
Im deutschen Gesundheitswesen herrscht in diesen Tagen kein Mangel an Reformvorhaben, die nicht vom Fleck kommen. Und doch hängt seit Monaten ein weiteres Projekt in der regulatorischen Endlosschleife fest: die Beschränkung investorengetragener medizinischer Versorgungszentren (iMVZ). „Die Debatte hat sich in vielen Monaten nicht einen Zentimeter bewegt“, kritisiert Susanne Müller vom Bundesverband Medizinische Versorgungszentren. Die Dauerdiskussion binde Ressourcen und Zeit, klagt sie. „Echte Inhalte oder Kernpunkte eines Gesetzes gab es bislang nicht.“
Weg von der Investoren-Medizin
Dabei hat sich Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bereits öffentlich für Einschränkungen stark gemacht und entsprechende Gesetze in Aussicht gestellt. Er wolle das Gesundheitswesen vor den negativen Folgen einer auf Rendite ausgerichteten Patientenversorgung schützen, hatte Lauterbach angekündigt und „renditeorientierten Heuschrecken“ den Kampf angesagt. Er werde gesetzlich gegen „billige und massenabfertigende Investoren-Medizin vorgehen und verhindern, dass Investoren aus Profitgier Arztpraxen aufkaufen“, ließ er sich zitieren.
Echte Inhalte oder Kernpunkte eines Gesetzes gab es bislang nicht.
Im Koalitionsvertrag verankert sei der Vorstoß nicht, betont Verbandsmanagerin Müller. Dennoch versprach der Gesundheitsminister, zügig ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Vor allem die niedergelassene Ärzteschaft fürchtet um profitable Pfründe und zieht lautstark gegen profitorientierte Kapitalgesellschaften und deren Einfluss auf die ambulante Medizin zu Felde. Kassenärztliche Vereinigungen und Bundesärztekammer machen Druck auf die Bundesländer. Sie drängen darauf, die Gründung investorenbetriebener Versorgungszentren zu erschweren.
Zusätzliche Kosten befürchtet
Verwirrung entstand zuletzt unter anderem darüber, dass gleich zwei Versorgungsgesetze sich mit dem MVZ-Thema befassen sollten: Ein erstes, welches unter anderem Hürden für die Zulassung kommunaler MVZ aus dem Weg räumen sollte, hängt offenbar seit dem vergangenen Herbst in der Ressortabstimmung. Zum Verhängnis wird dem Projekt dem Vernehmen nach die Verknüpfung mit teuren Prestigeprojekten des Ministers wie den umstrittenen Gesundheitskiosken. Kommunen und Krankenkassen fürchten empfindliche zusätzliche Kosten.
Die eigentliche Abwehr investorengetragener MVZ sollte zunächst ein zweites Versorgungsgesetz regeln. Im Sommer hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Befassung mit Versorgungsgesetz II und damit mit der engeren MVZ-Thematik auf das erste Halbjahr 2024 verschoben. Inzwischen ist die Rede davon, dass beide Gesetze in einem zusammengebunden werden sollen.
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt will eine gesetzliche Einhegung investorengetragener MVZ unbedingt. Die BÄK argumentiert unter anderem mit der Weisungsgebundenheit der in einem MVZ angestellten Ärzte. Die Ärztekammer will die ärztliche Entscheidungsfreiheit gewahrt wissen.
Trennung von wirtschaftlicher und ärztlicher Leitung
Hierin erhält er grundsätzlich Rückendeckung von den gesetzlichen Krankenkassen, die aber für einen differenzierten Blick werben: Eine Besonderheit von MVZ sei die Trennung der wirtschaftlichen und ärztlichen Leitung, schreibt der GKV-Spitzenverband in einem Positionspapier im vergangenen März. Vorgaben des kaufmännischen Geschäftsführers könnten im Widerspruch zu ärztlichem Handlungsbedarf stehen, weil wirtschaftliche oder organisatorische Gründe in den Vordergrund gerückt werden. Warum ein niedergelassener Arzt in eigener Verantwortung davor gefeit sein sollte, unternehmerische Prioritäten zu setzen, erschließt sich Kritikern der ärztlichen Standespolitik nicht.
Straffere Prozesse können auch kürzere Wartezeiten und eine bessere Qualität beinhalten.
Ein Vorteil von größeren MVZ und von Verbünden mit MVZ liege womöglich gerade in einer Professionalisierung der Managementstrukturen, argumentiert der GKV-Spitzenverband: „Straffere Prozesse können auch kürzere Wartezeiten und eine bessere Qualität beinhalten.“
Ärztekammer für fachübergreifende Versorgungszentren
Die Ärztekammer warnt vor Rosinenpflückerei durch die Konzentration auf einzelne, besonders gutverdienende Fächer. Die Spezialisierung auf besonders rentable Sektoren wie Radiologie, Zahn- oder operative Augenheilkunde führe zu Versorgungsmonopolen, warnt sie. Deshalb plädiert sie dafür, dass grundsätzlich nur noch fachübergreifende Versorgungszentren zugelassen werden. Auch eine Begrenzung des Versorgungsanteils von Klinik-MVZ hält Reinhardt für sinnvoll. In einem 26 Seiten starken Positionspapier schlägt die Kammer eine Begrenzung auf einen maximalen Marktanteil vor.
Öffentlich diskutiert wird inzwischen ein ganzer Strauß möglicher Ver- und Gebote: neben dem Verbot von MVZ ohne örtlichen und fachlichen Bezug zu einer Klinik und einem Verbot von fachgleichen MVZ, gehört dazu auch ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen, ein Verbot des „Arztstellenerwerbs im Wege des Zulassungsverzichts im Nachbesetzungsverfahren“ und sogar die „Unterstellung des MVZ-Trägers unter die Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung“.
Vorgehen der Länder
Verfangen haben die Warnungen vor einer Ökonomisierung der ambulanten Versorgung vor allem bei den Bundesländern. Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein machten im vergangenen Mai Schlagzeilen mit einem Entschließungsantrag im Bundesrat. Um „Monopolisierungstendenzen“ zu begrenzen, schlagen die Länder vor, bei neuen MVZ einen räumlichen Bezug zum Träger zur Bedingung zu machen, bezogen entweder auf den KV-Bezirk oder auf arztgruppenbezogene Planungsbereiche.
Außerdem drängen auch die Bundesländer auf Stärkung der ärztlichen MVZ-Leitung und auf Schutzvorschriften gegen „sachfremde Einflussnahme“. Vorgesehen wäre demnach ein besonderer Abberufungs- und Kündigungsschutz für die Mediziner in Leitungsfunktion, verbunden mit einer „Vorlagepflicht“ ihrer Verträge bei der zuständigen KV samt Prüfung durch den Zulassungsausschuss. Die Länder-Initiative habe vor allem einen hohen symbolischen Wert, registrieren Beobachter. „Die unmittelbare Folge ist: Nichts“, spottet Müller. Ein Entschließungsantrag lasse sich schließlich in etwa als offizielle, aber ohne jede Verbindlichkeit oder Rechtsfolge zu Papier gebrachte Willensbekundung verstehen.
Unumstritten ist der Länder-Vorstoß darüber hinaus nicht: Ein gesetzlich festgelegter Regionalbezug würde die Monopolisierung der MVZ-Strukturen nur noch befeuern, argumentieren Kritiker. Vor allem finanzstarke Krankenhauskonzerne als Träger könnten in diesem Fall ihren Größenvorteil gegenüber kleineren Häusern wirkungsvoll ausspielen. Der vorgeschriebene Regionalbezug bremse vor allem Klinikträger mit nur wenigen Häusern aus. Damit würde die gut gemeinte Regelung vermutlich das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich erreichen wolle.
Eine undifferenzierte Regionalisierung von Krankenhaus-MVZ erschwere die Versorgung insbesondere in Regionen mit geringer Arztdichte, warnt der Bundesverband der Betreiber von MVZ. In Zeiten von Personalknappheit, Spezialisierung und Zentralisierung sei die vorgeschlagene Einschränkung der falsche Weg. Woher denn künftig die Investitionen für die medizinische Versorgung vor allem im ländlichen Raum kommen sollen, fragt der Vorstandschef des Dachverbands Betriebskrankenkassen, Franz Knieps.
Was die Debatte nicht einfacher macht, ist der Mangel an einer von allen Seiten anerkannten Datenbasis. Deshalb führen Befürworter und Gegner einer gesetzlichen Zugangsbeschränkung seit Jahren eine veritable Gutachter-Schlacht. Auf hunderten von Seiten führen die mit den Erhebungen beauftragten Branchenexperten beabsichtigte und möglicherweise auch ungewollte Folgen gesetzlicher Eingriffe in das MVZ-Gründungsgeschehen auf.
Vorhandene Informationen nutzen
Bereits im November 2020 hatte sich der Aachener Gesundheitsrechtler Andreas Ladurner im Auftrag von Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn bereits Gedanken zur Weiterentwicklung der Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren gemacht. Die KV Bayern bestellte beim Berliner IGES-Institut eine Versorgungsanalyse, ganze 324 Seiten schwer. Auch der Bundesverband der Betreiber von MVZ ließ sich nicht lumpen: Das Münchener Institut für Gesundheitsökonomik erhielt den Auftrag für eine gründliche Bestandsaufnahme und äußerte juristische Bedenken.
Zu Wort meldete sich schließlich sogar der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Er empfiehlt, die Potenziale von MVZ stärker nutzen. Außerdem sollten Größenvorteile und Kompetenzen überregionaler MVZ-Gruppen insbesondere für neue MVZ in ländlichen Regionen genutzt werden können. Um die Transparenz zu verbessern und einen besseren Überblick zu bekommen – etwa darüber, wie groß der Einfluss von Finanzinvestoren auf die bestehende MVZ-Struktur denn nun eigentlich ist – fordern die KVen mehr verpflichtende Angaben im Zusammenhang mit der MVZ-Gründung, neben der Rechtsform sollten die künftigen Träger Auskunft geben über Standort, Größe, Fächerkombination und den Gesellschafterkreis des Trägers.
Beinahe alle Daten, die für mehr Transparenz benötigt werden, liegen bei den Zulassungsausschüssen grundsätzlich vor.
Diese Informationen seien längst vorhanden, erwidert dagegen der BMVZ: „Beinahe alle Daten, die für mehr Transparenz benötigt werden, liegen bei den Zulassungsausschüssen grundsätzlich vor“, betont Verbandsgeschäftsführerin Müller. Die Daten müssten lediglich zusammengeführt und vergleichbar gemacht werden. Der Gesetzgeber solle möglichst zeitnah das digitale Arztregister um ausführliche Strukturkriterien erweitern, damit alle vorliegenden strukturellen Zulassungsdaten regional und bundesweit zusammengeführt und auswertbar werden könnten, betont auch der BMVZ-Vorstandsvorsitzende Peter Velling aus Berlin. Das vorliegende Material müsse lediglich aggregiert werden, um Strukturtrends auswerten zu können und die Verflechtungen von MVZ-Ketten systematisch zu erkennen. Eine zusätzliche Transparenzbürokratie sei überflüssig.
Was viele Menschen vor allem unruhig mache, seien nicht die tatsächlichen Zahlen, sondern der Eindruck eines undurchsichtigen, exponentiellen Wachstums und von Praxen, die unbemerkt übernommen werden“, betont Müller. Dieser Eindruck sei falsch.
Tragende Rolle für MVZ
Die Stärkung kooperativer Versorgungsformen sei ein wichtiger Schritt für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung, schreibt der GKV-Spitzenverband in seinem Positionspapier. MVZ könnten den veränderten Anforderungen an eine moderne Arbeitswelt auch im Bereich der ärztlichen Leistungserbringung oft einfacher erfüllen. Sie könnten und jungen Ärzten Teilzeitangebote und eine kooperative Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche ermöglichen, ohne dass diese selbst das Risiko einer Praxisgründung, die damit einhergehenden finanziellen Verpflichtungen und die langfristige Festlegung auf einen Ort der Tätigkeit eingehen müssen.
Im Sinne einer auf die regionalen Erfordernisse ausgerichteten Versorgung sei eine Stärkung von Leistungserbringern vorzusehen, die ein umfassendes Angebot vor Ort vorhalten. MVZ könnten hier eine tragende Rolle übernehmen, indem Gründungen bevorzugt werden, welche die regionalen Erfordernisse aufgreifen.








Derzeit sind noch keine Kommentare vorhanden. Schreiben Sie den ersten Kommentar!
Jetzt einloggen