
Mit der Einführung der ePA rückt die längst überfällig Überwindung sektoraler Grenzen endlich in greifbare Nähe. Darüber hinaus sollen Leistungserbringer bestmöglich über medizinische Informationen wie Befunde und Vorerkrankungen der Versicherten informiert werden − für eine einrichtungsübergreifende, fachübergreifende und sektorenübergreifende Nutzung. Außerdem bekommen die Versicherten Einblick in ihre Gesundheitsdaten und können dadurch ihre medizinische Behandlung besser begleiten.
Auf den ersten Blick könnte die ePA im Rahmen einer fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitssystems mehr Vor- als Nachteile bringen. Die gesetzgeberische Intention, die Qualität der medizinischen Versorgung zu steigern, Diagnosen und Therapien zielgerichteter auf den jeweiligen Patienten auszurichten und Fachkräfte, seien es Ärzte oder Pflegepersonal, zu entlasten, könnte erreicht werden.
Gefährliches Halbwissen?
Doch lohnt es sich, genauer hinzusehen. In der jetzigen Fassung ist die Nutzung der ePA freiwillig und obendrein können die Versicherten selbst entscheiden, welche Befunde und Daten sie der ePA hinzufügen und für die Nutzung freigeben. Behandler können sich also nie sicher sein, dass sich aus der ePA ein vollständiges Bild des Gesundheits- bzw. Krankheitszustandes ergibt.
Des Weiteren laufen Behandler Gefahr, ihre Diagnose- und Therapieentscheidung nicht nur auf Basis eines unvollständigen Eindrucks über den Gesundheitszustand zu treffen. Vielmehr könnte sogar ein falsches Bild entstehen, wenn es der Patient ist, der entscheidet, welche Daten zur Nutzung eingesehen werden können. Mithin wird dem Patienten die Entscheidung abverlangt, medizinische Informationen nach Relevanz für die eigene Behandlung einzuschätzen.
Hinzu kommt, dass seit dem 01.01.2022 gewährleistet sein muss, dass der Versicherte eine dokumentengenaue Freigabe erteilen kann. Das mag die Datenschützer beruhigen, schafft aber mehr Komplexität als Sicherheit. Es liegt auf der Hand, dass Fehlentscheidungen vorhersehbar sind, wenn nur der Patient feingranular Einzeldokumente für die Behandlung einsehen und freigeben kann. Jede Behandlungssituation zwischen Arzt und Patient bietet einen geschützten Raum innerhalb dessen Informationen ausgetauscht werden können, ohne dass der Einzelne besorgt sein müsste, dass ein Dritter Kenntnis erlangt. Warum soll dann die medizinische Entscheidung darüber, welche Informationen für die Behandlung benötigt werden, nicht allein in der Hand des Arztes liegen? Patienten werden mit dieser Aufgabe regelmäßig überfordert sein.
Datenschutzrechtliche Vorbehalte übersehen zwei wesentliche Punkte: Zum einen ist die Nutzung der ePA freiwillig. Jeder Patient, dem Gesundheitsdatenschutz wichtiger ist als eine fundierte medizinische Anamnese, Befunderhebung und Behandlung, sollte sich gegen die Nutzung der ePA entscheiden. Zum anderen streitet für eine unbegrenzte Verfügbarkeit der vollständigen ePA in der Behandlungssituation die seit jeher bestehende und im Alltag uneingeschränkt beachtete ärztliche Schweigepflicht.
Eigene Dokumentation nicht vernachlässigen
Von der ePA zu unterscheiden ist die von jedem Arzt bzw. Krankenhaus über die Behandlung verpflichtend zu führende Patientenakte. Von der Dokumentationspflicht umfasst werden alle in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung stehenden wesentlichen Maßnahmen und Ergebnisse. Die Dokumentation kann in Papierform oder elektronisch erfolgen. Hintergrund ist, dass die Weiterbehandlung gesichert ist und beispielsweise Doppelbehandlungen vermieden werden. Darüber hinaus legt jeder Behandler Rechenschaft über seine Behandlung ab, denn die Patientenakte dient im Haftungsprozess als Grundlage für die Beurteilung. Diese Dokumentation muss weiterhin mit größter Sorgfalt betrieben und nur allein auf ihrer Basis sollten Behandlungsentscheidungen getroffen werden.



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