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Eine KHZG-UmsetzungsbilanzErst das große Versprechen, jetzt der große Druck

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz startete 2020 eine Milliardenförderung für moderne Versorgungsstrukturen. Die Erwartungen waren groß, doch die Umsetzungszeit läuft nun ab. Ein Spiel aus Licht und Schatten im deutschen Klinikmarkt.

Sonnenstrahlen durchdringen die dichte, dunkle Wolkendecke.
Gina Sanders/stock.adobe.com
Symbolfoto

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) sollte der 4,3 Milliarden Euro schwere Digitalisierungs-Booster für Deutschlands Kliniken sein. Zumindest was die Fristen betrifft, befindet sich das Digitalprojekt gerade in der heißen Phase. Doch der Umsetzungsstand ist laut Bundesverband der Krankenhaus IT-Leiterinnen/ Leiter (KH-IT) sehr heterogen. Es gebe wenige Häuser, die ihre Projekte bis Ende des Jahres abschließen werden, und viele Häuser, die sich aktuell in der Umsetzung befinden und voraussichtlich bis Ende 2026 fertig werden.

Es gibt einige wenige Häuser, die bei realistischer Betrachtung auch bis Ende 2026 nicht fertig werden.

„Es gibt einige wenige Häuser, die bei realistischer Betrachtung auch bis Ende 2026 nicht fertig werden“, so Jürgen Flemming, Pressereferent des KH-IT. Offen ist auch, wie es „nach“ dem KHZG nun weitergeht. Knackpunkte sind vor allem der Personalmangel und die immer noch unklare Weiterfinanzierung. Bis Jahresende müssen die Kliniken ihre Vorhaben zumindest beginnen. Hier offenbart sich schon ein Problem: „Alle Krankenhäuser haben angefangen sich gleichzeitig um die gleichen Themen zu kümmern“, sagt Michael Görlich, Stabstelle Innovationsmanagement und KHZG PMO bei der Gesundheit Nord.

Das bestätigt auch Jürgen Flemming: „Es hat sich vor allem gezeigt, dass der Markt der IT Dienstleister und Softwareanbieter doch recht klein ist. Die hohe Fördersumme von 4,3 Milliarden Euro und die breite Masse an Häusern, die sich beteiligen, haben den Markt schlichtweg überfordert.“ Mit insgesamt zehn Fördertatbeständen gibt es auf den ersten Blick zwar einen bunten Strauß an Digitalisierungsmöglichkeiten, doch die Fördertatbestände zwei bis sechs sind verpflichtend für alle, die die Fördermittel nutzen möchten.

Fördertatbestände vs. Umsetzungsrealität

Die Probleme bei der Umsetzung von KHZG-Vorhaben hat auch Jeremy Dähn, Chief Digital Officer der Johanniter GmbH, erlebt: „Die Dienstleister hatten anfangs gar nicht das Personal. Das heißt, die haben für sehr, sehr viel Geld Personal aufgestockt, Dinge neu entwickelt und das braucht Zeit. Deswegen der starke Verzug in der Umsetzung. Zudem mussten sich die Kosten dann natürlich amortisieren, was zu teilweise hohen Preisen führte. Die Krankenhäuser, die aber nicht in die schnelle Umsetzung gegangen sind, standen dann hinten an.“

Teilweise haben sich die Anbieter dann auch ganz bewusst unterboten.

Zeitweise unbezahlbar sei das für die Kliniken gewesen. „Teilweise haben sich die Anbieter dann auch ganz bewusst unterboten“, ergänzt Dähn. Das habe zu einer weiteren Überlastung der Dienstleister geführt, die dann Projekte rückabwickeln mussten. Für die Krankenhäuser ein weiterer Zeitverlust. Dazu kommt eine technische Schwierigkeit, wie Dähn erklärt: „Jetzt leben wir in einer neuen Welt, die Systeme als Software as a Service (SaaS) mit einem monatlichen Beitrag anbietet. Es wird quasi nichts mehr gekauft. Das klingt super modern, so funktionieren aber die Fördertatbestände nicht.“ Man müsse eigentlich jede Softwarelösung fix erwerben, damit sie auch gefördert beziehungsweise umlagefähig ist – Stichwort Folgefinanzierung.

Das klingt super modern, so funktionieren aber die Fördertatbestände nicht.

Infolgedessen können viele Projekte zwar angestoßen werden, wie weit die Häuser bis zum Jahresende kommen, ist jedoch fraglich. Die Fristen seien definitiv zu kurz gewesen, so Flemming. Denn alleine das oft notwendige europaweite Ausschreibungsverfahren dauere bereits für damit erfahrene Unternehmen lange.

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Klinikum Chemnitz betreibt Binnendigitalisierung

Das Klinikum Chemnitz hat seinen Schwerpunkt auf die „Binnendigitalisierung“ gesetzt; also alles, was die Kernprozesse im Haus betrifft. Laut Dr. Frank Nüßler, Leiter des Bereichs Informatik, gab es in diesem Bereich die größten weißen Flecken. Themen sind zum Beispiel die Digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation (Fördertatbestand 3) sowie das digitale Medikationsmanagement (Fördertatbestand 5). Die digitale Abbildung von Kurven sei das „Herzstück der Digitalisierung“ und gehöre zum Kernprozess bei stationären Patienten. Bisher läuft die elektronische Kurve auf 50 Prozent der Intensivstationen, auf den übrigen sind es erst zwei von 90. Die Personalengpässe der Anbieter bekam auch Nüßler zu spüren. Teilweise gab es auf Dienstleisterseite einen Zeitverzug von über einem halben Jahr. Aber auch intern musste neues Personal rekrutiert werden – nicht nur Systemadministratoren, sondern auch professionelle Projektmanager.

Wir haben einen Gewinn an Prozessqualität und Patientensicherheit.

Das Großprojekt KHZG betrifft jedoch nicht nur die IT. „Alleine mit der IT schaffen sie die Digitalisierung nicht“, sagt Nüßler. „Sie brauchen viel Unterstützung aus den Fachabteilungen und den unterschiedlichen Berufsgruppen.“ Diese interdisziplinäre Struktur aufzubauen sei eine Herkulesaufgabe. Auch die Benutzer müssen mit ins Boot geholt werden. So sei es an manchen Stellen ein Kampf, bis die Akzeptanz bei ihnen erreicht sei. Schon mehrfach habe er das Feedback erhalten, dass es zu viel Arbeit mache oder die Zeit für die Einarbeitung fehle. Digitalisierung wirkt nicht sofort, sondern zuerst muss eine schwierige Adaptationsphase bewältigt werden – von der ganzen Organisation.

KI-Projekte bei Vivantes

Auch in der Hauptstadt wird fleißig an Digitalprojekten gearbeitet. Im Sommer startete Vivantes eine groß angelegte KI-Initiative. Unter anderen unterstützen die Tools medizinisches Personal dabei, Frakturen, Lungenembolien oder Hirnblutungen zu diagnostizieren. Die Frakturerkennung ist beispielsweise flächendeckend im Einsatz, die Pathologie wird derzeit validiert. Die Idee für dieses Großprojekt gab es jedoch schon vor dem KHZG. Auch die weiteren Projekte – etwa die digitale Kurve oder das Medikationsmanagement – seien mit Ausnahme der Kindermedizin für alle Kliniken vollständig abgeschlossen, berichtet Nils Alwardt, Ressortleiter IT und Digitalisierung.

Für die zweite Jahreshälfte steht zudem noch die Patientenapp auf der Agenda. Für Vivantes sieht er in puncto Umsetzung wenig Probleme – dies sei jedoch der Tatsache geschuldet, dass das Berliner Unternehmen schon vorher mit den Projekten angefangen und sie vorfinanziert habe. Diese Mittel hat jedoch nicht jedes Krankenhaus, räumt er ein. „Andere Häuser haben andere Rahmenbedingungen, für die ist es wirklich problematisch“, sagt Alwardt.

Im Zweifel müssen sie die Leute selbst ausbilden, weil es die so auf dem Markt nicht gibt.

Die größten Hürden – personelle Ressourcen und die offene Weiterfinanzierung – machen jedoch auch vor Vivantes keinen Halt. Es sei eine große Challenge, gut qualifiziertes Personal zu finden. „Im Zweifel müssen sie die Leute selbst ausbilden, weil es die so auf dem Markt nicht gibt“, so der Ressortleiter. Auch die Finanzierung sieht er als Problem. Mögliche Folge: Der Digitalisierungsschub, den das KHZG mit sich gebracht hat, wird abnehmen, so Alwardt. Dass weitere Schübe notwendig sind, zeigt jedoch das erste Digitalradar-Ergebnis. Zwar lag Vivantes hier mit 52 von 100 Punkten weit über dem Bundesdurchschnitt, doch bundesweit sei noch viel Aufholarbeit nötig.

Bremen setzt auf Multiplikatoren

Mit einer großen Roadmap startete auch die Gesundheit Nord 2020 in das Projekt KHZG. Die anfangs 70 Maßnahmen wurden auf 20 reduziert. Diese befinden sich bereits in unterschiedlichen Stadien in der Umsetzung. Zu den größten Projekten gehören die digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation sowie das Medikationsmanagement. „Wir sparen nicht nur Papier, sondern lösen es auch ab“, bringt es Michael Görlich auf den Punkt.

Doch auch in Bremen sind fehlende Personalressourcen ein Problem. Das gelte jedoch für alle Berufsgruppen. „Wir brauchen Multiplikatoren, die das mit uns gemeinsam planen und mit den Kollegen vor Ort kommunizieren und sie unterstützen, wenn es losgeht“, sagt Görlich. Denn der Arbeitsalltag im Krankenhaus ist stressig genug – umso wichtiger, alles klar zu koordinieren. „Wenn im Alltag zusätzlich Zeit für IT-Schulungen oder Einweisungen benötigt wird, jubeln natürlich nicht alle.“ Denn die Einarbeitung kostet wertvolle Zeit – etwa einen halben bis ganzen Arbeitstag, was langfristig im Voraus geplant werden müsse. „Grundsätzlich stehen die Beschäftigten den Digitalisierungsprojekten aber sehr offen gegenüber.“

Zum Nulltarif ist das nicht zu haben.

Dabei wird Schritt für Schritt vorgegangen – insgesamt gehören zum Verbund vier Standorte. Die einzelnen Projekte werden zunächst an einem pilotiert, um Erfahrungen zu sammeln. Schon jetzt zeichnen sich die Vorteile ab. „Wir haben einen Gewinn an Prozessqualität und Patientensicherheit“, sagt Helmar Conradi, Leiter des Geschäftsbereichs Medizin- und Informationstechnik. Dennoch: „Zum Nulltarif ist das nicht zu haben“, stellt er klar.

Görlich sieht in den Kosten auch den Aspekt der dualen Krankenhausfinanzierung, die derartige Projekte noch nicht berücksichtigt. Denn mit den KHZG-Projekten kommen auch zusätzliche Kosten für Wartung, Instandhaltung und Personal auf die Kliniken zu. „Die mittelfristige Planung für das Budget bleibt eine Herausforderung“, so Görlich. Inwieweit die Digitalisierung langfristig einen wirtschaftlichen Effekt hat, ist schwer in Summen auszudrücken. Die eingekauften Technologien verursachen langfristig zu tragende Mehrkosten – dem entgegen steht aber das entfallende Drohpotenzial des Digitalabschlags.

Was bleibt

Für Matthias Meierhofer, bvitg-Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer des Softwareanbieters Meierhofer, zeichnen sich trotzdem positive Effekte des KHZG-Digitalisierungsschubs ab: „Die Akzeptanz digital zu arbeiten, ist bei allen – inklusive den Patienten – merklich gestiegen.“ Meierhofer resümiert jedoch auch: „Die Summe verschiedener regulatorischer Anforderungen kostet alle Marktteilnehmer einen massiven Teil ihrer Entwicklungskapazitäten.“

Die Summe verschiedener regulatorischer Anforderungen kostet alle Marktteilnehmer einen massiven Teil ihrer Entwicklungskapazitäten.

Wie viel Zukunft vom Krankenhauszukunftsgesetz im Endeffekt bei den Patientinnen und Patienten ankommt, sieht CDO Jeremy Dähn differenziert. „Es wird gerade in Tatbeständen, die der Patient nicht sieht, sehr viel ankommen. Da reden wir von Dokumentation, Patientensicherheit und pflegeerleichternden Maßnahmen.“ Doch zuletzt bleibt die Ambivalenz – zwischen digitaler Aufbruchsstimmung und großen Umsetzungsschwierigkeiten.

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