeit von Veränderungen in beiden Ländern verdeutlichte, sind deren Wege zur digitalen Transformation und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung sehr unterschiedlich.

Digitalisierung im Gesundheitswesen nach niederländischem Vorbild: Was Deutschland von seinem Nachbar lernen kann

1. Integrierter Ansatz schafft optimale Kooperation

In den Niederlanden haben Krankenhäuser besonders während der COVID-19-Pandemie verstärkt damit begonnen, mit anderen Gesundheitseinrichtungen wie Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten und Hausarztpraxen in der Akutversorgung zusammenzuarbeiten. Dies geschah mithilfe des LCPS (Landelijk Coördinatiecentrum Patiënten Spreiding), zu Deutsch: Nationales Koordinationszentrum für Patientenversorgung. Das LCPS wurde 2020 ins Leben gerufen und war damals verantwortlich für die Verteilung von COVID-Patienten über die elf niederländischen Akutversorgungsregionen. Ziel war es, die Versorgungslast gleichmäßig über das ganze Land zu verteilen. Die bestmögliche Patientenversorgung sollte gewährleistet werden. Aufgrund des Mangels an Krankenhausbetten spielte dieses Zentrum auch eine entscheidende Rolle beim Ausfliegen von Patienten aus den Niederlanden nach Deutschland. Obwohl diese Entwicklungen größtenteils durch die Umstände der Krise hervorgerufen wurden, haben sie bedeutende Erkenntnisse geliefert. Die Niederlande sehen vor allem einen klaren Vorteil in der Verfolgung dieser so genannten integrierten Ansätze.

Die Niederlande sehen vor allem einen klaren Vorteil in der Verfolgung dieser so genannten integrierten Ansätze.

Ein Paradebeispiel hierfür sind Patienten mit Herzerkrankungen, die von einem Rettungsdienst abgeholt, ins Krankenhaus gebracht und schließlich zu Hause weiter betreut werden. Der Ansatz erstreckt sich ebenso auf den Bereich der nicht-akuten Versorgung. Hier wurden Vereinbarungen zwischen Gesundheitsregionen, also geografisch definierte Bereiche oder Regionen, die sich auf die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und -versorgung konzentrieren, Regierungen und Versicherungen erzielt. Ein landesweites Abkommen, das so genannte integrale Gesundheitsversorgungsabkommen (IZA), wurde zwischen der niederländischen Regierung, den Versicherern, den Kommunen und den Leistungserbringern unterzeichnet. Jeder Versicherer trägt dieses Abkommen in eine der 31 Versorgungsregionen, die zusammen mit den elf Akutversorgungsregionen an das IZA angeschlossen sind, um gemeinsam mit den Kommunen, den Leistungserbringern und Patientenvertretern einen regionalen Plan auszuarbeiten. Diese Veränderungen wurden hauptsächlich durch den Mangel an Pflegekräften und Ärzten angetrieben, sowie durch regionale Überkapazitäten, womit regionale Unterschiede, bzw. in Bezug auf Wartezeit ausgeglichen werden können.

Dr. Patrick Heiler
privat
Dr. Patrick Heiler ist Director Healthcare bei der Beratungs- und Technologiefirma IG&H. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er Lösungen für Institutionen aus dem Gesundheitswesen. Ihr Ziel ist es, klinische Abläufe und Ergebnisse zu optimieren, Kosten zu senken und die Effizienz klinischer sowie geschäftlicher Prozesse nachhaltig zu verbessern.

2. Politische Hürden in Deutschland überwinden

In beiden Ländern herrscht Einigkeit darüber, dass sich etwas ändern muss. Hier ist die Politik gefragt. Gesundheitseinrichtungen sollen sich darauf fokussieren, enger zusammenzuarbeiten, um noch mehr einem integrierten Vorgehen zu folgen. Allerdings sehen wir in Deutschland oft nur den Wunsch nach Veränderung. Auf der einen Seite streiten Bund, Länder und Verbände um die nötige Finanzierung, während viele Einrichtungen durch akuten Personalmangel und Liquiditätsprobleme immer mehr in Bedrängnis geraten. Ein prägnantes Beispiel bietet die gegenwärtige Diskussion über die seit langem geforderte Krankenhausreform. Es wurde bereits mehrfach von Fortschritten gesprochen, nur um sich später eingestehen zu müssen, dass keine Einigkeit erzielt wurde. Das Ergebnis ist meist mehr ein Minimalkonsens, der den bestehenden Forderungen nicht ausreichend gerecht werden kann.

Die institutionenübergreifende Kooperation ist in den Niederlanden bereits sehr etabliert, vor allem im Bereich der Akutversorgung.

Die institutionenübergreifende Kooperation ist dagegen in den Niederlanden bereits sehr etabliert, vor allem im Bereich der Akutversorgung. Hier ein Beispiel: Um die Verweildauer im Krankenhaus zu verkürzen, wird in der Region die Koordination von klinischen Rehabilitationsbetten für Kurzzeitaufenthalte optimiert. In einer wachsenden Anzahl von Krankenhäusern werden bereits mehr als 50 Prozent der Patienten mit digitalen Telemonitoring-Systemen ausgestattet, was ihnen ermöglicht, ihre Genesung von zu Hause aus fortzusetzen.

Zudem verfügen in den Niederlanden bereits alle Krankenhäuser über Patientenportale, die Patienten einen vereinfachten Zugang zu ihren Gesundheitsdaten und Dienstleistungen bieten. In Deutschland dagegen stecken Patientenportale noch in den Kinderschuhen. Trotz des Krankenhauszukunftsgesetzes von 2020, das zum Ziel hatte, die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu fördern, haben langwierige Bewilligungsprozesse und föderale Regelungsvielfalt ihre Einführung verlangsamt.

3. Transparenz und Offenheit in der Datenfrage

Ein wesentlicher Faktor, der die Gesamtlage beeinflusst, könnte aber in der unterschiedlichen Mentalität der Menschen in den Niederlanden liegen: Die Niederlande sind ein Land, das traditionell auf der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit und der Bereitschaft zu Kompromissen fußt. Man ist der festen Überzeugung, dass alle medizinischen Daten dem Patienten in digitaler Form zugänglich gemacht werden müssen. Die Regierung ist fest entschlossen, den obligatorischen Austausch medizinischer Daten zwischen Leistungserbringern und Patienten voranzutreiben. Eine konsequentere politische Steuerung und die Förderung von Standardisierung im Gesundheitswesen erlaubten ebenso eine bessere Vernetzung sowie einen leichteren Zugang zu digitalen Gesundheitsdiensten.

Demgegenüber scheint in Deutschland oft ein anderer Ansatz zu herrschen. Hier haben, so bekommt man zumindest das Gefühl, die Belange spezifischer Interessensgruppen häufig Vorrang, was Innovationen im Weg stehen kann. In Deutschland wirkte die COVID-19-Pandemie als Katalysator für erste Veränderungen im Gesundheitssystem. Dennoch bleibt die Angst vor der Digitalisierung in den Köpfen der Verantwortlichen fest verankert. Die Deutschen sind sich der Vorteile bewusst, die Konsequenzen scheinen ihnen jedoch schwerwiegender. So fürchtet laut Digitaltag eine breite Mehrheit, dass ihre Daten anderen Regierungen oder Hackern in die Hände fallen könnten oder befürchten, dass sich der Staat durch digitale Technologien von anderen Staaten wie China abhängig machen könnte. Es scheint allerdings, dass diese Stimmung langsam abflaut und sich mehr Menschen an die voranschreitende Digitalisierung gewöhnen, auch im Gesundheitswesen.

Bas Leerink
privat
Bas Leerink ist Managing Director Healthcare bei IG&H. Derzeit berät er ein breites Spektrum von Kunden im Gesundheitswesen mit seinem Wissen über Krankenversicherungen und Krankenhäuser. Leerink ist ehemaliges Mitglied des niederländischen Nationalen Rates für Gesundheit und Gesellschaft.

Es wird auf Veränderungen gesetzt, die sowohl das Personal als auch die Patienten entlasten sollen, wie die elektronische Patientenakte (ePA) und das ab 2025 verpflichtende Patientenportal, um eine umfassende Zusammenarbeit im gesamten Patientenbehandlungsprozess zu ermöglichen. Die ePA gewährt den Patienten bereits heute Zugang zu ihren medizinischen Informationen und wird in Zukunft eine schnelle Verfügbarkeit wichtiger Daten für die Behandlung gewährleisten. In den Niederlanden sind ähnliche Bemühungen im Gange, obwohl es noch Herausforderungen bei der Implementierung und Einhaltung von Datenschutzbestimmungen gibt. Die Umsetzung von digitalen Gesundheitsdiensten steht weiterhin vor regulatorischen und technischen Hürden.

An dem Punkt ist es wichtig anzusetzen. Die Politik muss verstärkt versuchen, Nutzen und Mehrwert der Digitalisierung aufzuzeigen – und das möglichst bald. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Risiken zu streiten, hat für niemanden Vorteile. Natürlich sei an dieser Stelle anzumerken, dass Deutschland mit über 80 Millionen Einwohnern viermal größer ist als sein niederländischer Nachbar mit circa 18 Millionen. Hierzulande herrscht aber unter anderem durch den Föderalismus komplexeres System vor, welches eine Vielzahl von verschiedenen Akteuren und Interessensgruppen umfasst, die sich oft gegenseitig blockieren und damit Innovationen verzögern oder gar verhindern.

Innovation darf keine Sanktionen kennen – Ein Ausblick

Digitalisierung spielt also in beiden Ländern eine Schlüsselrolle, um die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Während die Niederlande bereits Fortschritte bei der Integration digitaler Lösungen gemacht haben, steht Deutschland noch vor einigen Herausforderungen. Allerdings erschweren die strukturellen Unterschiede in den Gesundheitssystemen den direkten Vergleich. Die Niederlande scheinen aktuell weitaus pragmatischer. Dort liegt der Fokus auf der schnellen Implementierung der Gesetzesentwürfe und einer Transformation des Gesundheitswesens. Dabei nutzt man die bestehende Infrastruktur und Kooperation von den (Akut-)Versorgungsregionen, um erfolgreiche Pilotprojekte in der Digitalisierung zu skalieren.

Digitalisierung spielt in beiden Ländern eine Schlüsselrolle, um die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Deutschland kann aus den politischen und technologischen Ansätzen der Niederlande lernen und so den Weg für eine effizientere und integrierte Gesundheitsversorgung ebnen. Dabei dürfen Innovationen nicht ausgebremst werden, im Gegenteil. Die Zukunft der Gesundheitsversorgung liegt in der Digitalisierung und der integrierten Zusammenarbeit – ein Weg, den sowohl die Niederlande als auch Deutschland beschreiten müssen.

2023. Thieme. All rights reserved.
Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen

Doctolib GmbH

Doctolib Hospital – Mit Digitalisierung zu mehr Effizienz und Erfolg! 

Die Technologie von Doctolib schafft einen…

Philips GmbH Market DACH

Philips vernetzt Daten, Technologien und Menschen

Die Medizin macht täglich Fortschritte. Damit steigen auch die…