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PflegebereichgestaltungGesundes Krankenhausklima – Projekt will Musterlösungen liefern

Welchen Einfluss haben Hitzestress und Raumluftqualität auf die Patientengesundheit im Krankenhaus? Ein Verbundprojekt will Lösungen für die energieeffiziente Steuerung von raumlufttechnischen Anlagen und die bauliche Pflegebereichgestaltung liefern.

Holzwürfel, auf denen "Hitze" steht.
HNFOTO/stock.adobe.com
Symbolfoto

Bei sommerlichen Temperaturen leiden viele Patientinnen und Patienten in Kliniken unter Hitze. Besonders Infektionen mit multiresistenten Keimen und Influenza- oder Coronaviren bereiten ihnen Probleme. Im Projekt EnHance (EnOB: EnHance – Energieeffiziente Krankenhausräumlichkeiten: Mit minimalem Energieeinsatz ein gesundes Raumklima und hygienische Raumluftqualität schaffen) untersucht ein interdisziplinäres Team erstmals systematisch, wie sich Hitzestress und Raumluftqualität auf die Gesundheit der Patienten und des Personals auswirken.

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in den nächsten drei Jahren mit etwa einer Million Euro gefördert. Die Politik erhofft sich von dem Projekt unter anderem Anhaltspunkte dafür, wie zum Beispiel raumlufttechnische Anlagen möglichst energieeffizient betrieben werden können, um den Gesundheitsschutz der Patienten zu fördern.

Für die Untersuchungen sollen Gesundheitsdaten von Patienten mit dem Raumklima, der Raumluftqualität sowie den baulichen Strukturen verknüpft werden. Die Koordination des EnHance-Projektes hat Prof. Dr. Martin Kriegel von der TU Berlin übernommen. Der Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts (HRI) ist zuständig für die Entwicklung eines neuartigen Mess-, Steuer- und Regelungssytems der Raumluft und des Raumklimas. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Sunder, Leiter Gesundheitsbau am Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) an der TU Braunschweig, untersucht den Einfluss von Gebäuden auf die Gesundheit. Die Gesundheitsinformationen und statistischen Bewertungen der Zusammenhänge werden vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité unter der Leitung von Prof. Dr. Christine Geffers bereitgestellt.

Forschung unter realen Bedingungen

Die Patienten im Krankenhaus sollen schnell wieder gesund werden und keinem Risiko ausgesetzt sein. Die Forscher können das Raumklima daher nicht künstlich verändern. Sie müssen die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Raumklima unter realen Bedingungen untersuchen. Das geschieht auf ausgewählten Stationen.

Zur Messung der Luftparameter werden spezielle Sensoren eingesetzt, welche die Raumtemperatur und Luftfeuchte messen sowie die Partikelanzahl in der Luft und den Kohlendioxid-Anteil. Kohlendioxid entsteht beim Atmen und ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit der Raumlüftung. Die Sensoren werden in jedem Patientenzimmer der ausgewählten Stationen angebracht und bei größeren Räumlichkeiten müssen mehrere Sensoren installiert werden.

Zusätzlich zu den Raumklima- und Luftparametern sollen auch Informationen über Stickoxidkonzentrationen sowie Feinstaub unterschiedlicher Größe gemessen werden. „Feinstaub wird in der Außenluft häufig kontrolliert“, erläutert Kriegel. „National und international sind Grenzwerte festgelegt worden, die sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anlehnen.“ Für Innenräume wurden bisher keine verbindlichen Grenzwerte festgelegt. Darüber hinaus untersucht der Forscher weitere Parameter, die für das Raumklima von Bedeutung sind, wie zum Beispiel flüchtige organische Verbindungen (VOCs, Volatile Organic Compounds). Diese entstehen im Krankenhaus meist durch Ausgasungen des Mobiliars und durch Verwendung von Desinfektionsmitteln.

Raumklima
HRI/TU Berlin
Prinzipieller Aufbau einer Station für immunsupprimierte Personen.

Ein Sensornetz soll Klarheit bringen

Insgesamt werden etwa 100 bis 150 Sensoren eingesetzt. Für die Dauer des Projekts erfasst das Sensornetz die Raumklimaqualitätsparameter. Danach soll es in den Patientenzimmern zur aktiven Regelung der technischen Anlagen eingesetzt werden. Die Messdaten der Sensoren werden mit den Gesundheitsdaten der Patienten in den jeweiligen Räumen verknüpft.

Die Gesundheitsdaten ermittelt das Institut für Hygiene und Umweltmedizin. Für die Untersuchung von Hitzestress eignet sich der Hämatokritwert, ein Marker für Flüssigkeitsverluste, die durch starkes Schwitzen entstehen. Weil der Körper durch das Schwitzen Salze ausscheidet, werden auch die Elektrolytwerte erfasst.

Die Behandlungsdaten der Patienten geben den Ärzten Aufschluss über infektiologische Parameter, zum Beispiel über multiresistente Keime, Corona- oder Influenzaviren. Auch die jeweilige Behandlungsdauer wird registriert. In ihrem Hygieneportal erfasst die Charité alle Daten zu Infektionen ihrer Patienten, darunter auch Informationen zur Aufenthaltsdauer in den einzelnen Räumen.

Lüften, heizen, kühlen und Feuchte regulieren

Durch die Verbindung der Raumluft- und Raumklimadaten mit den Gesundheitsdaten möchte man davon wegkommen, die Anlagentechnik nach den Vorgaben von Normen zu steuern. Die Lüftung soll künftig evidenzbasiert – unter Berücksichtigung des Nutzens für den Patienten – geregelt werden.

„Wir wissen aus Untersuchungen im OP-Bereich, dass eine aufwendige Lüftungstechnik nicht zu einer Verringerung der Infektionszahlen führt“, erklärt Kriegel, der auf eigene physikalische Untersuchungen verweist sowie auf eine Auswertung der Infektionszahlen aller deutschen Krankenhäuser über mehrere Jahre hinweg durch die Charité. „Das ist ein Beispiel dafür, wie Theorie dazu führt, dass wir sehr hohen Energieaufwand produzieren, der aber am Ende nicht den gewünschten Nutzen erbringt.“ Wie es sich mit der Raumklimaqualität in Bezug auf den Hitzestress und die Infektionen verhält, soll das EnHance-Projekt zeigen. „Wir rücken das jetzt ins datenbasierte Licht.“

Die Forscher erhoffen sich vom Projekt aber nicht nur Erkenntnisse für eine energieeffiziente Anlagensteuerung. „Die Erfassung von Sensordaten über einen längeren Zeitraum und deren Korrelation mit Gebäudedaten wie Größen, Flächen, Volumina sowie Öffnungen wie Fenster und Türen führt zu einer Datengrundlage für die Planung von Gebäuden oder Gebäudetrakten“, stellt Sunder fest. Diese Informationen möchte der Architekt für eine sinnvolle Planung des Pflegebereichs mit Empfehlungen für Himmelsrichtungen, Patientenzimmer, Fassadenaufbau, Sonnenschutz oder Fenstergröße geben.

Digitaler Zwilling für Simulation

Derzeit wird ein Simulationsmodell erstellt, das einen digitalen Zwilling darstellt. Die Sensorendaten aus den überwachten Stationen sollen mit den baulichen Informationen und den Gesundheitsinformationen gekoppelt werden, um Studien mit Veränderungen der physikalischen Parameter zu ermöglichen. Dadurch möchten die Forscher die wesentlichen Einflussgrößen statistisch ermitteln.

Zusätzlich zum Simulationsmodell wird auch ein 3D-Modell erstellt, das den Planern wertvolle Hinweise geben soll. „Am Ende des Projekts werden wir bauliche Musterlösungen für unterschiedliche Bereiche im Krankenhaus entwickeln, die wir als Blaupause nicht nur für Neubauten, sondern auch für die Renovierung von Bestandsbauten verwenden können“, so Sunder.

Das neuartige Sensornetzwerk könnte dabei eine wichtige Rolle spielen: zum einen als Signalgeber im Klinikalltag, damit die Anlagentechnik schnell und flexibel auf sich ändernde Umstände reagieren kann und zum anderen zur Schaffung einer umfangreichen Datengrundlage für bauliche, technische und organisatorische Maßnahmen.

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