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Baden-WürttembergVier Unikliniken gemeinsam in die digitale Zukunft

In Baden-Württemberg arbeiten die vier Unikliniken trotz Wettbewerb erfolgreich zusammen. Der Kompetenzverbund „4U“ hat eine standortübergreifende Digitalisierungsstrategie erarbeitet. Als nächstes steht ein Security Operations Center auf dem Plan.

Digitale Vernetzung
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Symbolfoto

Die Richtung ist klar: Nichts weniger als eine zukunftsweisende Gesundheitsversorgung nimmt Baden-Württemberg in den Fokus. Die Zusammenarbeit an den Medizinstandorten Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm soll gefördert werden, um die Lehre, Forschung und Gesundheitsversorgung im Bundesland besser aufzustellen. Dafür braucht es eine gemeinsame forschungsfreundliche Daten-Infrastruktur.

Ein wichtiges Fundament, um bereits vorhandene Schnittstellen zwischen den einzelnen Institutionen, aber auch zwischen Klinik und Patienten, noch stärker und effektiver ausbauen zu können, ist die Digitalisierung. „Ich glaube, bei Themen der IT und der Digitalisierung können wir nur gemeinsam stark sein und Dinge voranbringen“, sagt Dr. Michael Kraus, der das Zentrum für Digitalisierung und Informationstechnologie am Universitätsklinikum Freiburg leitet. Gemeinsam mit seinen Kollegen an den anderen Standorten hat er deshalb eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie entwickelt.

Wissen teilen und generieren

Sicher, in der Vergangenheit wurden bereits punktuell zwischen den vier Universitätskliniken Daten geteilt, zum Beispiel über die Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) oder auch für Innovative Versorgung (ZIV). Doch künftig soll dieses Zusammenwirken noch intensiviert werden. „Wir haben die Datenschutzkonzepte, die technischen Lösungen sind etabliert. Das soll jetzt auf weitere Bereiche der Medizin ausgerollt werden“, erläutert Prof. Dr. Frederik Wenz. Er ist Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Freiburg. Außerdem ist er ist Vorstandsvorsitzender von „Universitätsmedizin Baden-Württemberg“.

Im Juni 2021 wurde der Dachverband der baden-württembergischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten gegründet. Ziel war unter anderem, gemeinsame Zielvorstellungen festzulegen und Projekte für eine bessere Gesundheitsversorgung anzustoßen. „Wissen generieren – Wissen teilen“ lautet der Leitspruch des Kompetenzverbunds, der sich auch kurz 4U nennt. Seitdem ist viel passiert. Schon parallel zur Vereinsgründung wurde die gemeinsame Digitalisierungsstrategie erarbeitet. 

Die Universitätsmedizin Baden-Württemberg ist der Dachverband der baden-württembergischen Universitätskliniken und Medizinischen Fakultäten. Das sind die vier Kliniken an den Standorten Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm. Bei den Medizinischen Fakultäten gibt es noch einen zusätzlichen Standort in Mannheim. Der Kompetenzverbund will die Zusammenarbeit der Standorte ausbauen und Lehre, Forschung sowie Gesundheitsversorgung voranbringen. Trotz Kooperationen der vier Medizinstandorte soll der Wettbewerb zwischen den einzelnen Häusern weiterhin aufrechterhalten werden. Schwerpunkte werden bei der Digitalisierung und Nutzung von künstlichen Intelligenz in der Medizin gesetzt. Mit entsprechenden politischen Rahmenbedingungen soll Baden-Württemberg national und auch international Vorreiter der digitalen Gesundheitswirtschaft werden.

Wo besteht Optimierungsbedarf?

Die Universitätsklinika und medizinischen Fakultäten haben gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags ein Programm umgesetzt, das konkrete Vernetzungs- und Digitalisierungsprojekte adressiert hat. So wurde unter anderem über die vier Häuser hinweg eine Prozess- und Anwendungsanalyse durchgeführt. Mit Hilfe einer einheitlichen Systematik wurde untersucht, wie Patienten- und somit Behandlungspfade in den Kliniken ablaufen, was an den einzelnen Häusern für IT-Systeme eingesetzt werden und an welchen Stellen beispielsweise noch Papier genutzt wird. Ziel war es, Best Practice-Beispiele zu ermitteln beziehungsweise herauszufinden, wo noch Optimierungsbedarf besteht, um so die weitere Digitalisierung an den einzelnen Standorten genauer planen zu können. 

Die Vision, die wir haben, ist die Wissen-generierende Versorgung.

Dr. Michael Kraus
Universitätsklinikum Freiburg/Britt Schilling
Dr. Michael Kraus wurde zusammen mit seinen 4U-Kollegen zum „Chief Information Officer des Jahres 2022 im Public Sector“ ausgezeichnet.

Durch die standortübergreifende Digitalisierungsstrategie soll eine datenbasierte Medizin erreicht werden. „Die Vision, die wir haben, ist die Wissen-generierende Versorgung“, sagt Michael Kraus. Grundvoraussetzung dafür ist, dass künftig auf Daten, die bislang noch in lokalen Silos liegen, unter Gewährleistung des Datenschutzes zugegriffen werden kann. Um die aktuell stark fragmentierte Datenhaltung zu überwinden – jedes Haus verfolgt eine eigene Strategie und nutzt höchst unterschiedliche IT-Systeme – hat 4U eine gemeinsame Multi-Cloud-Strategie ausgearbeitet. Damit könnten große Datenmengen verschlüsselt gespeichert werden. 

Vorteile für Patienten

Ein verbesserter Datenaustausch zwischen den Universitätskliniken käme vor allem Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen oder Krebserkrankungen zugute. Die Diagnose beziehungsweise Therapie von Erkrankungen wird erleichtert, je mehr digitale Daten zur Verfügung stehen, weitere Fälle mit ähnlichen Verläufen entdeckt oder perspektivisch Trainingsdatensätze für KI-Algorithmen zusammengestellt werden können. 

Das Potential, das sich durch den Kompetenzverbund ergibt, ist beträchtlich: Wenn sich die vier Universitätskliniken mit insgesamt gut 7000 Betten und mehr als 350 000 stationären Fällen pro Jahr zusammenschließen, steht eine ungleich höhere Datenmenge bereit als in einem einzelnen Haus. Dafür ist unter anderem ein Ausbau von Infrastrukturen für Speichersysteme notwendig. 4U setzt hier auf ein standortübergreifendes Storage Grid.

Die einzelnen Häuser verfügen über Schnellspeicher für medizinische Daten, die Vernetzung von einzelnen Speicherbereichen steht allerdings noch aus. Über den Storage Grid könnten bei einem Partnerhaus große Datenmengen ausgelagert werden, die nicht für den täglichen Krankenhausbetrieb relevant sind, beispielsweise Backups. Oder es werden gemeinsam genutzte Datenbestände auf verschiedene Standorte verteilt. 

IT-Sicherheit mit Dr. Nope

Weil dies alles unter Aspekten des Datenschutzes und der Datensicherheit ablaufen muss, spielt IT-Sicherheit natürlich eine wichtige Rolle. Deshalb haben die vier Universitätsklinika eine große Sensibilisierungskampagne namens „Dr. Nope“ ins Leben gerufen. Sie soll den Mitarbeitenden das Thema Informationssicherheit noch stärker ins Bewusstsein rücken und den alltäglichen Umgang mit Geräten, Anwendungen und Daten auf diese Weise sicherer machen. Michael Kraus ist allerdings auch der Ansicht, dass ab einem bestimmten Level die IT-Sicherheit nicht mehr nur allein von einem einzelnen Haus gestemmt werden kann. Deshalb wird von 4U aktuell ein Konzept erarbeitet, das Datensicherheit rund um die Uhr möglich machen soll. Ein gemeinsames Security Operations Center ist geplant.

Digitalisierung soll kein Selbstzweck sein.

Prof. Dr. Frederik Wenz
Universitätsklinikum Freiburg/Britt Schilling
Zweifacher Vorstandschef: Prof. Dr. Frederik Wenz steht nicht nur an der Spitze des Universitätsklinikums Freiburg, sondern auch an der des Kompetenzverbunds 4U.

„Im Rahmen unseres Kompetenzverbundes haben wir bereits vieles umgesetzt und konnten viel von den Partnern der anderen Häuser lernen“, berichtet Michael Kraus. Die Umsetzung der Strategien in den einzelnen Häusern laufe dank des Austauschsei nfacher ab. Und es zeichnen sich zudem schon positive Effekte von gemeinsam eingeführten und etablierten digitalen Lösungen ab. „Digitalisierung soll kein Selbstzweck sein. Wir wollen vor allem die Behandlungsqualität verbessern. Das geht letztendlich nur durch die Digitalisierung. Wenn man die Prozesse durch geeignete Sensorik überwacht, kann eine völlig neue Qualitätssicherung ermöglicht werden als durch eine Papierdokumentation“, erläutert der 4U-Vorstandsvorsitzende Wenz.

Qualitätssicherung in Echtzeit

Das Grundprinzip der heutigen Qualitätssicherung bestehe darin, dass die Qualität der Dokumentation überprüft wird, aber nicht die Qualität des jeweiligen Prozesses. „Im jetzigen System kommt die Qualitätssicherung immer zu spät. Werden hingegen durch eine geeignete Digitalisierungsstrategie die Sensorikdaten in Echtzeit erhoben, kann man auch in Echtzeit intervenieren und dadurch die Behandlungsqualität verbessern“, sagt Wenz. Das macht auch aus Sicht des Patienten die Digitalisierung vorteilhaft. Im Krankenhaus werden immer mehr strukturierte Daten erhoben. In Echtzeit könnte daher beispielsweise die Medikamentengabe überprüft werden – hat der Patient Allergien auf bestimmte Inhaltsstoffe oder bestehen eventuell Wechselwirkungen mit bereits verschriebenen Medikamenten?

Wenn wir die Dokumentation eliminieren, dann setzen wir 25 Prozent der Arbeitszeit frei.

Das zweite Ziel, das durch die 4U-Digitalisierungsstrategie erreicht werden soll, ist eine Reduzierung oder, falls möglich, sogar die Eliminierung des Dokumentationsaufwands in den Universitätsklinika. Erreichbar, indem Geräte und nicht mehr die Mitarbeitenden selbst die Prozesse aufzeichnen. „Wenn wir die Dokumentation eliminieren, dann setzen wir 25 Prozent der Arbeitszeit im weißen Bereich, also bei Ärzteschaft und Pflege, frei und können dadurch wiederum die Behandlungsqualität, die Patientenzufriedenheit und auch die Produktivität verbessern“, führt Wenz aus. 

Spracherkennung ist längst im Einsatz

Im Bereich der Spracherkennung wurde bereits erfolgreich eine KI-basierte Software in den Häusern eingeführt. Arzt- oder Pflegeberichte müssen dadurch nicht mehr selbst geschrieben werden – bei geöffneter elektronischer Patientenakte – die bereits seit Jahren im Universitätsklinikum Freiburg flächendeckend im Einsatz ist – kann über die Spracherkennung die Behandlung dokumentiert werden.

Die Akzeptanz für diesen digitalen Helfer ist hoch: Nutzerzahlen zeigen, dass nahezu alle Ärztinnen und Ärzte im Haus mehrmals täglich die Spracherkennung verwenden. Auch sonst ist KI im Universitätsklinikum Freiburg im Alltag angekommen – schon heute wird dort kein Patient mehr ohne behandelt. Sie wird bei der Kodieroptimierung, Diagnostik und Bildanalyse in der Augenheilkunde, Pathologie, Dermatologie und beim Terminmanagement für Patienten über die Patientenapp „Meine Uniklinik“ eingesetzt. Anfang des Jahres hat das Universitätsklinikum Freiburg auch den ersten elektronischen Arztbrief an einen niedergelassenen Arzt verschickt.

Regionale Vernetzungskonzepte für nicht-universitäre Häuser

Der Datenaustausch untereinander ist mittlerweile etabliert – wird ein Patient in ein anderes Universitätsklinikum in Baden-Württemberg verlegt, muss kein Arztbrief mehr ausgedruckt werden. Doch mit Blick in die Zukunft soll die Zusammenarbeit nicht nur zwischen den Universitätskliniken gestärkt werden, sondern auch mit nicht-universitären Häusern. „Es ist wichtig, wenn sich die Uniklinika vernetzen. Aber viel passiert auch in den Regionen außerhalb der Häuser und genau dort setzen wir mit regionalen Vernetzungskonzepten an“, sagt Michael Kraus.

Es ist wichtig, wenn sich die Uniklinika vernetzen, aber viel passiert auch in den Regionen außerhalb der Häuser.

Der Datenaustausch und Wissenstransfer zu umliegenden Krankenhäusern und Arztpraxen konnte teilweise ebenfalls etabliert werden. Unter anderem ist das Augennetz Südbaden aus einer Initiative der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg und niedergelassenen Augenärzten in der Region hervorgegangen. Es gilt mittlerweile als Ansprechpartner erster Wahl, wenn es um Augenheilkunde geht. Weiterhin ist in Freiburg ein Radiologieportal an den Start gegangen. Darüber erhalten zum einen Patienten direkt ihre Daten und müssen diese nicht mehr auf CD brennen lassen. Zum anderen können Partnerpraxen direkt auf digitalem Weg mit den Uniklinika kommunizieren.

Ziel: Vorreiter in digitaler Gesundheitswirtschaft

Die gemeinsame Digitalisierungsstrategie und die bereits umgesetzten Projekte von 4U werten Frederik Wenz und Michael Kraus als Erfolg – das Konzept wurde zudem mit der IT-Auszeichnung „CIO des Jahres 2022“ mit dem ersten Preis in der Kategorie Public Sector prämiert. Doch Wenz sieht 4U noch lange nicht auf der Zielgeraden. Aktuell wird der Datenschutz nach seiner Einschätzung noch über den Patientenschutz gestellt. Der Barmer Arzneimittelreport von 2022 habe eindrücklich gezeigt, dass bis zu 70 000 Menschen pro Jahr aufgrund von Medikationsinteraktionen zu Tode kommen. Wären allen Ärzten die Medikationsinformationen ihrer Patienten in einer Cloud-Lösung zugänglich, könnten diese Menschenleben gerettet werden, betont Wenz. „Das Entscheidende ist, dass wir nicht die Daten schützen, sondern die Menschen. Da sind wir in den letzten Jahren ein wenig in die falsche Richtung gelaufen. Das muss sich wieder ändern. Die EU zeichnet mit dem European Health Data Space in dieser Hinsicht ein Stück weit vor, wie ein dem Bürger nützlicher Datenschutz gestaltet werden könnte.“

Doch nicht nur die Politik habe einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Digitalisierung. „Ein wichtiger Aspekt ist auch die Digitalkompetenz der Bürger – digitale Neuerungen werden andernfalls keine Akzeptanz finden“, ergänzt Wenz. In Baden-Württemberg will der Kompetenzverbund 4U die digitale Gesundheitsversorgung für alle nicht nur auf ein neues Level heben, sondern auch die Dateninfrastruktur im ganzen Bundesland neu gestalten. Als digitaler Vorreiter soll das Potential von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz in der Medizin voll ausgeschöpft werden. Mehr Behandlungsqualität, Patientensicherheit, Wissenstransfer, Bürokratieabbau und Nachhaltigkeit bei gleichzeitig niedrigeren Kosten.

Mit der standortübergreifenden Digitalisierungsstrategie bearbeiten die vier Universitätsstandorte in Baden-Württemberg folgende Punkte:

  1. innerklinische Prozesse überwachen
  2. digitale Unterstützungsprozesse für administrativen Bereiche zur Effizienzsteigerung
  3. Patienten als souverän handelnde Partner für Ärzte betrachten und beispielsweise über Patientenapps wie „Meine Uniklinik“ Informationsaustausch ermöglichen
  4. Vernetzung über Sektorengrenzen hinweg
  5. Digitale Infrastruktur sowohl in Uniklinika als auch landesweit neu gestalten, zum Beispiel spezielle Plattformen einrichten oder gemeinsame KI-Server nutzen
  6. IT-Sicherheit gewährleisten, beispielsweise über ein gemeinsames Rund-um-die-Uhr-Sicherheitskonzept (Security Operations Center)
  7. Forschung voranbringen durch Innovations- und Translations-Hubs, dafür sind vernetzte Datenräume eine Voraussetzung

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