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Der kma Entscheider-Blog

kma Entscheider BlogEs geht nicht ohne Aufklärung

Ist der Einwand der hypothetischen Aufklärung im Haftungsprozess noch zu retten? Diese und einige andere Fragen sind dringend zu diskutieren.

Dr. Daniel Koch
Kohnen Partner Rechtsanwälte
Dr. Daniel Koch, Fachanwalt für Medizinrecht bei Kohnen Partner Rechtsanwälte.

Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt eine vorherige umfassende Aufklärung des Patienten voraus. Auch wenn die Aufklärungspflichten teilweise als eine überfordernde Last empfunden werden, werden sie im Klinikalltag in aller Regel beachtet. Dennoch wird die Aufklärungsrüge regelmäßig in Arzthaftungsprozessen erhoben. Die hierzu ergangene Rechtsprechung ist teilweise so feingliedrig, dass selbst erfahrene Medizinjuristen sie nicht in Gänze überblicken können. Dabei lohnt es sich im eigenen Interesse die Aufklärungspflichten ernst zu nehmen und strikt auf deren Einhaltung zu achten. Die Verletzung ist ein unabhängiger Anknüpfungspunkt der ärztlichen Haftung, der gleichberechtigt neben dem Behandlungsfehler steht. Zudem macht es die jüngst zur hypothetischen Einwilligung ergangene Rechtsprechung für die Behandler nicht leichter.

Ist die hypothetische Einwilligung noch zu retten?

Für eine wirksame Einwilligung sind die Patienten über sämtliche wesentliche Umstände aufzuklären. Eine Schematische Aufklärung verbietet sich, vielmehr hat sie sich an den Umständen des konkreten Einzelfalls zu orientieren. Dabei muss der Patient im „Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt, mithin also Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung erfassen. So will es Gesetz und Rechtsprechung und das ist im Grundsatz auch nicht neu.

Geht etwas schief und genügt die Aufklärung nicht den gesetzlichen Anforderungen, kann sich der Arzt darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Auf eine solche hypothetische Einwilligung sollten es Ärzte indes nicht mehr ankommen lassen! Die dahingehenden Anforderungen an den Nachweis sind nicht ohne Grund streng, will man doch verhindern, dass über diese Hintertür der Aufklärungsanspruch des Patienten praktisch ins Leere läuft. Außerdem besteht für den klagenden Patienten die Möglichkeit, einen echten Entscheidungskonflikt für den Fall der – theoretisch – ordnungsgemäßen Aufklärung plausibel zu machen. Irrelevant ist dabei, was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein „vernünftiger Patient“ sich verhalten haben würde. Maßgeblich ist allein die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten.

An dieser Stelle wird es für den Arzt im Zweifel ungemütlich: Die Rechtsprechung hat erst jüngst klargestellt, dass der Patient darüber hinaus nicht mehr nachvollziehbar darlegen muss, dass er sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden hätte. Zwar wurde mit dieser Entscheidung der Einwand der hypothetischen Einwilligung nicht gänzlich abgeschafft. Für den beklagten Arzt wird es im Zweifel jedoch deutlich schwerer, sich seiner Haftung durch den Einwand der hypothetischen Einwilligung zu entziehen. Letzteres auch deshalb, weil an den Vortrag des Patienten zur Plausibilität des Entscheidungskonfliktes nur maßvolle Anforderungen gestellt werden.

Bedeutend ist der Zeitpunkt der Aufklärung

Der Zeitpunkt der Aufklärung ist im Einzelfall in Abhängigkeit von Komplexität und Umfang der jeweiligen Maßnahme so rechtzeitig zu wählen, dass der Patient ausreichend Zeit hat für eine freie Entscheidung. Dabei bleibt die einmal auf der Basis einer ordnungsgemäßen Aufklärung erteilte Einwilligung bis zu ihrem Widerruf bestehen. Richtig verstandener Patientenschutz orientiert sich am Leitbild des mündigen Patienten, sodass dieser auch von dem jederzeit möglichen freien Widerruf seiner Einwilligung Gebrauch machen kann und sollte, will er sich von seiner Einwilligung lösen. Eine „Entaktualisierung“, wie sie immer wieder thematisiert wird, ist abzulehnen. Wenn zwischen Aufklärungsgespräch nebst Einwilligung und Eingriff ein längerer Zeitraum vergeht, wie dies in der Praxis nicht selten der Fall ist, würde ein Aufweichen der Fortdauer einer Einwilligung mehr (Rechts-)Unsicherheit schaffen als Patientenschutz bieten. Freilich kommt es auch hier auf den Einzelfall an.

Fazit

Das Arzt-Patienten-Verhältnis hat sich zu einem partnerschaftlichen Verhältnis auf Augenhöhe entwickelt. Ein mündiger Patient hat einen Anspruch darauf, eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, ob, und wenn ja, wie er behandelt werden möchte. Der Arzt hat dem Patienten die dafür notwendigen Informationen zu verschaffen. Obwohl es sich hierbei um eine nicht wirklich neue Erkenntnis handelt, verwundert es, dass die Aufklärungspflicht in der Praxis vielfach als Zumutung empfunden und daher teilweise oder sogar gleich ganz darauf verzichtet wird. Auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung als letzte Hintertür allein sollte man sich jedenfalls nicht mehr verlassen. An anderer Stelle wurde bereits auf die kommenden Herausforderungen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen hingewiesen. In Zukunft wird es also nicht leichter werden. Dem wird sich die Ärzteschaft stellen müssen!

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