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PflegeWenn der Roboter freundlich den Kaffee reicht

An der Technischen Hochschule Mannheim bringen KI-Forscher und Robotikexperten einem humanoiden Roboter bei, Pflegekräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Damit dieser von den Menschen akzeptiert wird, muss der Roboter deren Verhalten erkennen können. 

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Demonstration des Pflegeroboters Florence an der TU Mannheim.

Tanzen mit den Mitarbeitern kann Florence schon recht gut, pflegerische Aufgaben am Patienten muss sie allerdings noch lernen. Florence ist keine weibliche Pflegekraft, sondern ein humanoider Roboter, der seit vier Wochen am Neural Spacetime Lab der Technischen Hochschule Mannheim im Einsatz ist. 

Um zu zeigen, was Florence so alles kann, haben die Wissenschaftler der TU zum Vorführtermin vor Ort geladen. Doch gleich der erste Testlauf geht schief – vor laufenden Kameras zerdeppert Florence auf dem Weg zum Krankenbett die Kaffeetasse. Nach nur vier Wochen Vorbereitung klappt aber immerhin schon die freundliche Begrüßung prima.

Der Name Florence ist angelehnt an die britische Krankenschwester Florence Nightingale, die als Begründerin der Systematik in der Krankenpflege gilt. In Mannheim wird der Roboter nun für den Einsatz im Gesundheitswesen geschult. In der Zukunft soll der Roboter Pflegefachkräfte bei Routinearbeiten entlasten. Denkbar wäre zum Beispiel, dass er Patienten ein Glas Wasser bringt oder etwas entgegennimmt. 

Florence, von den Forschern lieber Flo genannt, könnte dem Patienten auch Tabletten geben oder ihn beim Finden von Dingen unterstützen. Bei einer Gefahrensituation soll er den Patienten in Sicherheit bringen. Bis Flo diese Aufgaben und noch viele weitere beherrscht, muss er jeden Handgriff immer wieder üben.

1000 Trainings für eine Aufgabe

Die Daten für das Training der neuronalen Netze werden via WLAN an einen leistungsstarken Computer im Labor übertragen. Prof. Thomas Ihme vom Institut für Robotik schätzt, dass er für jede Aufgabe mindestens 1000 Trainingseinheiten benötigt. 

Die Herausforderung: Im Unterschied zu Anwendungen wie der KI-gestützten Auswertung von radiologischen oder dermatologischen Bildern können die Mannheimer Forscher nicht auf existierende Trainingsdaten zurückgreifen, die nur kuratiert werden müssen. Sämtliche Daten, die die KI zum Lernen benötigt, müssen sie zunächst selbst erzeugen.

Jede Bewegung stimmt im Detail.

Hierzu haben die Forscher im Neural Spacetime Lab 56 synchronisierte Kameras angebracht. Mit den Kameras können sie jede Bewegung des Roboters im Detail filmen und darüber hinaus die gesamte Situation einschließlich der Gesten und Abläufe erfassen. Ein neuartiges KI-System verknüpft die 3D-Informationen mit der Zeit zu einer 4D-Rekonstruktion der Abläufe – und dies in Echtzeit. 

„Wir beschäftigen uns damit, menschliche Handlungen zu verstehen“, sagte Prof. Marcus Vetter, Leiter des Institute for Applied Artificial Intelligence and Robotics an der TH Mannheim, bei der Vorstellung des Roboters. Wenn die Mitarbeiter ihm zum Beispiel eine Armbewegung vormachen, macht er sie mit einer geringen Verzögerung nach. Auf diese Weise haben ihm die Forscher auch das Tanzen beigebracht. „Jede Bewegung stimmt im Detail“, so Vetter.

Hardware von der Stange 

Der 1,32 Meter große und 35 Kilogramm schwere Flo ist ein humanoider Roboter vom Typ Unitree G1. Er stammt vom chinesischen Hersteller Unitree Robotics, der für seine vierbeinigen Roboterhunde bekannt ist. Als Forschungsplattform für Universitäten kostet der Unitree G1 (EDU) je nach Ausstattung zwischen 20.000 und 70.000 Euro. 

Seine Umgebung nimmt er mit verschiedenen Systemen wahr. So misst etwa ein Lasersystem Entfernungen und erstellt ein 3D-Modell seiner Umgebung. Mit einer im Kopf eingebauten Kamera kann er Objekte dreidimensional erkennen. Für die Kommunikation mit Menschen hat er Mikrofone und Lautsprecher integriert.

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Ihme und Vetter weisen darauf hin, dass sich Assistenzsysteme in der Pflege grundsätzlich von Industrierobotern unterscheiden, die in einer strukturierten Umgebung arbeiten und deren Beweglichkeit eingeschränkt ist. 

Humanoide Roboter in der Pflege oder im Haushalt arbeiten stattdessen in einer unstrukturierten Umgebung, beispielsweise mit Treppen, sie müssen das Gleichgewicht halten und aus Sicherheitsgründen einen angemessenen Abstand zum Menschen einhalten. „Sie arbeiten in einer hochdynamischen Situation“, fasst Vetter zusammen.

Roboter soll Verhalten anpassen können

Darin besteht die große Herausforderung für das Forschungsteam. Eine Alltagssituation bringt es auf den Punkt. Flo soll mit einem Hund Gassi gehen. Als er die Leine greift und sich in Bewegung setzt, erschrickt das Tier und weicht zurück. Ähnlich verhält es sich bei Patienten und Pflegekräften, wobei jeder Mensch anders auf den Roboter reagiert. Das bedeutet, dass es keine fixen Abstände zwischen dem Roboter und dem Menschen gibt. 

Damit der Roboter von den Menschen akzeptiert wird und sich ihnen nähern kann, muss er in die Lage versetzt werden, das Verhalten der Menschen zu bestimmen und eine mögliche Zurückweisung zu erkennen.

Der Roboter benötigt emotionale Intelligenz.

Die Forscher wollen die Forschungsplattform nutzen, um kognitive Wahrnehmungsmodelle zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie ihm das Verständnis beibringen, um eine Gesamtsituation zu erfassen, menschliche Signale zu erkennen und sein Verhalten anzupassen. Flo muss menschliche Handlungen verstehen und Absichten vorhersehen können, um mit den Pflegekräften zu interagieren und sie bei Routineaufgaben zu unterstützen. „Der Roboter benötigt emotionale Intelligenz“, erklärt Vetter.

Flo soll aber nicht nur für die Forschung genutzt werden. Florence eröffne hervorragende Möglichkeiten, um aktuelle Fragestellungen aus KI, Robotik und Mensch-Technik-Interaktion in der Forschung und Lehre zu verankern, so Prof. Angelika Altmann-Dieses, die Rektorin der Technischen Hochschule Mannheim. Studierende könnten so Kompetenzen entwickeln, die in Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigt werden.

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