
Wenn sich die Politik an Wünschen und Bedürfnissen der Menschen orientieren würde, müsste die Gesundheitsversorgung im Wahlkampf ganz weit oben stehen. Denn dort besteht der größte Handlungsbedarf. Die Wahlprogramme der relevanten Parteien spiegeln das allerdings nicht wider, da sich damit nun mal keine Wahlen gewinnen lassen.
Vieles, was die Parteien vorschlagen, erinnert an alten Wein in neuen Schläuchen. Von mehr Prävention über sektorenübergreifende Versorgung bis hin zu regionalen Netzwerken in ländlichen Gebieten – alles schon teils jahrzehntelang im Gespräch. Dazu gehören auch die wieder aufgeflammten Debatten um die Einführung einer Bürgerversicherung in Verbindung mit der Marginalisierung der Privaten Krankenversicherung (PKV). Die Weichen für ein langfristiges duales Nebeneinander von GKV und PKV wurden nicht zuletzt durch die Herzog- und die Rürup-Kommission schon 2002/2003 gestellt, als es im Kern um die Reduzierung von Lohnnebenkosten ging. Die Existenz des PKV-Systems ist verfassungsrechtlich gesichert. Wenn jetzt wieder die Axt angelegt werden soll, geschieht das aus Unkenntnis, Populismus und dem − nicht selten erfolgreichen − Evozieren des Neidfaktors.
Krankenhausreform – Qualität vor Quantität und Ende der Beliebigkeit
Dabei gibt es für die künftige Bundesregierung im Bereich Gesundheit wirklich genug zu regeln, insbesondere angesichts der teils dramatischen Entwicklungen in der von Insolvenzen bedrohten Kliniklandschaft. Das grundsätzlich gelungene Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) ist in Kraft getreten; jetzt muss die Umsetzung erfolgen. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat vorgemacht, wie sich mit Mut, Transparenz und dem Streben nach Konsens Erfolge erzielen lassen. Maßstab muss sein: Qualität vor Quantität und Beendigung der Beliebigkeit.
Mit den Erfahrungen aus NRW lässt sich auch Optimierungspotenzial beim KHVVG ableiten: Dazu gehören etwa eine Anpassung der von vielen als unrealistisch eingestuften Anforderung zur Anzahl vorzuhaltender Fachärzte oder regionale Ausnahmeregelungen in der Fläche. Die vorgesehene Verweildauerverkürzung in den Krankenhäusern ist zwar im Interesse der Patienten, dürfte aber in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung – von der Geriatrie über Palliativeinheiten bis hin zu stationärer Reha – so nicht zu stemmen sein.
Die Beleuchtung des Gesamtsystems gehört ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung.
Mit einer unionsgeführten Bundesregierung hat auch ein Vorschaltgesetz mit Hilfen für die Übergangsphase gute Umsetzungschancen. Bleibt als große Baustelle der Transformationsfonds, der im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta Müller (parteilos für BSW) hat schon angekündigt, dass sich auch der Bund an der Finanzierung der 50 Milliarden Euro beteiligen muss. Hier einen Konsens auch mit Ländern und GKV zu finden, dürfte eine größere Herausforderung werden. Und auch bei den Vorhaltepauschalen gibt es Verbesserungsbedarf. Letztendlich kann die Krankenhausreform nur ein erster, wichtiger Schritt für eine umfassende Gesundheitsreform sein, in die auch andere Akteure des Gesundheitswesens einbezogen werden müssen.
Die Beleuchtung des Gesamtsystems gehört ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung. Dabei gilt es, sich auch von unrealistischen Vorgaben zu trennen: Was nützt z.B. die Forderung nach ambulanter Durchführung invasiver Maßnahmen im Krankenhaus (Paragraf 115 f, SBG V), wenn die Kliniken nicht über ambulante Strukturen verfügen und die Belastung des Vertragsarztbereichs alle Grenzen überschritten hat? Welcher Patient möchte auf seine Leistenbruchoperation 36 Monate warten? Wer akzeptiert ein völlig instabiles Kniegelenk nach Skiunfall zwei Winter lang?
Vorbereitung auf Krisen und Bedrohungen ist alternativlos
Auch beim Konzept des gemeinsamen Tresens in den Integrierten Notfallzentren (INZ), so wie sich das G-BA, GKV-Spitzenverband und KBV vorstellen, gilt: Es imponiert zwar auf den ersten Blick, aber in Wahrheit können die beiden Sektoren Krankenhaus und Niedergelassene das gar nicht leisten – von der in vielen Fällen nicht vorhandenen Augenhöhe ganz abgesehen. Im Wahlkampf werden solche Themen keine Rolle spielen. Mir macht Mut, dass die Ministerialebene des BMG sehr gut aufgestellt ist. Karl Lauterbach, Karl-Josef Laumann, Klaus Holetschek oder wer zukünftig das Ministeramt bekleidet, kann auf viele schlaue Köpfe bauen. All diese – und viele weitere Aspekte – einer fortschrittlichen und zielgerichteten medizinischen Versorgung basieren auf dem gesellschaftlichen Konsens einer stabilen Demokratie in Friedenszeiten und auf einem Land, das volkswirtschaftlich nach wie vor gut dasteht.
Doch wir müssen uns mit einer starken Bedrohungslage im Baltikum auseinandersetzen. Das schon im Koalitionsvertrag 2021 verankerte Gesundheitssicherungsgesetz muss endlich erarbeitet und verabschiedet werden, um medizinisch besser auf Krisen vorbereitet zu sein. Dafür ist aber eine stabile Mehrheit für die kommende Regierung im Bundestag oder ein Konsens von Regierung mit zumindest großen Teilen der Opposition erforderlich. Eine Alternative gibt es nicht.








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