
Die Gefahr ist da. Und doch bleibt sie meist nicht dauerhaft im Gedächtnis. Die Folgen von Hitzewellen sind nicht mit einprägsamen Bildern verknüpft, anders als beispielsweise bei Hochwasser oder Stürmen. Hitzetote sterben leise, heißt es immer wieder. Hitze als direkte Todesursache wird meist nicht registriert. Selbst, wenn dadurch zum Beispiel bei Personen mit einer Vorerkrankung schwere Komplikationen ausgelöst wurden, die zum Tod führten. Die Folge ist, dass das Gesundheitsrisiko durch Hitze generell unterschätzt wird. Ein Trugschluss, denn Hitzewellen fordern mehr Todesopfer als alle anderen Folgen des Klimawandels. Als 2003 durch eine Hitzewelle in Europa mehr als 70 000 Menschen starben – in Deutschland rund 7600 –, waren hitzebedingten Ursachen unter anderem Herzinfarkte, Erkrankungen der Nieren und der Atemwege.
Auch die Analyse vom Robert Koch-Institut, dem Deutschen Wetterdienst und dem Umweltbundesamt „Hitzebedingte Mortalität in Deutschland zwischen 1992 und 2021“ zeigt, dass in späteren Hitzewellen ebenfalls eine signifikante Anzahl an hitzebedingten Sterbefällen auftrat: Die Schätzwerte liegen bei etwa 8700 im Jahr 2018, etwa 6900 im Jahr 2019 und 3700 im Jahr 2020. Mit der ersten Hitzewarnung dieses Jahres wurden deshalb Forderungen nach Hitzeaktionsplänen laut, um die Bevölkerung zu schützen und Hitzetote zu verhindern.
„Städte und Kommunen brauchen Hitzeschutzpläne, damit sich Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens besser auf Hitzewellen vorbereiten können, am besten geregelt durch einen nationalen Hitzeschutzplan“, sagte unter Dr. Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes, in einem Interview. Auch Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt forderte: „Wir brauchen dringend einen nationalen Hitzeschutzplan auf Bundesebene. Auf Landes- und kommunaler Ebene sollten die unterschiedlichen Hitzeschutzpläne koordiniert und umgesetzt werden mit besonderem Augenmerk auf schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen.“ Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis sollten bei der Ausarbeitung der Hitzeschutzpläne einbezogen werden.
Hitzeaktionspläne verhindern Hitzetode
Das Rüstzeug für solche Hitzeaktionspläne ist eigentlich vorhanden, nur an der Umsetzung hapert es noch. Bereits 2008 gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Empfehlungen, welche Strukturen für einen funktionierenden Hitzeschutz benötigt werden. 2017 wurden diese schließlich auch für Deutschland adaptiert und vom Umweltbundesamt als „Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit“ veröffentlicht, die sich an die Länder und Kommunen richten. Denn anders als beispielsweise in Frankreich, Spanien oder Italien ist es in Deutschland aufgrund der föderalen Strukturen schwierig, zentralistisch einen nationalen Hitzeaktionsplan zu organisieren.
Es ist für ein so reiches Land wie Deutschland auch unter epidemiologischen Aspekten peinlich, dass man hier an Hitze stirbt.
„40 Grad Hitze wird in ein paar Jahren Normalität sein. Darauf sind wir überhaupt nicht vorbereitet“, sagt Prof. Henny Annette Grewe, die im Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Hochschule Fulda für Medizinische Grundlagen der Pflege tätig ist. Deutschland ist im europäischen Vergleich schon im Verzug und fängt 20 Jahre nach anderen europäischen Ländern an, den Hitzeschutz zu planen. Grewe betont, dass es Handlungsbedarf gibt: „Es ist für ein so reiches Land wie Deutschland auch unter epidemiologischen Aspekten peinlich, dass man hier an Hitze stirbt.“
Die Wissenschaftlerin analysiert unter anderem bestehende Hitzeaktionspläne und berät Kommunen dazu. Grewe nimmt derzeit zwar eine Aufbruchsstimmung wahr, betont gleichzeitig aber: „Innerhalb der Bundesrepublik sind etwa 20, 25 Kommunen aktiv. Das ist natürlich für die Anzahl der Kommunen, die wir haben, immer noch nicht hinreichend.“ Die ersten Bundesländer sind mittlerweile dabei, einen Hitzeaktionsplan auf Landesebene zu erarbeiten, vermutlich wird der erste noch in diesem Jahr vorgestellt.
Dass Hitzeaktionspläne hilfreich sind, Hitzetode zu verhindern, konnte bereits gezeigt werden. Nach der Hitzewelle in Europa im Jahr 2003 hatte Frankreich einen nationalen Hitzeaktionsplan etabliert. Dieser sieht bestimmte Maßnahmen vor wie das Monitoring der Sterblichkeit und der Krankenhausaufnahmen im Sommer, die Registrierungspflicht für alle Kommunen sowie die Verpflichtung aller Altenpflegeheime, einen gekühlten Raum vorzuhalten. 2006 gab es in Frankreich eine Hitzewelle vergleichbarer Stärke wie der von 2003, dieses Mal lagen die Sterbefallzahlen jedoch um mehr als 30 Prozent unter dem errechneten Erwartungswert, wie Grewe konstatiert.
Musterhitzeschutzplan für Krankenhäuser
Das „Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin“ hat gemeinsam mit Akteuren des Gesundheitswesens Hitzeschutzpläne für fünf Bereiche erarbeitet. Als Vorlage für den Muster Hitzeschutzplan für Krankenhäuser diente das Konzept des Berliner Evangelischen Krankenhauses Hubertus. Hier einige Auszüge:
- Maßnahmen zur Vorbereitung auf den Sommer: dazu zählt unter anderem die Benennung einer Person, die für Hitzeschutz verantwortlich ist, die Erstellung eines spezifischen Hitzeschutzplans für die einzelne Einrichtung und dessen Bekanntmachen unter Mitarbeitern, Fortbildungsmaßnahmen fürs Personal, die Erfassung von kühlen Zonen und Erholungsbereichen, die Prüfung eines Sonnenschutz- und Kühlungskonzepts beziehungsweise dessen Entwicklung
- Maßnahmen während der Sommermonate: beispiels weise Lagerung wärmeempfindlicher Medikamente und Materialien, Überprüfung der Temperaturentwicklung und Raumsituation, Erfassen von individuellen Risiken der Patienten für hitzebedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen und deren Integration in die Behandlungsplanung
- Maßnahmen bei Warnstufe 1: unter anderem Fenster am Tag geschlossen halten, ausreichend Getränke für Patienten und Personal bereitstellen, vulnerable Patienten fokussiert betreuen
- Maßnahmen bei Warnstufe 2: zusätzlich zu den Maßnahmen bei Warnstufe 1 werden zum Beispiel vermehrt kühlende und wasserreiche Speisen und Obst angeboten, Patienten in kühlere Zimmer verlegt, Personal durch verlängerte Pausen unterstützt
- Maßnahmen zur mittel- und langfristigen Anpassung: Dach- und Fassadenbegrünung, Parkanlagen zur Erholung, Großteil der Patienten und Arbeitszimmer mit Waschbecken ausstatten (Möglichkeit der Körperkühlung)
Infos unter hitzeschutz-berlin.de
Akutmaßnahmen für Krisenfall fehlen
Die acht Kernelemente von Hitzeaktionsplänen setzen sich aus kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen zusammen, die unterschiedlich ressourcenintensiv sind. Zu langfristigen Maßnahmen zählen unter anderem solche des Städteumbaus wie die Entsiegelung und Begrünung von Flächen, um künftig die Temperaturen in Innenstädten zu senken. Allein haben diese baulichen Maßnahmen allerdings keinen ausreichenden Effekt in einer akuten Hitzewelle. Gerade Akutmaßnahmen im Krisenfall stellen für Kommunen und Länder jedoch eine Herausforderung dar. Die Vorbereitung von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen wurde oft von den Kommunen nicht in Angriff genommen.
Um vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Alte oder chronisch Kranke während einer Hitzewelle optimal schützen zu können, müsste im Grunde genommen proaktive Prävention betrieben werden. Das Problem: Wie macht man die Betroffenen in der Kommune ausfindig? In der Altersgruppe der 80- bis 84-Jährigen ist mehr als die Hälfte nicht pflegebedürftig, lebt also im eigenen Haushalt. In Frankreich und Italien wird aus diesem Grund zu Beginn des Sommers mit großen Werbeaktionen dazu aufgerufen, sich registrieren zu lassen, wenn man Unterstützung benötigt und in die von den Ländern vorgegebene Kategorie fällt.
In Deutschland gibt es in dieser Hinsicht nichts Vergleichbares. Nur eine Maßnahme, das „Hitzetelefon Sonnenschirm in Kassel“, geht in diese Richtung. Registrierte Personen werden während einer Hitzewelle täglich angerufen. Die heute alten Personen sind nicht internetaffin, erfahren also nicht immer von Hitzewarnungen des Deutschen Wetterdienstes. Über das Telefonat werden deshalb aktuelle Informationen und Tipps für das Verhalten bei Hitze gegeben. Außerdem dient es als sozialer Kontakt und es kann auf diesem Weg überprüft werden, ob die angerufene Person gesundheitlich beeinträchtigt ist. Im Bedarfsfall wird der Hausarzt informiert. Idealerweise würde das Angebot nicht mit dem Anruf enden, sondern kombiniert mit unterstützenden Tätigkeiten wie der Hilfe beim Einkauf oder der Fahrt zum Arzt im klimatisierten Fahrzeug.
Warum Kommunen sich bislang eher auf langfristige Planungen konzentrieren, hat auch mit dem großen personellen Aufwand zu tun, der mit der persönlichen Kontaktaufnahme registrierter Personen verbunden ist. Das Angebot muss immer sichergestellt sein, wenn Hitzewellen auftreten, also auch an Wochenenden und in der Ferienzeit. „Es herrscht eine politische Zurückhaltung und es besteht bislang der große Wunsch, man möge Hitzeschutzmaßnahmen ressourcenneutral implementieren können. Das ist natürlich nicht möglich“, stellt Grewe fest.
Hitze wird zunehmen
Zentrales Element in Hitzeaktionsplänen ist das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes, das seit 2005 im Einsatz ist und es ermöglicht, sich rechtzeitig auf Hitzeperioden einzustellen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Hitzewellen halten sich an kein Muster. Sie können in ganz Deutschland vorkommen oder nur in einzelnen Regionen. Aufgrund der Größe von Deutschland kann es auch zu regionalen Unterschieden der Wetterlage kommen, deshalb werden Hitzewarnungen in zwei Warnstufen auf Landkreisebene herausgegeben. Eine konkrete Prognose aber, wo Hitzewellen durch den Klimawandel bedingt gehäuft auftreten werden, ist nicht möglich. „Wenn wir über eins beim Thema Klimawandel Bescheid wissen, ist es das: Die Hitze wird zunehmen. Der Ausblick in die Zukunft ist nicht rosig“, sagt Prof. Andreas Matzarakis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes.
Ich merke, dass in den letzten drei, vier Jahren die Ärzteschaft vermehrt dieses Thema aufgreift und es angenommen hat.
Schon bevor 2017 die Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen veröffentlicht wurden, hatte er auf Grundlage von internationalen Dokumenten zwei Arbeiten darüber verfasst, was in solchen Plänen berücksichtigt werden sollte. Außerdem wollte Matzarakis die Ärzteschaft für den Hitzeschutz sensibilisieren, kontaktierte Ärztekammern, kassenärztliche Vereinigungen, auch Krankenkassen – und wartete vergebens auf Antwort. Erst die Hitzewelle von 2018 habe dazu geführt, dem Hitzeschutz eine andere Bedeutung zuzuordnen. Mittlerweile sind seine Workshops für Ärzte stark nachgefragt. „Ich merke, dass in den letzten drei, vier Jahren die Ärzteschaft vermehrt dieses Thema aufgreift und es angenommen hat. Das ist erst der Anfang. Wir werden hier in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein merkliches Umdenken haben“, ist sich Matzarakis sicher.
Das ist auch notwendig. Denn selbst, wenn mittlerweile Maßnahmen ergriffen werden und besser über Hitzeschutz informiert wird, sterben weiterhin Menschen durch Hitze. „Es betrifft alle: Sind die Innenräume erst einmal heiß, gibt es gibt kein Entkommen mehr vor der Hitze“, erläutert Matzarakis. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit: Bei Warnstufe 1 kann die Mortalitätskurve um mehrere Prozentpunkte, im Durchschnitt sind es acht Prozent, steigen und an einzelnen Tagen kann die Überschussmortalität um bis zu 50 Prozent und mehr zunehmen.
„Hitzeaktionspläne sind richtig und wichtig“, findet deshalb auch Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Längere und schwerere Hitzeperioden in Verbindung mit einer immer älter werdenden Bevölkerung stellen uns hier vor neue Herausforderungen. Wir sind zunehmend mit schweren gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tode durch Hitze konfrontiert.“ Die Beachtung von Risikogruppen sowie die Vorbereitung der Gesundheitssysteme stellen für ihn deshalb die zentralen Bestandteile dar. „Die WHO spricht im Zusammenhang mit den Aktionsplänen aber auch von der Kühlung beziehungsweise dem Umbau von Einrichtungen des Gesundheitssystems, also auch Krankenhäusern. Dies muss natürlich in den Ländern finanziell hinterlegt werden, damit die Krankenhäuser in der Lage sind, diese Investitionen vorzunehmen“, ergänzt Gaß.
Acht Kernelemente von Hitzeaktionsplänen
Die Handlungsempfehlungen basieren auf der WHO-Leitlinie. Die acht Kernelemente beinhalten kurz fristige, ohne große Investitionen umsetzbare Sofortmaßnahmen und langfristige Maßnahmen.
- Zentrale Koordinierung und in terdisziplinäre Zusammenarbeit
- Nutzung eines Hitzewarnsystems
- Information und Kommunikation
- Reduzierung von Hitze in Innenräumen
- Besondere Beachtung von Risikogruppen
- Vorbereitung der Gesundheits- und Sozialsysteme
- Langfristige Stadtplanung und Bauwesen
- Monitoring und Evaluation der Maßnahmen
Gesundheitswesen unzureichend eingebunden
Da durch Hitze viele Menschen sterben können, ist es Aufgabe der Kommunen, die Bevölkerung zu schützen. Allerdings sieht Dr. Eva Franziska Matthies-Wiesler, Wissenschaftlerin am Helmholtz Zentrum München und Vorstandsmitglied der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG), Handlungsbedarf: „Man kann schon zu dem Schluss kommen, dass der gesundheitsbezogene Hitzeschutz in den Kommunen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Die Gefahr von Hitze für die Gesundheit wird allgemein in ihrer Ernsthaftigkeit noch nicht erkannt.“ Matthies-Wiesler ist Mitautorin vom Lancet Countdown Policy Brief für Deutschland 2021. Darin wird analysiert, was sich seit dem ersten Policy Brief 2019 getan hat, in dem eine systematische und flächendeckende Umsetzung von Hitzeschutzplänen empfohlen wurde.
Die Gefahr von Hitze für die Gesundheit wird allgemein in ihrer Ernsthaftigkeit noch nicht erkannt.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Zwar ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für den Hitzeschutz gewachsen, sowohl in den Kommunen als auch in der Bevölkerung. Es laufen erste Pilotprojekte, Städte haben Hitzeschutzpläne entwickelt und planen die Umsetzung oder haben diese schon eingeleitet. Von einer flächendeckenden Umsetzung kann aber nicht gesprochen werden. Matthies-Wiesler hat eine Ursache ausgemacht: Die Zuständigkeiten sowie die Finanzierung von Hitzeaktionsplänen sind nicht geklärt und gesundheitsbezogener Hitzeschutz ist nicht gesetzlich verankert.
Auch die Gesundheitsministerkonferenz unterstrich 2020 die Bedeutung, Vorkehrungen gegen Hitze zu treffen. Die Erstellung von Hitzeaktionsplänen durch die Länder innerhalb der folgenden fünf Jahre wurde für erforderlich gehalten. Zuständig für die Umsetzung seien primär Kommunen und betroffene Institute unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten und Spezifika. Die Zusammenarbeit aller relevanten Akteure wie Pflegedienste, ambulanter und stationärer Versorgungsfaktor, öffentlicher Gesundheitsdienst und Krankenkassen wurde als notwendig erachtet. Doch gerade die Akteure des Gesundheitswesens sind bis jetzt nur unzureichend in die Planungen eingebunden. Das ist ein Nachteil. Denn der Gesundheitsschutz werde dadurch im Krisenfall eingeschränkt. Es ist Zeit, zu handeln. Aus der Erkenntnis heraus, dass eine Gesundheitsgefahr in Verzug ist, wie es Matthies-Wiesler ausdrückt.





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