
Es ist ein scheinbar gewöhnliches Patientenzimmer, wie man es aus deutschen Krankenhäusern kennt. Eine Patientin liegt im Bett und scheint zu schlafen. Auf ihrem Nachtschrank steht noch ein Joghurt – vielleicht vom Mittagessen? Neben dem Bett ist eine Infusion angehangen. So weit, so normal. Ich sehe mich im Raum um und überlege, was nicht stimmen könnte. Auf dem Bett liegt ein Schlauch – irgendwie scheint er da nicht hinzugehören. Mir fällt auf, dass die Sauerstoffmaske nicht an den Sauerstoffanschluss angeschlossen ist, sondern dass der Schlauch auf dem Bett der Patientin endet. Ein Fehler, der lebensgefährlich sein kann. In dem Zimmer befinden sich insgesamt zehn Fehler und ich konnte nicht alle entdecken – jedoch bin ich auch Laie auf dem medizinischen Gebiet.
Im Hintergrund höre ich die Stimme von Prof. Dr. Miriam Rüsseler, die mir einige Tipps gibt, was man sich noch genauer anschauen könnte. Prof. Rüsseler ist Direktorin des Instituts für Medizindidaktik und klinische Simulation und Studiendekanin Klinik Fachbereich Medizin an der Frankfurter Universitätsmedizin. Am Ende meines Besuches konnte ich so tatsächlich noch den ein oder anderen Fehler entdecken.
Ortswechsel. Mein Mini-Praktikum im Krankenhaus führt weiter in die Notaufnahme. Ein Patient liegt mit stummer Miene auf der Liege und ich frage mich, was dem Mann fehlt. Die Antwort gibt ein Blick in die Patientenakte auf dem Tablet. Doch auch in diesem Raum ist nicht alles so, wie es sein sollte. Ich suche Fehler – und finde durchaus die „richtigen“, aber auch jene, die keine sind. Nach circa 20 Minuten endet mein Kurz-Praktikum.
Simulationskrankenhaus für die Lehre
Mein Bewegungsradius lag dabei bei etwa drei Metern – denn ich habe keinen dieser Räume real betreten, sondern habe mich im sogenannten virtuellen „Room of Error“ auf Fehlersuche begeben. Mit einer Virtual Reality-Brille habe ich die verschiedenen Räume des Krankenhauses besucht. Mit einem Controller, wie man ihn von Spielkonsolen kennt, habe ich auf die Fehler gezeigt und diese markiert. Am Ende des Trainings kam das zugegebenermaßen ernüchternde Ergebnis, einige Fehler übersehen zu haben. Durch meine fehlende medizinische Ausbildung ist das jedoch keine Überraschung.
Die „Fehlerräume“ sind Simulationstrainings für die medizinische und pflegerische Ausbildung. Medizinstudierende und Auszubildende werden dabei mit verschiedenen konstruierten Gefahrensituationen unterschiedlicher Räume konfrontiert: Notaufnahme, Patientenzimmer und OP. Geplant sind zudem Räume aus den Bereichen Pädiatrie und Zahnmedizin. Sie gehören zum Simulationskrankenhaus des Frankfurter Universitätsklinikums. Studierende können hier Notfalleinsätze, Operationen und den Umgang mit Patienten üben. Während des kma-Termins im Universitätsklinikum findet nur wenige Räume weiter gerade ein Notarzteinsatz statt – mit einem Schauspieler, der einen Patienten mit Atembeschwerden mimt.
Fehler gehören zum System
Die Fehler in den „Rooms of Error“ wurden bewusst ausgesucht, erklärt Rüsseler. Grundlage dazu waren die Fehlerkriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO, die im Rahmen der Decade of Patient Safety festgelegt wurden, dazu zählen unter anderem Fehler aus den Bereichen Medikation oder Organisation. In jedem Raum wurde aus jeder Kategorie mindestens ein Fehler versteckt – und auch die Fehler, die häufig sind oder das Patientenleben am meisten gefährden. So befinden sich in den Räumen beispielsweise Fehler aus den Bereichen der klinischen Prozesse und Administration, Medikation oder Unfallgefahren.
Fehler passieren und das hat zunächst nichts mit Horror zu tun.
Entstanden ist die Idee zum „Room of Error“ 2019 – zunächst im Live-Setting. „Wir haben das Thema ,Room of Error' für uns als Möglichkeit identifiziert, die Awarness der Mitarbeitenden vor Ort zu stärken“, erklärt Dr. Kyra Schneider, Leiterin der Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität am Universitätsklinikum. Ein ähnliches Konzept gibt es in der Schweiz unter dem Namen „Room of Horror“ – ein Name, von dem sich Schneider und Rüsseler klar distanzieren wollen.

„Fehler passieren und das hat zunächst nichts mit Horror zu tun“, sagt Schneider. „Wir wollen die negative Konnotation von vornerein vermeiden. Bei dem Konzept geht es nicht um ein Blaming, sondern darum, Fehler als etwas Selbstverständliches im System zu verstehen und zu sagen ‚wir brauchen Sicherungsmaßnahmen, um die Patienten sicher zu versorgen‘.“ Prüfungsangst gibt es nicht. „Wir lernen und starten jeden Morgen damit: Das ist ein sicheres Setting. Was hier passiert, bleibt in diesem Raum“, erklärt Rüsseler. Wenn diese Rahmenbedingungen direkt klar sind, werde mit einer ganz anderen Motivation an das Thema heran gegangen.
Das niedrigschwellige Instrument des „Fehlerraumes“ komme gut bei den Mitarbeitenden an und habe ihnen auch Spaß gemacht. „Wir geben den Kolleginnen und Kollegen ein Instrument an die Hand, mit einer anderen Leichtigkeit mit dem Thema umzugehen“, fasst Schneider zusammen. Im Live-Setting gehen mehrere Mitarbeitende – idealerweise ein Team einer Station – im vorbereiteten Raum gemeinsam auf Fehlersuche. Denn ein gut eingespieltes Team ist auch wichtig für die Patientensicherheit. Insgesamt bündelt das Live-Setting jedoch vor allem personelle und räumliche Ressourcen – der Aufwand in Virtual Reality ist durch die stabile Situation viel einfacher.
Jedes Risiko beinhaltet auch eine Chance, insofern haben wir in der Pandemie ein paar Themen weiter entwickeln können und auch müssen.
Das virtuelle Setting wurde seit 2020 geplant. 2021 gab es den ersten Prototypen – denn in der Corona-Pandemie war die reale Simulation schwierig. Es fehlte vor allem an geeigneten Räumen und auch Material. „Jedes Risiko beinhaltet auch eine Chance, insofern haben wir in der Pandemie ein paar Themen weiter entwickeln können und auch müssen“, beschreibt Schneider die Situation.
Die Aspekte und Schwerpunkte sind in den jeweiligen Settings jedoch unterschiedlich, so geht es in der Präsenz-Simulation vor allem um das Thema Kommunikation im Team. Ein Vorteil ist auch, dass die Real-Räume schneller umgebaut werden können. Im virtuellen Setting geht es nur eingeschränkt, da dazu Programmierer notwendig sind.
Vorlage für die virtuellen Räume sind auch reale Räume des Simulationskrankenhauses im Universitätsklinikum, die zunächst mittels 3D-Scanner gescannt wurden. Rüsseler und ihr Team überlegten anschließend, wo welcher Fehler liegen muss, und wie dieser aussehen soll. Das VR-Projekt wurde dann von einer Firma mit Game Designer umgesetzt.
Jede Berufsgruppe hat ihren eigenen Fokus

Im virtuellen Setting nutzen zwar auch mehrere Teilnehmende – derzeit 20 Personen – gleichzeitig den „Room of Error“, aber jede Person für sich. „Wir lassen die Teilnehmenden allein rein, damit sie sehen, welche Fehler sie selbst erkennen, ohne von der Schwarmintelligenz zu profitieren“, erklärt Rüsseler. Im Anschluss findet ein gemeinsamer Austausch in Kleingruppen statt, wer welche Fehler gefunden oder übersehen hat. Dieser ist interdisziplinär: Medizinstudierende, Pflegeschüler und angehende Operations- und Anästhesietechnische Assistenten (OTA bzw. ATA) sitzen gemeinsam im Kurs. „Am Ende gibt es ein gemeinsames Aha-Erlebnis, weil jede Berufsgruppe einen eigenen Fokus hat“, sagt die Medizinerin, „Das bedeutet für jeden Teilnehmenden: Da ist jemand, auf den ich mich verlassen kann. Nur als Team sehen wir alle Fehler, nicht allein.“
Am Ende gibt es ein gemeinsames Aha-Erlebnis.
Dieses Wissen mache viel aus, denn nur so könne man sich auf Station besser abstimmen. Es vermeidet auch, mit Scheuklappen seiner Arbeit nachzugehen. Vor allem aber nehme es Hierarchie und Berufsgruppendenken raus. Zudem erhält so jeder Teilnehmende einen Einblick darüber, wie die anderen Berufsgruppen ‚denken‘ und arbeiten. So schauen Medizinstudierende vor allem zuerst in die Patientenakte, während den ATAs zuerst Hygiene-Fehler im Raum selbst aufgefallen sind. Für das Lernen voneinander sei das interprofessionelle Training essenziell, sagt Schneider. „Jeder sieht das, was in seinem Arbeitsfeld ist“, ergänzt Rüsseler.
Die Fehlerkultur ist dabei auch ein wichtiger Punkt für Miriam Rüsseler und Kyra Schneider. Denn häufig hat man noch jene Kultur aus der Schule verinnerlicht: Ein Fehler oder eine schlechte Note bedeutet – grob gesagt – man sei dumm. Ein völlig falscher Ansatz, meint Rüsseler: „Man ist nicht dumm, sondern es bedeutet, dass man den Stoff zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden hat. Eine Note sagt nur aus, was man in dem Moment weiß, oder auch nicht weiß, weil man es nicht ausreichend gelernt hat. Und daran kann man arbeiten“, sagt sie.
Aus den Fehlern lernen
Denn das Verhalten aus der Schulzeit, etwa, dass man Angst hat mit den Eltern über schlechte Noten zu sprechen oder sogar Unterschriften fälscht, funktioniert im Krankenhaus nicht. „Im Zweifel stirbt dann ein Patient“, bringt Rüsseler es auf den Punkt, „wenn ein Fehler mit Scham behaftet ist, kostet das im schlimmsten Fall ein Patientenleben. Wenn der Fehler ‚positiv‘ gesehen wird und man darüber spricht, lernt man daraus und es wird nicht nochmal passieren.“
Die Resonanz zum Trainingskonzept ist positiv. Für die Zukunft sind Räume aus dem Bereich der Zahnmedizin und der Pädiatrie geplant. „Die Risiken verschieben sich, dem muss man auch Rechnung tragen“, sagt Schneider. Eine weitere Möglichkeit wäre auch, das Konzept im Rahmen des Onboardings anzubieten. Denn es sei eine gute Variante, um beispielsweise no gos, oder gewisse Standards in der Klinik zu definieren – oder auch, um direkt zu erfahren, wie die neuen Mitarbeitenden mit Fehlern umgehen.





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