
Ab dem Berichtsjahr 2027 wird die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auch für viele deutsche Krankenhäuser verbindlich. Wie zum Beispiel für das Universitätsklinikum Würzburg (UKW), das als erste Uniklinik in Bayern einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht für 2024 veröffentlicht hat. Darin enthalten ist ein Überblick über die Treibhausgasbilanz des UKW und enthält Informationen zum Stromverbrauch, zum Abfallaufkommen, zur Wasserentnahme und zur Arbeitssicherheit. Außerdem wird darin die Nachhaltigkeitsstrategie des UKW dargestellt.
Gerade Kliniken sind komplexe Einrichtungen mit hohem Energie- und Ressourcenverbrauch. „Auf Grundlage des Berichtes können wir die Emissionen systematisch erfassen und dort, wo es umsetzbar ist, wirksam reduzieren. Dafür ist dieser erste Nachhaltigkeitsbericht ein wichtiger Meilensein“, betont Philip Rieger, Kaufmännischer Direktor des UKW.
Messbar, vergleichbar, überprüfbar
Dabei verlangt die Richtlinie weit mehr als ein erweitertes Berichtswesen: Sie zwingt Einrichtungen, Nachhaltigkeit systematisch in Governance- und Steuerungsstrukturen einzubetten. Kliniken müssen nicht nur dokumentieren, wie nachhaltig sie handeln, – sie müssen ESG-Aspekte (Environmental, Social, Governance) messbar, vergleichbar und überprüfbar in ihre Prozesse integrieren.
Für ein System, das über Jahrzehnte stark auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen fokussiert war, bedeutet das einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel. Die Anforderungen reichen von der Definition klarer ESG-Ziele über die Einrichtung neuer Verantwortlichkeiten bis hin zur aktiven Einbindung interner und externer Stakeholder.
Nachhaltigkeit zwischen Anspruch und Realität
Eine Untersuchung der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau zeigt: Zwar führen fast alle Befragten Nachhaltigkeit prominent in Leitbildern, Strategiepapiere oder Imagebroschüren auf. Auf der operativen Ebene dominiert jedoch weiterhin die Ausrichtung an ökonomischen Zielgrößen. ESG-Ziele finden selten Eingang in Controlling-Systeme oder Anreizmechanismen.
Die Umsetzung der CSRD erfordert weit mehr als die bloße Erfüllung neuer Berichtspflichten: Sie macht sichtbar, wo bestehende Governance-Praktiken bereits eine solide Basis bieten – und wo Lücken bestehen, die eine gezielte Weiterentwicklung notwendig machen.
Die Nachhaltigkeitsberichte zeichnen ein ähnliches Bild: Umweltkennzahlen wie Energieverbrauch oder CO₂-Emissionen werden häufig erhoben, soziale Indikatoren – etwa zu Mitarbeitendenbindung, Diversität oder Patientensicherheit – dagegen nur vereinzelt. Ohne systematische Verankerung in Entscheidungs-, Controlling- und Anreizsystemen bleibt Nachhaltigkeit ein symbolisches Bekenntnis.
Zentrale und operative Bereiche – das „duale Governance-Modell“
Viele Kliniken arbeiten mit einem zweistufigen Steuerungsmodell:
- Zentrale strategische Steuerung: Fachbereiche wie Personal, IT, Recht, Finanzen oder Qualitätsmanagement definieren ESG-Ziele und integrieren sie in Richtlinien und Kennzahlensysteme.
- Dezentrale operative Umsetzung: Fachabteilungen und Standorte setzen diese Vorgaben vor Ort um, passen sie an die spezifischen Bedingungen an und liefern Rückmeldungen sowie Daten an die zentrale Ebene zurück.
Dieses Modell funktioniert jedoch nur, wenn Rückkopplungsschleifen bestehen, Daten zeitnah ausgetauscht werden und zentrale sowie dezentrale Ebenen als Partner agieren.
Nachhaltigkeit entfaltet Wirkung, wenn sie institutionell verankert ist. Ein zentrales Muster aus der Analyse war, dass dort, wo die Geschäftsführung Nachhaltigkeit aktiv verantwortete, stabile Governance-Strukturen entstanden sind. Erfolgreiche Kliniken setzen daher auf ESG-Boards, Kommissionen oder Steuerungskreise, die unmittelbar an die Geschäftsführung oder den Vorstand berichten. Diese Gremien bündeln die relevanten Kompetenzen, koordinieren bereichsübergreifend und stellen sicher, dass ESG-Themen auf der Agenda bleiben.
Auch das Qualitätsmanagement bietet Potenzial: ESG-Kriterien lassen sich in bestehende Prüf- und Berichtsroutinen integrieren – etwa über interne Audits oder Zertifizierungen. So wird Nachhaltigkeit nicht als Parallelstruktur aufgebaut, sondern in bestehende Systeme eingebettet.
Nachhaltigkeit als strategisches Instrument
Fortgeschrittene Häuser nutzen Compliance gezielt als strategisches Instrument, um Integrität, Transparenz und hohe ethische Standards im gesamten Unternehmen zu verankern.
Das Risikomanagement umfasst zunehmend nicht nur finanzielle Risikensondern auch Reputationsschäden, Verstöße gegen Umweltauflagen oder die Missachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Diese Perspektive stärkt die Resilienz und senkt mittel- bis langfristig Haftungs- und Imagegefahren.
Insbesondere große Klinikverbünde richten ihren Einkauf zunehmend an ökologischen und menschenrechtlichen Standards aus. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) dient dabei als rechtlicher Rahmen, um Lieferantenbeziehungen konsequent nach ESG-Kriterien zu bewerten. Bei Ausschreibungen und Auftragsvergaben gewinnen Kriterien wie CO₂-Bilanz, Ressourceneffizienz oder faire Arbeitsbedingungen an Gewicht – auch wenn Preis und Qualität weiterhin maßgeblich bleiben.
Gleichstellung und menschenzentrierte Governance
Einige Häuser verbinden Nachhaltigkeit gezielt mit Gleichstellungs- und Diversitätszielen. Gleichstellungspläne, Antidiskriminierungsrichtlinien und gezielte Personalentwicklungsprogramme werden als Teil einer menschenzentrierten Governance verstanden. Damit rücken soziale Nachhaltigkeit und Chancengerechtigkeit stärker in den Fokus. Die Orientierung am Public Corporate Governance Kodex (PCGK) schafft zudem Transparenz und Vergleichbarkeit.
Alle untersuchten Einrichtungen stehen vor dem Spannungsfeld, ökologische Nachhaltigkeitsziele und ökonomische Effizienzanforderungen miteinander zu vereinbaren. Vollständig auflösen lässt sich dieser Zielkonflikt nicht. Erfolgreiche Kliniken nutzen jedoch technische und organisatorische Instrumente wie Energiemanagementsysteme nach DIN EN ISO 50001 oder die Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien in Investitionsentscheidungen, um Synergien zu heben. So werden ökologische Maßnahmen als Investitionen in langfristige Wirtschaftlichkeit verstanden.
Die CSRD wirkt insgesamt als Katalysator für einen grundlegenden Wandel hin zu einem strategisch gesteuerten Nachhaltigkeitsmanagement mit klar definierten Zuständigkeiten.
Wahrnehmung von Verantwortung – Haltung entscheidet
Die Interviews machten deutlich: Die Haltung zur CSRD ist ein ausschlaggebender Faktor für die Umsetzungsgeschwindigkeit und -qualität.
- Proaktive Perspektive: Die CSRD wird als Chance gesehen, notwendige strukturelle Veränderungen anzustoßen und Zukunftsfähigkeit zu sichern.
- Defensive Perspektive: Die CSRD wird als regulatorischer Zwang empfunden, der Bürokratie verursacht und Ressourcen bindet.
Viele Einrichtungen sprechen bewusst von „Zukunftsfähigkeit“ statt Nachhaltigkeit, um interne Diskussionen konstruktiver zu gestalten. Der berufliche Hintergrund der Befragten – ob BWL, Pflege, Medizin, Recht oder Technik – prägte dabei die Schwerpunktsetzung.
Zentrales Hindernis bleibt dabei die fehlende Datenbasis. Ohne standardisierte Indikatoren, klar definierte Zuständigkeiten und IT-gestützte ESG-Datensysteme ist weder eine valide Steuerung noch eine glaubwürdige Berichterstattung möglich.
Handlungsempfehlungen – fünf Schritte für Klinikleitungen
- Nachhaltigkeit in Governance-Strukturen integrieren
- Strategische Roadmap mit Meilensteinen, Ressourcenplan und Verantwortlichkeiten entwickeln
- Vorhandene Systeme wie EMAS, ISMS oder QM für ESG-Prozesse nutzen
- Stakeholder-Dialog institutionalisieren
- ESG-Datenmanagement mit IT-Unterstützung aufbauen.
Fazit – Pflicht als strategische Chance
Die CSRD zwingt Krankenhäuser, Governance neu zu denken. Wer Nachhaltigkeit klar in Entscheidungs- und Steuerungsmechanismen integriert, schafft nicht nur Compliance, sondern stärkt die strategische Zukunftsfähigkeit seiner Einrichtung. Nachhaltigkeit darf nicht im Kommunikationsbereich verharren – sie gehört in den Maschinenraum des Klinikmanagements.








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