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PflegeGeneration Z träumt nicht von Bali

In den kommenden Jahren verschärft sich der Fachkräftemangel in der Pflege, weil die Babyboomer in Rente gehen. Der Kampf um die Arbeitskräfte der Generation Z hat längst begonnen – trotz aller verfehlten Klischees über den angeblich „anspruchsvollen” Nachwuchs. 

Eine Gruppe an (Pflege-)Auszubildenden sitzt nebeneinander am Tisch.
Africa Studio/stock.adobe.com
Symbolfoto

Schon heute ist die Fachkräftelage in der Pflege prekär. Tausende Pflegefachkräfte fehlen, immer mehr Betten in Krankenhäusern müssen zeitweise stillgelegt werden, weil das Personal fehlt. Dabei sind die Babyboomer derzeit noch überwiegend in Lohn und Brot, die wirklich schwierigen Jahre mit einem geradezu dramatischen Ausscheiden von hunderttausenden Fachkräften in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung stehen erst noch bevor. Wie kritisch es dann wird, zeigen einige Zahlen, die erst aktuell wieder die Medien beherrschten.

So hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Bevölkerung unlängst darauf eingestimmt, dass die flächendeckende Versorgung mit Hausärzten in den kommenden Jahren gefährdet sein könnte. Grund: In den vergangenen zehn Jahren wurden 50 000 Ärztinnen und Ärzte zu wenig ausgebildet. In dem Zusammenhang wies der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen darauf hin, dass in der Pflege 30 000 Vollzeitkräfte fehlen. Wenige Wochen später setzte Lauterbach noch eins drauf und sprach in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem explosionsartigen Anstieg der pflegebedürftigen Menschen – was nicht nur an der demografischen Entwicklung, sondern auch an der erweiterten Definition der Pflegebedürftigkeit aus dem Jahr 2017 liegt.

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Ein Drittel mehr Pflegekräfte benötigt

Wie auch immer, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Der demografische Wandel schlägt in den kommenden Jahren erbarmungslos zu. Die Babyboomer, zu denen in Deutschland die zwischen 1957 und 1968 geborenen Jahrgänge zählen, verabschieden sich nach und nach in die Rente. Der geburtenstärkste Jahrgang 1964 wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland 15,5 Millionen Boomer, die in den nächsten 15 Jahren den Arbeitsmarkt verlassen werden. Auf die Gesundheitsbranche kommen daher große Herausforderungen zu, zumal mit zunehmendem Alter sowohl die Pflegebedürftigkeit als auch die Krankenhausaufenthalte zunehmen.

Einer Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts zufolge steigt die Zahl der durch ambulante Dienste und Pflegeheime versorgten Menschen zwischen 2019 und 2049 von 1,8 Millionen auf 2,74 Millionen. Die Zahl der Krankenhausfälle soll den Berechnungen zufolge ebenfalls zunehmen, wenn auch nicht ganz so stark. Prognostiziert wird ein Anstieg von 19,86 Millionen (2019) über 21,68 Millionen (2034) auf 22,55 Millionen Fälle im Jahr 2049. Zwischen 2019 und 2049 soll der Bedarf an Pflegekräften voraussichtlich um ein Drittel ansteigen. Um diese Lücke auch nur ansatzweise zu füllen, müssen verstärkt junge Menschen für die Pflege gewonnen werden. Aber kommt dieser Beruf für die jungen Generation überhaupt infrage?

Negatives Bild der Pflege schreckt ab

Medienberichte in der Pandemie haben ein negatives Bild mit frustrierten und überlasteten Pflegekräften gezeichnet, das abschreckend auf junge Menschen wirkt. Studierende des Management Center Innsbrucks des Studiengangs „Nonprofit-, Sozial- und Gesundheitsmanagement“ haben mit einer Umfrage und Interviews in verschiedenen Krankenpflegeschulen in Tirol und in einer Gesundheitseinrichtung herausgefunden, dass die Generation Z den Beruf der Pflege mehrheitlich keineswegs als unattraktiv empfindet. Von der Generation Z gibt es außerdem das Klischee – Stichwort Work-Life-Balance –  vom anspruchsvollen und schwierigen Mitarbeiter. Inzwischen stellen sich auch Gesundheitseinrichtungen auf die Besonderheiten dieser Generation ein. Aber stimmt das Klischee von einer Generation, die von der 20-Stunden-Woche am Strand von Bali träumt?

Die Einstellung zu Arbeit und Beruf hängt nicht mit dem Geburtsjahr zusammen."

Der Soziologieprofessor Martin Schröder von der Universität des Saarlandes hat sich mit dieser Frage beschäftigt und dazu knapp 600 000 Datensätze aus 113 Ländern ausgewertet, die zwischen 1981 und 2022 erhoben wurden. Sein Fazit anlässlich der Vorstellung seiner Publikation Ende letzten Jahres: „Ich habe nichts gefunden, was darauf hindeutet, dass die Einstellung zu Arbeit und Beruf tatsächlich mit dem Geburtsjahr zusammenhängt.“ Schröder zufolge verraten die Daten, dass junge Menschen auch schon vor 40 Jahren weniger Lust auf Arbeit hatten als Menschen mittleren Alters. Und dass Arbeit heute – unabhängig vom Alter und der Generationenzugehörigkeit – als nicht mehr so wichtig angesehen wird. Entscheidend für die Einstellung zur Arbeit und Leistungsbereitschaft sei der Lebensabschnitt, in dem eine Person befragt werde, so der Experte.

Jüngere Generation ist leistungsbereit

Mangelnde Arbeitsbereitschaft kann man der Generation Z nicht vorwerfen. Einer Online-Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Pflegekammer NRW ergab, dass die Hälfte aller unter 30-jährigen Fachpflegekräfte dazu bereit wäre, künftig mehr zu arbeiten. In Nordrhein-Westfalen haben fast 50 Prozent aller Pflegefachkräfte eine Teilzeitstelle. Zum Vergleich: In den anderen Berufen liegt der Anteil der Teilzeit-Arbeitskräfte bei 29 Prozent. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Mit zunehmendem Alter nimmt die Bereitschaft ab, die Arbeitsstunden aufzustocken. In der Altersgruppe der 30- bis 50-jährigen Pflegefachkräften sind noch über ein Drittel dazu bereit, bei den Über-50-Jährigen ist es nur noch jeder Vierte.

In ihrer Bachelorarbeit hat im vergangenen Jahr Kim Ebeling von der Ostfalia Hochschule das Thema „Employer Branding für Generation Z” untersucht. Datengrundlage für Ebelings Arbeit war eine Online-Befragung im Frühjahr 2022 an 16 Berufsfachschulen für Krankenpflege. Die Stichprobengröße betrug 300, das Durchschnittsalter der Befragten war 21,8 Jahre. Die Studie wurde von Prof. Dr. Lisa Dühring (Ostfalia Hochschule) und Kim Ebeling im PR Magazin (Ausgabe 11/2023) vorgestellt.

Die Demoskopen haben diese Umfrage parallel auch für die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz vorgenommen und dort die gleichen Ergebnisse erhalten. Um die Pflegefachkräfte zum Aufstocken zu bewegen, bedarf es einer Reihe von Maßnahmen wie zum Beispiel flexiblere Arbeitszeitmodelle, die die Bedürfnisse der verschiedenen Altersgruppen berücksichtigen. Der Trend geht weg vom herkömmlichen Schichtmodell mit Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Arbeitgeber können zum Beispiel jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Vereinbarung von Familie und Beruf entgegenkommen, indem sie kürzere Dienste anbieten. Für Berufsanfänger wiederum kann ein mehrtägiger Block mit längeren Schichten interessant sein, wenn sie danach mehrere freie Tage haben.

Arbeitsbedingungen wichtiger als Work-Life-Balance

Ebenso wichtig wie das Aufstocken ist es, neue Menschen für den Pflegeberuf im Krankenhaus oder Pflegeheim zu gewinnen. Hierzu müssen die Gesundheitseinrichtungen einen Zugang zu den jungen Menschen finden und sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. Eine Studie (siehe Kasten), die die Arbeitgeberattraktivität untersucht hat, wertete dazu aus, wie wichtig sieben Faktoren für die Generation Z sind. Ergebnis: Die Work-Life-Balance landete auf dem letzten Platz! Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen die Entwicklungsmöglichkeiten. Auch die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsmoral sind für die jungen Menschen von großer Bedeutung. Erst an dritter Stelle stehen Entgelt und Sozialleistungen. Die Faktoren Teamarbeit, Unternehmenskultur und -image sowie Arbeitsaufgaben landeten im Mittelfeld.

Attraktivität allein reicht aber nicht. Die potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Krankenpflege müssen auch auf die Gesundheitseinrichtungen aufmerksam werden. Wichtigste Informationsquelle der Generation Z ist die klassische Mund-zu-Mund-Propaganda – die Erfahrung von Freunden, Verwandten oder Bekannten. Danach folgen die sozialen Medien. Als Digital Natives sind sie erwartungsgemäß am ehesten über Instagram, YouTube und Tiktok zu erreichen. Auch Snapchat und Facebook werden noch genutzt.

Recruiting muss digitaler werden

Wenn sich die Generation Z über einen Arbeitgeber informieren möchte, schaut sie auch auf die Unternehmenshomepage, zum Teil auch auf Online-Jobportale und Online-Bewertungsportale. Regionale Tageszeitungen spielen hingegen so gut wie keine Rolle. Inhaltlich punkten Unternehmen bei der Generation Z am ehesten mit Videos und mit Interviews, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen authentischen Einblick in ihre Arbeit und das Unternehmen geben. Ebenfalls populär sind Storytelling-Formate und Bilder.

Auch wenn es aufgrund des geringeren Arbeitskräftepools für Gesundheitseinrichtungen schwieriger wird, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen: Die nächste Generation steht bereit und ist besser als ihr Ruf.

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