
Im Englischen gibt es den Ausdruck „A for Effort“ – heißt so viel wie: Jemand hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben. Ob am Ende was daraus wird, ist nicht immer ganz eindeutig. Und so ähnlich muss man mit Stand heute vermutlich die Bemühungen des Bundesgesundheitsministers bewerten, das deutsche Gesundheitswesen fit für die Zukunft zu machen. A for Effort allein schon deshalb, weil für dieses Jahr sechs, für das kommende Jahr noch einmal acht, teils weitgreifende und einschneidende Gesetze geplant sind. Hinzu kommen dann noch zahlreiche Verordnungen und Gesetzesvorhaben anderer Ministerien, die direkt oder indirekt Einfluss auf den Gesundheitssektor haben werden. Das klingt nicht nur viel, sondern ist tatsächlich auch viel, sodass aktuell durchaus eine Art Aufbruchsstimmung zu spüren ist, während an anderer Stelle leichte Panik aufkommt.
Und das nicht unbegründet. Denn aktuell muss man sich durch die diversen Gesetzesvorlagen, Referentenentwürfe und parlamentarischen Anfragen kämpfen. Gut, dass jetzt Sommerpause ist. Heißt, der neue Roman, den man im Urlaub auf der Liege genüsslich lesen wollte, wird durch den oben genannten Lesestoff ausgetauscht. Denn ein Grundverständnis dessen, was da im BMG geplant wird, ist nicht nur wichtig, um hier in einem solchen Kommentar seine hoffentlich dezidierte Meinung abzugeben. Sie ist für die Industrie und für alle Leistungserbringer gleichermaßen wichtig – um Einflüsse und Auswirkungen auf das eigene Tätigkeitsfeld zu prüfen, aber vor allem auch, um die diversen Vorhaben einigermaßen sinnvoll und bestenfalls wohlklingend zu orchestrieren.
Gesucht: Zeremonienmeister
Vor ziemlich genau einem Jahr, nämlich als Kommentar zum Hauptstadtkongress im vergangenen Jahr habe ich an dieser Stelle schon einmal gefragt, wo denn der Zeremonienmeister sei – in einem ganz anderen Kontext, zugegeben. Dennoch glaube ich, dass ein Zeremonienmeister (m/w/d) die wohl am dringendsten zu besetzende Stelle im Gesundheitswesen dieser Tage ist. Denn „konzertiert“ wirkt auch heute, ein Jahr später noch herzlich wenig.
Unser Gesundheitsminister nennt die Neuerungen, die nun auf den Weg gebracht werden, eine „Entökonomisierung des Systems“. Einige erinnern sich vielleicht an die Achtziger, andere müssen googlen. Aber Beispiele, wie die Vorhaltepauschalen gab es schon einmal – und die waren nicht wirklich gut und haben vielleicht vieles, nicht aber die Effizienz gesteigert. Wobei ich hier nicht alles schlecht reden will. Im Gegenteil. Im Digitalisierungsgesetz sind laut Referentenentwurf beispielsweise sehr viele sinnvolle Aspekte enthalten: unter anderem ein ePA-Opt-out, der Ausbau der Telemedizin, Stärkung der Forschung.
Man hört allerdings fast zwangsläufig das Aber. Denn es ist auch eindeutig rauszulesen, dass der Staat das bessere Unternehmen ist – und zwar nicht nur in Punkto Versorgung, sondern auch bei der Digitalisierung. Entsprechend wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung, KBV, gestärkt. Und vielleicht täusche ich mich hier, aber die ist mir bisher nicht als Innovator aufgefallen, eher als Hüterin bestehender Interessen. Und so wundert es auch nicht, dass KBV-Chef Gassen schon von einem Scheitern der Klinikreform spricht, sollten die Niedergelassenen nicht eingebunden werden.
Lobbyismus siegt
Es ist aber nicht nur die KBV als altbekannter Player, deren Stellung durch die diversen Gesetzesvorlagen gestärkt werden soll. Gleiches gilt auch für die Krankenkassen, die die Hoheit über die ePA bekommen und damit weiterhin das „Frontend“ zu den Versicherten behalten sollen. Vielleicht habe ich hier den Mehrwert noch nicht ganz verstanden, aber wie profitiert das Gesundheitswesen, wenn sämtliche Daten bei den Kassen liegen? Wenn wir nach Frankreich schauen, wurde da die ePA für alle Anwendungen geöffnet und die Patienten entscheiden selbst, mit welcher Applikation die ePA angesprochen und verwaltet werden soll. Könnte man Patientenzentrierung oder Usability nennen und als Vorbild nehmen – oder auch nicht, wie man offensichtlich in Deutschland findet.
Wir sind eben ein Land der Traditionen mit sehr gutem Lobbyismus, wie auch die Apotheken wieder bewiesen haben. Auch sie werden in Zukunft deutlich Mehr Optionen bekommen, sich neuen Versorgungsmodellen zu widmen, logisch, irgendwie muss man ja wirtschaftlich bleiben, wenn Medikamente kaum noch zum Verkauf zu Verfügung stehen.
Viel hilft viel – oder nicht?
Ich denke, bis hierhin wird schon deutlich, wie wichtig es ist, die Position des Zeremonienmeisters sinnvoll zu besetzen. Mit jemandem, der Weitblick hat, sich bei den diversen Fäden nicht verheddert, der etwas von Digitalisierung versteht und dann auch noch zwischenmenschliche Talente hat, ein Organisationsflorist eben, wie ich kürzlich lernen durfte.
Diese Position ist auch deshalb nötig, weil alle Fakten, die bisher auf dem Tisch liegen, eher nach dem Prinzip Gießkanne klingen: Viel hilft viel. Ich würde behaupten, wir sollten eher nach dem Prinzip Qualität vor Quantität agieren. Und genau die vermisse ich derzeit noch. Vielleicht liegt es daran, dass so viele Details noch fehlen, beispielsweise die Definition der verschiedenen Versorgungsstufen oder ob mit denen im Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune genannten Primärzentren dasselbe gemeint ist, wie mit der Level-1-Versorgung in Referentenentwurf zur Krankenhausreform.
Anders formuliert: Je mehr man liest, je tiefer man dieser Tage in die neue Ideenwelt eintaucht, desto mehr Fragen werfen sich auf. Dabei ist es gerade auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Tage von entscheidender Bedeutung, die richtigen Dinge umzusetzen, wo dann auch die Finanzierung steht. Das Motto muss lauten: Start finishing and stop starting.
Effizienz folgt klaren Regeln
Was mir vor allem fehlt, ist die klare Strategie zur Entlastung des Systems und die kann eigentlich nur lauten: digital vor ambulant vor stationär. Und das regeln eben nicht etwaige Vorhaltepauschalen. Dafür braucht es vor allem ein sektorübergreifendes Vorgehen. Verrückte Idee, aber versuchen wir doch mal, die Reise durch das Gesundheitssystem von den Patienten aus zu denken. Und ich kenne einige kluge Köpfe da draußen, die genau das immer wieder gebetsmühlenartig fordern.
Ein wirklicher Neustart, der zukunftsfähig ist, braucht eben in erster Linie die große Draufsicht. Ist die klar, können es auch 20, 30 oder 40 Gesetzesvorhaben sein. Sie wären dann konzertiert, greifen sinnvoll ineinander, ergänzen sich. Ich denke, eigentlich wissen wir alle, was es zu tun gilt. Wir scheuen uns nur davor. Denn es bedeutet Veränderung, Umwälzung und nicht jeder Akteur wird das überleben. Dennoch ist es notwendig. Dass Stillstand keine Option ist, zeigt das wilde Treiben im Bienenstock BMG. Wir müssen nur vorsichtig sein, dass ein gewisser Aktionismus dabei nicht die Oberhand gewinnt.






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