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KommentarVorhaltefinanzierung und Versorgungsqualität – Zielkonflikt?

Wie wirkt sich die Vorhaltefinanzierung auf die Versorgungsqualität im Gesundheitswesen aus? Dr. Moritz Ulrich und Dr. Marc Anschlag von Forvis Mazars bewerten die Pläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach und zeigen sich skeptisch.

Marc Anschlag und Moritz Ulrich
Forvis Mazars
Dr. Moritz Ulrich (links) und Dr. Marc Anschlag (rechts) sind als Anwälte bei Forvis Mazars im Medizin- und Gesundheitsrecht tätig.

Eines der zentralen Elemente der geplanten Reform der Krankenhausfinanzierung (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, KHVVG) ist die Einführung von sogenannten „Vorhaltepauschalen“. Mit diesen sollen Vorhaltekosten des Krankenhauses finanziert werden, unabhängig von konkret erbrachten Behandlungsleistungen. Gleichzeitig ist erklärtes Ziel des KHVVG, die Versorgungsqualität zu steigern.

Ein zweifelhafter Versuch

Der Gesetzgeber hatte schon bei der Einführung des Klassifikationssystems DRG (Diagnosis Related Groups bzw. diagnosebezogene Fallgruppen) die Kostenreduktion bei gleicher oder sogar steigender Versorgungsqualität als Ziel angegeben. Ziel des KHVVG ist es, Anreize zur Steigerung der Fallzahlen zu reduzieren, die man dem DRG-System zugeschrieben hat. Außerdem – insoweit noch etwas ambitionierter als bei der DRG-Einführung – soll das KHVVG die Qualität der Versorgung sogar verbessern.

Nunmehr soll die Einführung eines nach Ländern und Leistungsgruppen differenzierten Vorhaltebudgets als Kernstück der geplanten Gesetzesreform diese positiven Effekte herbeiführen. Geplant ist, die aus der bestehenden DRG-Finanzierung der stationären Versorgung auszugliedern. Die Rest-DRG soll nach Ausgliederung der Vorhaltekosten weiterhin pro stationärem Fall bezahlt werden. Das Vorhaltebudget eines Hauses bemisst sich – vereinfacht dargestellt – nach Fallzahlanteil an dem landesweit nach Leistungsgruppe zu berechnenden Landesvorhaltebudget.

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Es handelt sich daher nicht um eine vollständige Erstattung der Ist-Kosten für die Vorhaltung von Personal und Infrastruktur. Krankenhäuser haben die Qualitätskriterien der Leistungsgruppen und die noch festzulegende Mindestvorhaltezahl der jeweiligen Leistungsgruppe zu erfüllen, um für diese Leistungsgruppe eine Vorhaltevergütung zu erhalten.

Kein System ohne Fehlanreize

Die Kombination von Leistungsgruppen und Vorhaltfinanzierung birgt das Risiko, dass sich die Versorgungsqualität verschlechtert. Die Vorhaltefinanzierung setzt in gewissen Grenzen Anreize zur Reduktion der Leistungsmenge – aufgrund der vorgesehenen fallzahlabhängigen Korrekturmechanismen ab einer bestimmten Größenordnung aber auch Anreize zum Wachstum, wie erste Simulationen zeigen. Wenn sich die Vergütung der Kliniken nicht anhand der erbrachten Leistungen bemisst, orientieren sich die Kliniken vorrausichtlich weniger am Bedarf der Patienten, sondern an den zu erfüllenden Verteilungskriterien.

Lohnt es sich bestimmte Schwellen zu über- oder unterschreiten, bestehen eben doch Anreize, die Leistungsmenge auszuweiten oder indizierte Behandlungen trotz Kapazitäten gar nicht oder erst später durchzuführen. Stehen Patienten auf der Warteliste, birgt das stets die Gefahr, dass sich der medizinische Erfolg der Behandlung z.B. aufgrund der Verschlechterung des Gesundheitszustands oder Koinzidenzen reduziert.

Dr. Moritz Ulrich ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht bei Forvis Mazars in Berlin. Tätigkeitsschwerpunkte sind die Beratung im Zusammenhang mit Krankenhaus- und Pflegeheimtransaktionen, die Beratung beim Aufbau von ambulanten (MVZ-) Strukturen und die laufende Beratung von Leistungserbringern im Gesundheitswesen.

Auswirkungen auf Qualität, Abdeckung und Investitionskraft

In einigen Fachkliniken wird Qualität auf Spitzenniveau geleistet. Diese Fachkliniken sind aufgrund ihrer zumeist unterdurchschnittlichen Fallzahlen und Beschränkung auf einige oder wenige Leistungsgruppen im geplanten neuen System nicht bzw. nicht hinreichend abgebildet. Sie unterscheiden sich zudem in ihrer Personal- und Infrastruktur von den entsprechenden Fachabteilungen anderer Versorger, weswegen eine Differenzierung des Vorhaltebudgets nach Ländern und Leistungsgruppen allein unzureichend erscheint.   

Wenn das Krankenhaus für Leistungen bezahlt wird, die es gar nicht durchführt, bezahlt es auch seine Ärzte, obwohl Behandlungen nicht durchgeführt werden. Ein Arzt, der nicht regelmäßig und in hinreichender Zahl behandelt, dürfte seine Fähigkeiten eher nicht verbessern. Er wird – dies ist wiederum (implizites) Ziel der Reform – an größere Standorte mit ausreichend Behandlungsfällen wechseln. Die Versorgungsqualität in der Fläche nimmt dann weiter ab bzw. es wird in manchen Regionen in bestimmten Fachbereichen keine stationäre Versorgung mehr geben.

Die Stützung von Krankenhäusern durch Vorhaltepauschalen, sichert ein hohes Versorgungsniveau. In ländlichen Räumen ist dies für die Gesundheitsversorgung notwendig, in Ballungsräumen dagegen – falsch angewendet – ein Hindernis hinsichtlich des notwendigen Abbaus von Überkapazitäten und Ineffizienz. Geld, welches mit Blick auf den Gesamtmarkt weiterhin fehlallokiert für überschüssige Kapazitäten ausgegeben wird, fehlt dann zur Verbesserung der Versorgungsqualität.

Dr. Marc Anschlag ist seit dem 1. September 2024 im Kölner Büro von Forvis Mazars tätig. Er verantwortete seit 2018 die Bereiche Gesundheitsrecht und Versicherungsrecht bei BDO Legal und leitete dort das Praxisteam Medizinrecht. Davor arbeitete er bei Hecker Werner Himmelreich, wo er insbesondere Krankenhäuser und Versicherer im Krankenhausrecht und bei komplexen Haftungsfällen beraten hat.

Mehr Experiment als Evidenz

Schließlich ist ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von Qualität Evidenz. Allerdings hat der Gesetzgeber soweit ersichtlich bisher weder untersucht, welche Auswirkungen die Einführung der DRG auf die Versorgungsqualität hatte, noch welche Auswirkungen auf die Versorgungsqualität durch die nunmehr geplante Vorhaltefinanzierung zu erwarten sind. So verharrt das KHVVG vorerst im Stadium eines groß angelegten Experiments mit dem Risiko sinkender Versorgungsqualität.

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