Frau Heepe, was ist der Grund für den Personalnotstand in der Kinderonkologie?
Die Station war zu Beginn des Jahres ganz gut besetzt, doch dann sind im Sommer überraschend zwei Mitarbeiter aus persönlichen Gründen gegangen, und bei fünf weiteren begann eine Langzeiterkrankung. In einem so spezialisierten Bereich auf einen Schlag sieben von rund 60 Kollegen zu kompensieren, ist ein Kraftakt. Wir haben sofort versucht nachzubesetzen und sehr viel Werbung gemacht, doch auch wenn sich Interessenten finden, müssen sie sich erst von ihrem bisherigen Arbeitgeber lösen. Es war schnell klar, dass wir mindestens drei bis vier Monate brauchen würden. Zudem haben wir Leasingpersonal, das ohnehin in dem Bereich arbeitet, und Kollegen aus der Erwachsenenonkologie eingesetzt, doch all das hat nicht gereicht. Deshalb haben wir uns entschieden, die Kapazitäten zu begrenzen und in der Normalpflege sieben von 19 Betten zu sperren.
Was sagen Sie Eltern, die sich deshalb um die Behandlung ihrer Kinder sorgen?
Die Angst ist verständlich, doch jedes Kind, das einen Chemozyklus durchläuft, bekommt seine Therapie auch rechtzeitig. Zwar kann es zu einer Verschiebung um mehrere Tage kommen, doch aus medizinischer Sicht ist das absolut in Ordnung. Der Körper braucht die Chemotherapie nicht zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Zudem ist die Aufnahme von Notfällen gesichert, und sollte es doch zu eng werden, können wir Patienten in das Krankenhaus Buch verlegen. Bei einem Elternabend am 15. November werden wir all das ausführlich erklären. Aus der Situation haben wir gelernt, dass wir die Kommunikation mit den Eltern intensivieren können und dabei teilweise sicherlich auch professioneller werden müssen. Daran werden wir arbeiten.
Wann wird sich die Situation normalisieren?
Wir stellen neue Kollegen ein und werden Ende Dezember wieder voll einsatzbereit sein. Bis dahin wird die Bettenbegrenzung bestehen bleiben. Auf jeden Fall geht es der Klinik nicht darum, Personal einzusparen und so die Erlöse zu maximieren.
Die Charité gilt als attraktiver Arbeitgeber, hinzu kommt die Aussicht, in Berlin zu leben. Wieso hat selbst Ihr Haus solche Probleme, Pflegepersonal zu finden?
Im Vergleich zu anderen Kliniken bekommen wir noch relativ viele Bewerbungen, um die uns andere beneiden. Doch vor allem in Spezialgebieten wie dem OP und der Kinderonkologie spüren auch wir, dass wir nicht mehr aus dem Vollen schöpfen können. Auch wir müssen den Leuten hinterher rennen. Der Aufwand ist immens, denn wir müssen jedes Jahr ein kleines Dorf einstellen. Zwar liegt die Fluktuation im Pflegebereich nur bei rund vier Prozent, doch bei fast 4.500 Kollegen sind das jedes Jahr knapp 200 Mitarbeiter. Hinzu kommen die 200 zusätzlichen Stellen, auf die wir uns im neuen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Verdi im April verständigt haben.
Apropos Tarifvertrag: Wo stehen Sie bei der Umsetzung?
Bis Oktober haben wir 160 der 200 neuen Stellen besetzt. Das wirkt sich auf vielen Stationen positiv aus. Es gibt allerdings auch noch Bereiche mit Vakanzen, und es ist absehbar, dass sich das erst im ersten Quartal 2017 lösen wird. Grundsätzlich bedeutet der Tarifvertrag für uns: kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Wir haben schon viel auf den Weg gebracht, aber noch hat nicht jeder Bereich, was er sich vorgestellt hatte. Da ist eine gewisse Enttäuschung spürbar. Teilweise waren die Erwartungen auch zu hoch, denn der Arbeitsmarkt ist zu leer, als dass sich das so schnell umsetzen ließe. Deshalb müssen wir bei den Kollegen viel um Verständnis und Geduld werben und setzen dafür auf größtmögliche Transparenz bei den Zahlen.
Wagen Sie eine Zukunftsprognose?
Ich bin sicher, dass wir unseren Bereich stabilisieren können und es in ein, zwei Jahren sehr gut laufen wird. Grundsätzlich aber muss unser Beruf anders gestaltet werden, denn im Verlauf der nächsten zehn Jahre gehen immer mehr Kollegen in Rente. Vielen ist offenbar noch nicht klar, wie dramatisch die Folgen sein werden und dass wir schnell reagieren müssen, damit junge Menschen in die Ausbildung gehen und rechtzeitig in den Beruf kommen. Die notwendige generalistische Ausbildung wird von einer starken Lobby ausgebremst. Das ist schädlich und fällt uns in den nächsten Jahren auf die Füße. Ich bin wirklich frustriert, wie langsam die politischen Mühlen mahlen.
Erklären Sie das bitte.
Unser Beruf ist attraktiv, aber nicht attraktiv genug. Wer will in drei Schichten für ein mittelmäßiges Einkommen in einem Bereich arbeiten, in dem er ständig an seine Grenzen gerät? Wir brauchen familiengerechte Arbeitszeitmodelle, eine bessere Bezahlung und gehaltsrelevante Karriereoptionen. Wer mehr Kompetenzen erwirbt und mehr Verantwortung übernimmt, muss auch mehr verdienen. Zudem muss der Beruf von Tätigkeiten befreit werden, für die man keine dreijährige Ausbildung braucht – dazu gehört beispielsweise, Essen zu verteilen oder Schränke abzuwischen. Es wäre schön, wenn es dafür mehr politische Unterstützung auf Bundesebene gäbe.
Was tun Sie als Charité selbst?
Wir arbeiten ganz konkret an Kooperationen mit Fachhochschulen, um beispielsweise den Studiengang "Critical Care" aufzubauen. Mit ihren erweiterten Kompetenzen können die Absolventen auch mehr Gehalt erwarten. Ich gehe davon aus, dass wir damit voraussichtlich im kommenden Jahr an den Start gehen könnten. Zudem haben wir beispielsweise Mentoringprogramme initiiert und Gleitzeit für Schichtbereiche eingeführt. Wir finanzieren das Pflegemanagementstudium, zahlen Zulagen für Praxisanleiter und bieten Sommercamp-Betreuung für Kinder von Mitarbeitern an.
Bleibt das Problem, neue Leute zu finden.
Dafür sind wir verstärkt an Krankenpflegeschulen und auf Jobmessen vertreten, haben unseren Internetauftritt gründlich überarbeitet und neu strukturiert und setzen auch auf ungewöhnliche Maßnahmen. Beispielsweise platzieren wir unsere Jobanzeigen auch bei Ebay. Außerdem zahlen wir Prämien an Mitarbeiter, die Mitarbeiter werben, übernehmen die Kosten für Fachweiterbildung, und wir haben das Bewerbermanagement zentralisiert: Wer sich bei uns bewirbt, erhält innerhalb von 24 Stunden eine Reaktion. Trotzdem wird es ohne die Akquise von ausländischem Personal nicht gehen. Das machen wir jetzt neuerdings gemeinsam mit der Dekra. Die Pflegekräfte machen ihre Fachprüfung und bekommen eine Sprachausbildung. Im Dezember sollen die ersten im Einsatz sein.


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