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Der kma Entscheider-Blog

kma Entscheider BlogWir müssen neue Wege in der Pflegeausbildung gehen

Landauf landab wird über den Fachkräftemangel in der Pflege diskutiert und wie dieser behoben werden kann. Viele Optionen, die eigentlich naheliegend erscheinen, werden dabei jedoch kaum berücksichtigt. Dazu gesellt sich die Ignoranz mancher Einrichtungen, bei der eigenen Personalpolitik nichts ändern zu wollen.

Philipp Köbe
Philipp Köbe ist freiberuflicher Dozent und Unternehmensberater im Gesundheitswesen.

Beim Pflegetag NRW am 01.10.2019 brachte der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, eine alternative Rekrutierungsquelle neuer Pflegekräfte auf den Plan. Dem Minister bereitet es zunehmend Unbehagen, dass wir weltweit Pflegekräfte aus fernen Ländern, wie den Philippinen oder Mexiko, nach Deutschland importieren, während in Deutschland viele Jugendliche keine Berufsperspektive haben. Gemeint sind vor allem junge Erwachsene aus prekären sozialen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund in Brennpunkt-Vierteln. Schließlich biete die Ausbildung in einem Pflegeberuf eine langfristige Perspektive und der Zugang ist auch mit einem Haupt- oder Realschulabschluss gewährleistet. Hinzu kommt eine relativ hohe Vergütung während der Berufsausbildung. Der Minister betonte besonders, dass dieser Fakt in der öffentlichen Diskussion zu selten genannt wird. Würde die attraktive Ausbildungsvergütung besser bei Jugendlichen kommuniziert werden, könnte das negative Image des Pflegeberufes möglicherweise entschärft werden.

Mehr Offenheit für neue Bewerbergruppen ist gefragt

Wer soll zukünftig als potenzielle Pflegekraft angesprochen werden? Wollen wir in Deutschland überwiegend Menschen mit allgemeiner Hochschulreife in Pflegeberufen ausbilden, die sich in der Regel danach ohnehin umorientieren? Sie schließen ihrer Ausbildung ein Studium an oder wechseln mangels Attraktivität und Entwicklungsperspektive nach wenigen Jahren in einen anderen Job. Vielleicht sollten wir damit beginnen, auch Absolventinnen der Hauptschule mehr für den Pflegeberuf zu begeistern. Häufig haben diese Jugendlichen - besonders an Schulen in Brennpunkt-Vierteln - keine hinreichende Übersicht darüber, was sie in den verschiedenen Berufen erwartet, welche Perspektive sie dort haben und wieviel sie dort bereits in der Ausbildung verdienen werden.

Eines sollte jedoch feststehen: Wir müssen auch diesen jungen Menschen eine Möglichkeit geben, sich am Arbeitsmarkt einzubringen und dürfen das Potenzial nicht verwerfen. Gerade in Mangelberufen können diese Jugendlichen eine Lücke füllen. Ausgehend von einem positiven Menschenbild sollten wir davon ausgehen, dass diese Personengruppe, wie jede andere auch, einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen will, die ein akzeptables Einkommen einbringt und einen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Die Vorteile gegenüber im Ausland angeworbener Personen stellen sich wie folgt dar: Sie sind bereits vor Ort, sprechen in der Regel schon deutsch und sind mit der deutschen Gesellschaft und den Gegebenheiten hier vertraut.

Auf die Ausbildungsstätten kommt eine Umstellung zu

Egal, ob im Ausland angeworbene Fach- bzw. Hilfskräfte in die Betriebsstrukturen der Gesundheitseinrichtungen integriert werden müssen, oder man ein neues Bewerberklientel anspricht, die Ausbildungsstätten der Pflegeberufe werden sich umstellen müssen. Bereits heute führt eine heterogene Zusammensetzung der Ausbildungsklassen zu Problemen in der Unterrichtsführung. Die Vorkenntnisse der Lerninhalte sowie die deutschen Sprachkenntnisse sind eine große Herausforderung für die Pädagoginnen. Diese Umstände werden sich möglicherweise noch verschärfen. Auch die Harmonisierung der Pflegeausbildung insgesamt bringt die Ausbildungsstätten an ihre Belastungsgrenze. Aber wenn sich die Zeiten ändern, müssen sich auch die Ausbildungen und ihre Institutionen weiterentwickeln. Der Auswahlprozess wird umfangreicher werden, ebenso werden die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden stärker im Mittelpunkt stehen müssen. Einige Bewerber werden keine hinreichenden Erfahrungen mit guten Lernmethoden haben, andere werden kein perfektes Deutsch sprechen.

Die Bewerber werden jedoch motiviert sein, sie wollen eine Chance und sollten sie in einem Pflegeberuf bekommen, wenn sie die persönliche Eignung und ein Grundgerüst an Fähigkeiten mitbringen. Am Ende werden sich die Bemühungen auszahlen - für beide Seiten. Angesichts umfangreicher und zum Teil langwieriger Anerkennungsverfahren im Ausland angeworbener Pflegekräfte, sowie die notwendigen Integrationsbemühungen, stellt sich die Frage, ob dies der einfachere und langfristig zielführendere Weg ist. Besonders fraglich ist, ob man das Fachkräfteproblem nachhaltig löst, wenn man auf den Import ausländischer Pflegekräfte setzt. Schließlich kommuniziert das aktive Pflegepersonal hierzulande seit einigen Jahren, was sich ändern muss. Einen Job in einer wenig attraktiven Arbeitsumgebung werden auch ausländische Pflegekräfte nicht dauerhaft als begrüßenswert betrachten. Man verschiebt die Bewältigung des Problems lediglich in die Zukunft, indem man einige Jahre mit Import-Personal überbrückt.

Auf bessere Einsatzmodelle und Tarifverträge kommt es an

Es stellt sich natürlich die Frage, ob alle Bewerber mit geringem Bildungsniveau auch tatsächlich einen Abschluss als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann erlangen können. Daher sollte auch die Möglichkeit bestehen, qualifizierte Pflegehilfskräfte direkt in den Betrieben auszubilden. Beispielsweise mit einer ein- bzw. eineinhalbjährigen Ausbildung an der Pflegeschule, inklusive Praxiseinsätzen. Anschließend könnte man die Ausbildung verlängern, wenn das Potenzial zur vollwertigen Pflegefachfrau gesehen wird. Somit könnte auch die Einstiegshürde gesenkt werden für Menschen, die bisher weniger erfolgreich im Bildungssystem waren. Die Ausbildungsvergütung sollte jedoch nicht wesentlich von der dreijährigen Ausbildung abweichen. Ein besonders wichtiger Punkt ist zudem eine adäquate Abbildung der verschiedenen Qualifizierungsniveaus im Tarifvertrag. Dies gilt nicht nur für Pflegehilfskräfte, sondern auch für akademisch qualifizierte Pflegende.

Dafür sollten auch die Aufgabenbereiche neu definiert werden, sowie die entsprechenden Ausbildungsinhalte daran angepasst werden. Wenn eine Pflegehilfskraft und eine Pflegekraft mit Bachelor-Abschluss die gleichen Tätigkeiten übernimmt, werden Ressourcen und Potenzial verschwendet. Auch die Pflegekräfte müssen daran mitwirken hier eine Veränderung an ihrem Arbeitsplatz herbeizuführen. Ebenso wie wir den jungen Menschen mit niedrigem Bildungsniveau eine Chance geben sollten, müssen auch hochqualifizierte Pflegefachkräfte deutlich mehr Möglichkeiten erhalten, ihre erweiterten Kompetenzen und Fähigkeiten in angemessener Weise zum Einsatz zu bringen. Egal ob bei Hausbesuchen auf dem Land anstelle des Hausarztes, oder bei der Anwendung innovativer Versorgungsmethoden in Schwerpunktzentren.

Die Pflegekammern könnten dabei eine große Unterstützung sein, die notwendigen Grundlagen zu erarbeiten. Einerseits benötigen wir einheitliche Standards bei der Ausbildung, den Examen und dem Aufgabenspektrum je nach Qualifikationslevel. Andererseits benötigen wir eine echte Interessenvertretung der Pflegenden, die nicht nur die Bedürfnisse dieser Berufsgruppe vertritt, sondern auch das Image des Berufes in der öffentlichen Wahrnehmung verbessert. Deutschland wird noch viele Jahrzehnte auf Menschen angewiesen sein, die sich in Pflegeberufen tagtäglich um kranke und hilfsbedürftige Menschen kümmern bzw. sie versorgen. Wenn wir hier dauerhaft hohe Qualitätsstandards einhalten wollen, brauchen wir deutlich größere Anstrengungen bei der Gewinnung von Pflegekräften auch im Inland. Für die konstatierte Aktion Pflege der Bundesregierung soll auch die Zahl der Ausbildungsstätten erhöht werden. Diese Auszubildenden sollten dann auch in großer Zahl aus der hier lebenden Jugend rekrutiert werden, die eine Chance auf Teilhabe am Arbeitsmarkt verdienen sollte.

Abschließend soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass der Fachkräftemangel in der Pflege natürlich auch dann entschärft werden könnte, wenn die Überkapazitäten bei den Krankenhäusern abgebaut würden. Schließlich versuchen wir ein Problem zu lösen, dass wir durch zu viele Klinikbetten zum Teil selbst geschaffen haben. Anstatt zwanghaft leere Betten mit irgendwelchen Patienten zu befüllen, die dann unnötig Personal binden, muss die Politik endlich offen und ehrlich an den Abbau der stationären Überkapazitäten ran.

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