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KatastrophenschutzAuf die Ausbildung kommt es an

In Deutschland gibt es kaum verpflichtende Ausbildungen in Katastrophenmedizin – weder für Ärzte noch für Pflegekräfte. Zwei Initiativen, die zu den Vorreitern gehören: das Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz und ein Wahlfach der Uni Würzburg.

Judith Gerlach und Prof. Thomas Wurmb im UKW
Kim Sammet/UKW
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) machte sich im August 2025 im Uniklinikum Würzburg ein Bild, wie sich das UKW auf Katastrophenfälle vorbereitet. Prof. Thomas Wurmb (links) leitet dort die Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin.

In Deutschland fehlt es bislang an einer strukturellen und bundesweit einheitlichen Einbindung der Pflege in den Katastrophenschutz. Während das Pflegeberufegesetz zwar die Förderung von Kompetenzen in Krisen- und Katastrophensituationen vorsieht, werden entsprechende Inhalte der Ausbildung oft nur unzureichend vermittelt. Statt eines verbindlichen Curriculums gibt es einen Flickenteppich an landesrechtlichen Regelungen, die eine länderübergreifende Koordination erschweren.

Forschungsprojekte wie AUPIK oder MODINA versuchen, diese Lücke zu schließen, indem sie die Schnittstellen zwischen ambulanter Pflege und Katastrophenschutz untersuchen oder Module zum Thema „Disaster Nursing“ für die Ausbildung entwickeln. Der Deutsche Pflegerat (DPR) betont die dringende Notwendigkeit, Pflegefachpersonen systematisch in Krisenstäbe und Katastrophenschutzpläne zu integrieren. Die Bemühungen, ein bundesweit einheitliches und curricular verankertes Unterrichtsmodul zu schaffen, laufen derzeit.

Prinzipien der Katastrophen­pflege

Die grundlegenden Prinzipien der Katastrophenpflege umfassen 

  • die Bereitstellung sicherer und effektiver Versorgung in Notfallsituationen,
  • die Beurteilung und Reaktion auf die Bedürfnisse von Einzelpersonen und Gemeinschaften,
  • die Zusammenarbeit mit interdisziplinären Teams zur Gewährleistung umfassender Versorgung sowie
  • die Aufrechterhaltung einer sicheren und gesunden Umgebung für Patienten und Personal.

Diese Fähigkeiten können Pflegefachkräfte am Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz erlernen.
 

Internationale Standards als Wegweiser

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass andere Länder oft schon weiter sind als Deutschland. Als wichtiger Wegweiser und globaler Goldstandard dienen die „Kernkompetenzen in der Katastrophenpflege“ des International Council of Nurses (ICN). Es existieren bereits verschiedene nationale Modelle wie zum Beispiel das „Military Nursing Model“ und das „Jennings Disaster Nursing Management Model“ aus den USA, das „HOPE-Modell“ aus Schweden sowie die Modelle „Meaning in Life“ und „SINCHI Education“ aus Japan.

Die ICN-Richtlinien wurden auch in enger Abstimmung mit den Berufsverbänden für Pflegefachpersonen in Deutschland, Österreich und der Schweiz übersetzt und an die spezifischen Gegebenheiten angepasst. Sie definieren klare Standards für die Vorbereitung, den Einsatz und die Nachsorge von Pflegekräften in Krisensituationen. Die Richtlinien umfassen zudem verschiedene Stufen der Qualifikation, von jeder allgemeinen Pflegefachkraft bis hin zur spezialisierten Expertin in medizinischen Notfallteams. Dabei ist jedoch besonders, dass Deutschland über ein einzigartiges System verfügt, das die Zuständigkeiten im nationalen Katastrophenmanagement zwischen dem Bund und den Ländern aufteilt. Und das macht es gerade in Deutschland schwer, internationale Standards zu übernehmen. Politisch muss hierzulande noch einiges geschehen, um die Einbindung von Pflegekräften in das offizielle länderspezifische Katastrophenschutzsystem voranzutreiben. Rollen und Verantwortlichkeiten müssen definiert werden und die Profession muss in Krisenstäben vertreten sein.

Experten in der Krise

Die Erkenntnis, dass eine gut qualifizierte Profession Pflege eine zentrale Rolle in der Katastrophenvorbereitung und -bewältigung spielt, ist international schon längst gesetzt. Viele Länder erkennen das Potenzial von Pflegekräften, die mit ihrem umfassenden Wissen über Gesundheits- und Sozialstrukturen, aber auch über die individuellen Bedürfnisse von Menschen, einen entscheidenden Beitrag in der Krise leisten können.

„Es ist entscheidend zu verstehen, dass Katastrophenpflege nicht nur eine reaktive Maßnahme darstellt, sondern den gesamten Zyklus des Katastrophenmanagements umfasst. Die Rollen von Pflegefachpersonen erstrecken sich von der Ersteinschätzung und Triage über die Notfallversorgung und Stabilisierung bis hin zur Koordination der Versorgung mit anderen Gesundheitsfachkräften und -organisationen sowie der wichtigen Aufklärung und Unterstützung für die betroffene Bevölkerung“, erklärt Christine Vogler, Präsidentin des DPR.

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Beim Thema Bevölkerungsschutz hinkt Deutschland noch meilenweit hinterher. Lange Zeit wurde der Fokus rein auf medizinische Aspekte und die Rolle von Rettungsdiensten, THW und Feuerwehr gelegt. Hier gab es jüngst eine bedeutende Entwicklung: Durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz müssen Pflegeheime und ambulante Pflegedienste – gesetzlich verankert – Krisenkonzepte vorhalten. Diese müssen in Absprache mit den örtlichen Gefahrenabwehrbehörden entwickelt werden und detaillierte Informationen enthalten, z.B. zu Verantwortlichkeiten und innerbetrieblichen Maßnahmen mit Fokus auf Szenarien wie längere Stromausfälle und großflächige Evakuierungen.

Während die Profession Pflege immer wieder darauf hinweist, ihre Kompetenzen auch in der Krise zu nutzen, sickert diese Ressource nur langsam in das Bewusstsein von Politik und den anderen Organisationen. Die langsam aufkommende Diskussion um „Disaster Nursing“ ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, genauso wie die Einbindung der Pflege in die Lükex-Übungen, die intervallmäßig in Deutschland stattfindenden Krisenübungen für den Bevölkerungsschutz. „Wir sind als Profession im kommenden Jahr erstmals mit an Bord bei Lükex und wollen uns sowie die Perspektive der Pflege auch künftig in die Arbeit mit einbringen“, sagt Vogler. Das war ein hartes Stück Arbeit, bis es endlich so weit war, dass die Pflege mitgedacht und eingebunden wird – und es gibt noch viel zu tun. Die Schaffung von verbindlichen, bundesweiten Ausbildungsstandards und die strukturelle Einbindung von Pflegeexpertinnen in den Katastrophenschutz sind die nächsten notwendigen Schritte.

Spezifische Kernkompetenzen für „Disaster Nursing“

Diese Kernkompetenzen nach dem ICN sind ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung und Praxis von Katastrophenpflegekräften und tragen dazu bei, dass diese in der Lage sind, effektiv auf eine Vielzahl von Notfällen zu reagieren. Die Kompetenzen umfassen:

  • Vorbereitung und Planung
  • Kommunikation
  • Verständnis und Nutzen von Incident-Management-Systemen
  • Sicherheit und Schutz
  • Beurteilung
  • Implementierung von Interventionen
  • Wiederherstellung
  • Recht und Ethik

„Die nächste Krise kommt bestimmt und dann müssen die Menschen, die unsere pflegebedürftigen Mitbürger versorgen, nicht nur bereit, sondern auch bestmöglich vorbereitet sein“, so Vogler. Denn ohne eine gut ausgebildete und in den Strukturen des Katastrophenschutzes verankerte Pflege sei eine effiziente und menschenwürdige Versorgung im Ernstfall nicht möglich.

Einige wegweisende Initiativen zeigen, dass hier ein Umdenken stattfindet: das Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz der DRK-Schwesternschaften Bonn, Lübeck, Krefeld und der Württembergischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz (WSSRK) und das neue Wahlfach Katastrophenmedizin an der Universität Würzburg.

Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz

Das Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz wurde nach den Erfahrungen des Hochwassers an der Ahr ins Leben gerufen, um eine zentrale Anlaufstelle für die Fort- und Weiterbildung von Pflegefachpersonen im Bereich des Katastrophenschutzes zu schaffen. „Wir als DRK-Schwesternschaften sind seit Jahrzehnten zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz international in Krisen- und Katastropheneinsätzen und helfen vor Ort im Ernstfall. Unsere Rotkreuzschwestern, die an Auslandseinsätzen teilnehmen, sind speziell geschult und auf diese Situationen vorbereitet“, erklärt Dr. Frauke Hartung, Vorsitzende der DRK-Schwesternschaft „Bonn“ e. V. und Leiterin des Kompetenzzentrums Pflege im Bevölkerungsschutz. „Wir wissen wie entscheidend es ist, die Kompetenz der Pflegefachpersonen zu kennen, zu nutzen und diese auch in die Strukturen und Prozesse des Bevölkerungsschutzes entsprechend einzubinden. Daher haben wir die Notwendigkeit gesehen, Pflegefachpersonen auch speziell für Einsätze in Krisen- und Katastrophensituationen im Inland zu befähigen und das Kompetenzzentrum gegründet.“

Die angebotenen Kurse reichen von Grundlagenschulungen bis hin zu spezialisierten Modulen. Das Basismodul beschäftigt sich u.a. mit den Besonderheiten der Pflege im Massenanfall von Verletzten (MANV). Hier lernen die Teilnehmenden, wie man unter extremen Bedingungen Prioritäten setzt, improvisiert und die Versorgung auch dann aufrechterhält, wenn Ressourcen knapp sind. Ebenso gehören das Verständnis von Katastrophenschutzstrukturen, Risiko- und Gefahrenabwehr, Planung und Durchführung von Evakuierungen sowie psychosoziale Unterstützung zum Lehrplan des Basismoduls.

 

In einer Krise müssen alle Akteure an einem Strang ziehen.

Ein besonderer Schwerpunkt am Kompetenzzentrum liegt auf der interprofessionellen Zusammenarbeit. Die Kurse sind so konzipiert, dass Pflegekräfte lernen, effektiv mit Ärzten, Rettungssanitätern, Feuerwehrleuten und anderen Hilfsorganisationen zu kommunizieren und zu kooperieren. „In einer Krise müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. Das Kompetenzzentrum schafft hierfür die notwendige Grundlage“, so Hartung weiter. Die Resonanz ist groß: Immer mehr Pflegefachkräfte erkennen, dass dies nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern auch eine wertvolle Qualifikation für ihre berufliche Laufbahn ist. „Denn Katastrophe ist etwas anderes als Intensiv- oder Notfallpflege und braucht daher auch besondere Skills“, erklärt Hartung.

Ausbildung in Katastrophenpflege

Obwohl im Pflegeberufegesetz festgeschrieben, gibt es in der Pflegeausbildung eine spürbare Lücke, wenn es um die Vermittlung von Kompetenzen für den Katastrophenfall geht. Genau hier setzt das zukunftsweisende Projekt MODINA an. Das Akronym steht für „Modulare Interprofessionelle Notfall- und Ausbildung für Großschadenslagen“ und widmet sich der Entwicklung eines innovativen Lehrkonzepts, um angehende Pflegefachkräfte gezielt auf den Einsatz in Katastrophensituationen vorzubereiten.

Bei dem spezifischen Ausbildungsprogramm MODINA, das die DRK-Schwesternschaft Bonn und die WSSRK zusammen für das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) entwickeln, will man die deutsche Pflegeausbildung auch an internationale Standards anpassen. „Wir sehen es als immanent an, eine konsistente, qualitativ hochwertige Ausbildung in Katastrophenpflege und Kompetenzniveaus, die in allen Bundesländern gleich ist, zu implementieren“, erklärt Hartung. Das trage dazu bei, die Fragmentierung des dezentralen Systems zu überwinden.

Damit schließt MODINA eine essenzielle Lücke in der bisherigen Pflegeausbildung. Statt nur theoretische Aspekte zu behandeln, bietet das Projekt praxisnahe Lernerfahrungen, die die Resilienz und Handlungsfähigkeit der zukünftigen Fachkräfte stärken. Ziel ist, eine neue Generation von Pflegefachpersonen auszubilden, die nicht nur exzellente Fachleute im Alltag sind, sondern auch in Ausnahmesituationen die Ruhe bewahren und einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung von Krisen leisten können.

Würzburg: Katastrophenmedizin als akademische Disziplin

Katastrophenschutzübung am UKW
Stefan Dreising/UKW
Am Uniklinikum Würzburg werden regelmäßig Notfall- und Katastrophenschutzübungen durchgeführt, wie hier im September 2023.

Parallel zur Aus- und Fortbildung am Kompetenzzentrum Pflege im Bevölkerungsschutz findet an der Universität Würzburg eine wichtige Entwicklung statt, die das Thema in der akademischen Ausbildung von Ärzten verankert. Das neue Wahlfach „Katastrophenmedizin“, das seit dem Wintersemester 2024/25 an der Julius-Maximilians-Universität angeboten wird, ermöglicht Medizinstudierenden sich an schwierige Situationen heranzutasten und zu lernen, Großschadenslagen zu meistern, bei Unglücksfällen richtig zu reagieren und sich nicht von der Hektik oder dem Stress einer Katastrophe unterkriegen zu lassen. Die Studierenden lernen in diesem praxisorientierten Wahlfach, was eine Katastrophe ausmacht und welche Rolle sie als zukünftige Ärztinnen und Ärzte in einem solchen Szenario übernehmen.

Die medizinische Ausbildung lässt diesen Bereich weitestgehend außer Acht, es kommt in den Curricula nicht vor.

Prof. Thomas Wurmb, der das Wahlfach Katastrophenmedizin und die Forschungsgruppe Notfallmedizin leitet, erklärt die Motivation dahinter: „Die Katastrophenmedizin ist eigentlich eine eigenständige Disziplin, die weit über die normale Notfallmedizin hinausgeht. Sie erfordert Kenntnisse in der Triage, der Ressourcenallokation, der psychosozialen Betreuung und der Koordination von Hilfseinsätzen. Die medizinische Ausbildung lässt diesen Bereich weitestgehend außer Acht, es kommt in den Curricula nicht vor. Da ich schon des Öfteren Sondervorlesungen zum Thema Katastrophenmedizin – unter anderem auch mit der Polizei nach den Anschlägen hier in Würzburg – gehalten habe, haben wir im vergangenen Jahr das Pilotprojekt mit dem Wahlfach gestartet.“

Katastrophenschutzübung am Universitätsklinikum Würzburg.
Stefan Dreising/UKW
Notfall- und Katastrophenschutzübung am Universitätsklinikum Würzburg.

Es hat einen theoretischen Teil, der unter anderem den Unterschied und die verschiedenen Zuständigkeiten von Katastrophen- und Zivilschutz erklärt, aber auch zeigt, welche Lagen relevant werden können und wie man sich vorbereiten kann. „Im praktischen Teil durchlaufen die derzeit zwölf Studierenden des Wahlfaches einen Sichtungsparcours mit Schauspielerpatienten, lernen zu triagieren, Blutungen zu stillen und wie man mit anderen Arten von Verletzungen umgeht“, erklärt der Mediziner weiter. Neben der Theorie und Praxis gibt es zudem einen Exkursionsteil, der während des Residenzlaufes in Würzburg absolviert wird.

Ein Arzt, der die zentrale Rolle der Pflege im Katastrophenschutz versteht, wird im Ernstfall effektiver arbeiten können.

Das Wahlfach ist interdisziplinär und interprofessionell angelegt, denn „im Katastrophenfall müssen alle zusammenarbeiten und die Krankenhäuser werden zur Schnittstelle“. Neben den rein medizinischen Inhalten werden ethische, rechtliche und logistische Aspekte beleuchtet. Auch die Rolle der Pflege wird hier thematisiert. „Ein Arzt, der die zentrale Rolle der Pflege im Katastrophenschutz versteht, wird im Ernstfall effektiver arbeiten können“, betont der Notfallmediziner, der seit zehn Jahren die Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Uniklinikum Würzburg leitet und zudem Mitglied im bayerischen Expertenrat Gesundheitssicherheit ist. Die Studierenden erhalten Einblicke in die Arbeit des Katastrophenschutzes, unterstützt durch die Bereitschaften des BRK, was „sehr wichtig ist“.

Generell wird Notfall- und Katastrophenmedizin in Würzburg großgeschrieben. Dort hat man die Wichtigkeit der Ausbildung in diesen Bereich bereits früh erkannt und vor 25 Jahren die Arbeitsgruppe Notfallmedizin gegründet. In dieser engagieren sich Medizinstudierende, die eine Ausbildung im Rettungsdienst haben, aber auch Pflegende und unterstützen die praktische Lehre. „Ohne diese Arbeitsgruppe und deren hoch engagierte Menschen, die als Tutoren arbeiten, könnte ich das Wahlfach nicht anbieten“, erklärt Wurmb die Kombination, dass junge Leute anderen jungen Leuten Wissen vermitteln.

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