Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG
Georg Thieme Verlag KGGeorg Thieme Verlag KG

Pflegekräfte finden und halten„Viele kommen aus der Zeitarbeit wieder ins Krankenhaus“

Der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte ist nahezu leergefegt. Was können Einrichtungen tun, um Pflegekräfte anzulocken und zu halten? kma Online hat Carsten Eichhorn gefragt, er ist Pflegedirektor der Ameos Klinika Oberhausen. 

Eichhorn auf Station mit Pflegekräften
Oliver Lang/Ameos
Setzt auf einen herausragenden Teamspirit, um die Pflegenden ins Krankenhaus zurückzubekommen: Pflegedirektor Carsten Eichhorn auf Station im Gespräch mit Pflegekräften.

Krankenhäuser werben mit Poolpartys, Blind Dates und After-Work-Partys um den Nachwuchs in der Pflege. Welche Party gibt es bei Ihnen?

Wir organisieren tatsächlich gerade ein Speed-Dating-Event. Wir laden potenzielle Mitarbeitende in unser Haus ein, um zu sehen, ob wir gemeinsam zueinander finden. Beide Seiten gewinnen so schnell einen Eindruck: Passt es oder passt es nicht.

Zuerst waren es hohe Wechselprämien, inzwischen ködern Kliniken Pflegekräfte sogar mit E-Autos und Wohnungen. Haben Sie schon eigene Budgets für solche Prämien?

Auch das ist ein Thema. An einigen Standorten der Ameos-Gruppe gibt es E-Autos für Pflegekräfte, und damit wurden erste gute Erfolge erzielt, da man diese auch privat kostenfrei nutzen kann …

Sie sprechen von den E-Autos Ihrer Kollegen bei Ameos Nord?

Genau. Hier in Oberhausen sind wir gerade dabei zu prüfen, wie wir bei der Elektromobilität nachziehen können. Noch verzichten wir darauf, Wohnraum anzubieten, weil das in den Ballungszentren hier sehr schwierig ist. 

25 Jahre lang haben Sie selbst als Krankenpfleger gearbeitet, davon acht als Pflegebereichsleiter auf Intensivstationen. Was ist für Sie gute Pflege?

Gute Pflege ist, wenn die Patienten und die Pflegekräfte gleichermaßen zufrieden sind. Um das zu erreichen, müssen gute Voraussetzungen in allen Arbeitsbereichen herrschen. Genau darin sehe ich meine zentrale Aufgabe.

Die Arbeitswirklichkeit vieler Pflegekräfte lässt diese aber oft daran zweifeln, ob sie gute Pflege umsetzen können. Schon vor Corona waren viele am Limit, die Arbeitsüberlastung und Unterbesetzung auf manchen Stationen ist seit Jahren ein Dauerzustand. Corona hat die Belastungsspitzen noch weiter nach oben getrieben. Viele sind daher ausgebrannt und wollen raus aus dem Job. Was muss sich im Krankenhaus ändern, damit der Pflegeberuf wieder attraktiv wird?

Also ich kenne auch viele, die wieder in den Pflegeberuf zurückkommen, weil dieser zunehmend wieder attraktiver wird. Gleichsam haben verschiedene Modelle wie die PpUG (Pflegepersonaluntergrenzen, die Red.) dazu geführt, dass die Krankenhäuser sehr vereinheitlicht werden. Das führt auf den Stationen nicht zwingend zu einer Verbesserung. Stationen müssen aber in der Lage sein, aufgrund der Fallschwere der einzelnen Patienten aktuell ermitteln zu können, wie viel Pflegepersonal tatsächlich notwendig ist. Dafür gibt es verschiedene Instrumente, die wir täglich in der Praxis viel stärker nutzen müssen. Wir müssen den tatsächlichen Bedarf abbilden, ein verallgemeinerter und bürokratisch ermittelter Bedarf über alle Krankenhäuser in Deutschland hilft da wenig. 

Stichwort Pflegepersonaluntergrenzen: Haben die jüngsten Pflegereformen die Situation aus Ihrer Sicht verbessert, etwa die Einführung der PpUG? 

Die PpUG haben nicht dazu beigetragen, die Situation zu verbessern. Wie ich von meinen Kollegen weiß, wurde die Untergrenzen-Verordnung vielerorts dazu genutzt, diese als Normalbesetzung zu definieren – was sicherlich nicht der richtige Weg ist. Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass wir ein Instrument bekommen, das den tatsächlichen Bedarf abbildet. Viele Instrumente bieten das an, Inpulse für die Intensivstationen zum Beispiel (Inpulse ist ein EDV-gestütztes Verfahren, mit dem der tägliche Pflegeaufwand von Intensivpatienten rückwirkend ermittelt werden kann, die Red.). Ziel muss sein, den realen Bedarf abzubilden, und zwar krankenhausspezifisch, nicht verallgemeinernd.

Kann die PPR 2.0 das aus Ihrer Sicht leisten?

Umfänglich kann sie das nicht – nein. Wir sind an der Stelle einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Tatsächlich sind wir auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel.

Was fehlt noch?

Wir brauchen eine weitere Differenzierung der einzelnen Fachabteilungen und eine weitere Differenzierung der pflegerischen Schweregrade der Patienten. Nur so können wir die realen und individuellen Bedarfe ermitteln. Im Moment wird zwar ein gewisser Schweregrad berücksichtigt, aber nicht in dem Maße wie es nötig wäre, um den wirklichen Bedarf einschätzen zu können.

Carsten Eichhorn
Oliver Lang/Ameos
Carsten Eichhorn, Pflegedirektor in den Ameos Klinika Oberhausen.

Für mich gehört die Top-down-Mentalität der Vergangenheit an.

Carsten Eichhorn ist seit März 2023 Pflegedirektor in den Ameos Klinika Oberhausen (mehr als 1400 Mitarbeitende, über 600 Betten). Bevor er seinen Bachelor in Pflegemanagement und Organisationswissen abschloss, lernte er das Gesundheitswesen als Pfleger kennen. Rund 25 Jahre war er im BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum tätig und hat dort in der Intensivpflege und Anästhesie, als Praxisanleiter und als Bereichsleiter u.a. für den Intensiv- und Überwachungsbereich gearbeitet. Gegenseitige Wertschätzung, das Team als Basis des gemeinsamen Erfolges und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind seine persönlichen Erfolgsfaktoren, um den Pflegeberuf auch in Zukunft attraktiv zu halten.

Die bundesweite Befragung „Ich pflege wieder, wenn…“ hat gezeigt, dass vielen Pflegekräften die Wertschätzung und Anerkennung ihrer fachlichen Expertise fehlt. Was tun Sie als Einrichtung, um eine solche Sichtweise unter den eigenen Pflegekräften zu verhindern?

Wir hören den Pflegenden zu – egal in welche Richtung wir Pflegestandards entwickeln, verändern und verbessern wollen. Darüber hinaus beziehen wir unsere Mitarbeitenden ein, geben nicht einfach verschiedene Instrumente vor und sagen: „So wollen wir es jetzt haben“. Für mich gehört die Top-down-Mentalität der Vergangenheit an. Aus den Teams heraus wollen wir die Qualität entwickeln. Wir haben eine große Anzahl hochmotivierter Pflegender, die in den vergangenen Jahren sehr stark gefordert, wenn nicht überfordert wurden.

Häufig ist das genau der Punkt, der nicht mit Geld zu bezahlen ist: sich bei der Arbeit richtig wohlzufühlen. 

Die Pandemie hat uns alle an die Grenzen geführt. Was an Wertschätzung entstand, ist in der Gesellschaft schnell in Vergessenheit geraten – wenn wir daran denken, dass im ersten Jahr der Pandemie die Leute auf den Balkonen Pflegende beklatscht haben. Wir erleben in unseren Häusern täglich, was Pflegende leisten. Pflege akademisiert sich immer mehr, und wir überführen dieses akademisierte Wissen in die Praxis. Das geht gut mit den Pflegenden vor Ort. Da erlebe ich eine hohe Motivation.

Ein Trend ist, dass examinierte Kräfte in Kliniken kündigen und als freie Leihkräfte wieder in Kliniken anheuern, zu besseren finanziellen Konditionen, ohne Wochenend- bzw. Nachtdienste. Das führt zu großem Ärger in der Stammbelegschaft und ist zudem für die Kliniken teuer. Viele Akteure im Krankenhausbereich fordern daher die Zeitarbeit in der Pflege einzuschränken. Wie stehen Sie dazu?

Die Entwicklungen in der Zeitarbeit sind dramatisch verlaufen. Als ich den Bereich kennengelernt habe – ich war damals im Krankenhaus fest angestellt – waren Zeitarbeitskräfte da, um einzelne Lücken zu füllen. Genau das fand ich zu der Zeit gut und angemessen. Heute werden Zeitarbeitskräfte in einem hohen Maße benötigt, um die Vorgaben bei der Dienstbesetzung zu erfüllen. Das führt zu einem umkämpften Markt mit vielen Mitarbeitenden, die hohe Konditionen aufrufen und ihre eigenen Arbeitsbedingungen vorgeben.

Und obwohl viele gute Pflegende auch in der Zeitarbeit zu finden sind – es ist bei Weitem nicht das Gleiche, mit Zeitkräften zu arbeiten wie mit den Stammpflegenden.

Wie Sie schon sagen, zulasten der Stammbelegschaft. Ich erlebe aber gleichzeitig auch einen Rückgang dieses Trends. Viele kommen aus der Zeitarbeit wieder ins Krankenhaus. In meiner Zeit hier habe ich das bereits mehrfach erlebt: Pflegende wollen aus der Zeitarbeit lieber wieder in die Klinik, weil das Teamverständnis und der Teamgedanke doch nochmal ganz andere sind. Geld allein ist nicht alles. Wir müssen viel mehr auf einen herausragenden Teamspirit setzen, um die Pflegenden ins Krankenhaus zurückzubekommen. Häufig ist das genau der Punkt, der nicht mit Geld zu bezahlen ist: sich bei der Arbeit richtig wohlzufühlen. 

Sollte die Zeitarbeit eingeschränkt werden? 

Noch vor zwei Jahren mussten wir Zeitarbeit sehr früh buchen, weil der Bedarf sehr hoch war. Heute wird mir teilweise noch 14 Tage vor dem kommenden Monat Personal angeboten. Das zeigt, dass die Nachfrage nicht mehr so hoch ist. Wir erleben eine Trendwende und das ist gut so. Wie gesagt, die Qualität entsteht aus dem Team heraus. Dazu brauchen wir Stammpersonal vor Ort – Menschen, die sich sehr mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren. Und obwohl viele gute Pflegende auch in der Zeitarbeit zu finden sind – es ist bei Weitem nicht das Gleiche, mit Zeitkräften zu arbeiten wie mit den Stammpflegenden.

Carsten Eichhorn im Austausch
Oliver Lang/Ameos
Carsten Eichhorn im Austausch mit der stv. Krankenhausdirektorin Milena Kolb und Ärzten.

Kliniken versuchen, mit verstärkter Ausbildung die Lücken im Pflegebereich zu schließen. Trotz aller Werbekampagnen: 2022 waren es 4000 weniger Azubis als im Vorjahr. Was würden Sie einem 15-Jährigen sagen, warum er Pflegefachmann werden sollte?

Das ist einfach. Pflege ist ein Beruf, der sehr abwechslungsreich ist und sehr viele Facetten bietet. Durch die generalisierte Ausbildung können wir viele verschiedene Abteilungen kennenlernen. Vom Säugling über das Kleinkind, bis hin zu geriatrischen Patienten können alle Altersstufen dabei sein. Man kann sich spezialisieren oder als Allrounder beweisen. Das Angebot ist so vielfältig wie in kaum einer anderen Branche. Es gibt eine Fülle an Entwicklungsmöglichkeiten im Berufsleben.

Ich habe es nicht eine Minute bereut.

Das macht den Pflegeberuf so überaus ansprechend. Von der grundsätzlichen bodenständigen Ausbildung bis zur Möglichkeit sich zu akademisieren und in verschiedene Richtungen zu spezialisieren, sei es wissenschaftlich, sei es im Management, sei es im pflegepädagogischen Bereich – der Beruf bietet so viele Möglichkeiten, dass es den Rahmen sprengen würde, wenn wir auf jede Facette eingehen.

Wenn Sie heute Schüler wären, würden Sie sich in der aktuellen Situation erneut für den Beruf als Krankenpfleger entscheiden? 

Absolut. Ich habe es nicht eine Minute bereut. Was ich auf Ihre Frage zuvor gesagt habe, habe ich genauso erlebt. Ich habe als Pflegekraft auf der Station angefangen, in meinem beruflichen Leben viele verschiedene Stationen und Positionen durchlaufen – bis heute. Egal an welchen Teil ich zurückdenke, egal wie alt ich war oder auf welcher Station ich war: Es war immer spannend und für mich in der Persönlichkeitsentwicklung bereichernd. Ich hatte immer mit spannenden und interessanten Menschen zu tun und die Entwicklungsmöglichkeiten waren und sind sehr vielschichtig. Sicher hätte ich einen anderen Weg gehen können als den, auf welchem ich jetzt gelandet bin. Aber eines hat mich in meinem ganzen Berufsleben begleitet: Es war immer herausfordernd. Es hat immer Spaß gemacht. Und es hat mich mit Freude erfüllt. Von daher: Aus vollem Herzen – Ja.

2023. Thieme. All rights reserved.
Sortierung
  • Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!

    Jetzt einloggen

Philips GmbH Market DACH

Philips vernetzt Daten, Technologien und Menschen

Die Medizin macht täglich Fortschritte. Damit steigen auch die…