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Auswahlprinzip TriageKlinikärzten droht große ethische Herausforderung

Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdungslage für die Menschen in Deutschland derzeit als hoch ein. Sind die Ärzte in deutschen Krankenhäusern darauf vorbereitet, schwer an Corona erkrankte Patienten abzuweisen, weil Intensivbetten und Geräte nicht ausreichen?

Andrew Ullmann
Andrew Ullmann
Andrew Ullmann, Professor für Infektiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Als Professor für Infektiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist Andrew Ullmann mit dem Begriff der Triagierung durchaus vertraut. Die Entscheidung, wer für eine lebenswichtige Behandlung in eine Klinik aufgenommen werden kann und wer nicht, stelle Mediziner vor eine große ethische Herausforderung, sagte Ullmann im Gespräch mit kma: „Das will niemand entscheiden müssen.“ Im Verlauf der Corona-Pandemie könnte das jedoch auch auf deutsche Krankenhausärzte zukommen. Fehlen Ressourcen, müssten in letzter Konsequenz die Patienten mit den geringsten Überlebenschancen abgewiesen werden. „Unser Krankenhaussystem funktioniert bei den Zahlen von Corona-Kranken, die wir derzeit haben“, sagt Ullmann. Sollte die Entwicklung allerdings wie in Italien verlaufen, „würde es auch in Deutschland schwierig – gerade auch mit Blick auf die Beatmungsmaschinen“.  

Auf die Möglichkeit, dass sie gezwungen sein könnten, die Triage-Auswahl zu treffen, hat auch Gesundheitsminister Jens Spahn die Kliniken hingewiesen. Ende vergangener Woche hat er sie aufgefordert, alle planbaren Operationen, Eingriffe und Neuaufnahmen zu verschieben. So soll mehr Personal für die Intensiv- und Beatmungsbetten zur Verfügung stehen.  

Andrew Ullmann fordert Impflicht gegen Grippe  

Andrew Ullmann setzt wie andere Experten und der Gesundheitsminister darauf, die Durchseuchung zu verlangsamen, und hofft, dass sich die Lage spätestens im Mai etwas entspannt. „Eine zweite Welle kommt aber gewiss“, betont der Infektiologe, der für die FDP im Deutschen Bundestag sitzt und Obmann im Gesundheitsausschuss ist. Um dann besser gerüstet zu sein, „können wir aus dieser Pandemie viele Lehren ziehen“, ist Ullmann überzeugt und mahnt: „Wir sind immer gut auf die vergangene Pandemie vorbereitet, aber nicht genug auf die nächste.“  

Dabei hätte offenbar schon mehr geschehen können. In einer „Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ ging es um ein Szenario, das Ähnlichkeiten zur aktuellen Coronavirus-Pandemie zeigt. Über die Analyse, in der es darum geht, wie sich ein neuartiger Erreger weltweit verbreitet, wurde der Bundestag Anfang Januar 2013 unterrichtet. Die Pandemiepläne allerdings seien in der Zwischenzeit nicht angepasst worden, was Ullmann laut einem Bericht des „Tagesspiegel Background Gesundheit & Health“ für ein Versäumnis hält.

Eine aktuelle Konsequenz aus der bisherigen Pandemie Erfahrung, so Ullmann gegenüber kma, sei die Forderung, eine Impflicht gegen die Grippe einzuführen, um für Corona-Infizierte mit schweren Krankheitsverläufen Kapazitäten auf den Intensivstationen freizuhalten. Helfen könne auch eine zentrale Koordinierungsstelle für die rund 28 000 Intensivbetten in der Republik. Zudem bedürfe es eines konstruktiven Fehlermanagements, sagt der 57-Jährige: „Jedes Krankenhaus muss analysieren, was gut und was weniger gut gelaufen ist, seine Planung entsprechend anpassen und definieren, welche Unterstützung dafür nötig ist.“ Darüber hinaus hat Ullmann nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen auch den öffentlichen Gesundheitsdienst im Blick: „Den Bereich müssen wir dringend überdenken.“  

Bessere Bevorratung für Schutzausrüstung

Angesichts der zuletzt dramatischen Lieferengpässe bei Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung sieht der Arzt für Innere Medizin einen weiteren Punkt zum Nachbessern. Hier sei eine höhere Bevorratung nötig, auch wenn dafür mehr Lagerraum erforderlich sei, der wiederum höhere Kosten verursache. „Wir haben uns zu sehr vom asiatischen Markt abhängig gemacht“, sagt der FDP-Politiker. Dass Lieferketten künftig aufrechterhalten werden müssen, gehöre unbedingt in die Pandemiepläne. „Neue Verträge sollten so abgeschlossen werden, dass eine Lieferung von mindestens zwei Kontinenten garantiert wird.“ Zudem gelte es, die Fachkompetenz in den Krankenhäusern weiter zu verbessern, so Ullmann: „Es ist dringend Zeit den Facharzt für Infektiologie deutschlandweit einzuführen.“

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