
Das Gesundheitswesen wird durch die digitale Transformation grundlegend verändert: Innovative Technologien in Diagnostik und Therapie oder die elektronische Patientenakte (ePA) schaffen neue Möglichkeiten, machen Prozesse effizienter und verbessern die Versorgungsqualität. Dennoch bleibt ein elementares Problem: Das Vertrauen der Versicherten in diese digitalen Angebote scheint gering. In einer IGES-Umfrage gab nur ein Viertel der Befragten an, dass sie ihre Gesundheitsdaten in der Telematik Infrastruktur (TI) als sicher betrachten.
Gleichzeitig sind viele Ärztinnen und Ärzte als Leistungserbringer unverändert skeptisch gegenüber der Nutzung solcher Technologien. Vor diesem Hintergrund spielt Corporate Digital Responsibility (CDR) eine entscheidende Rolle. Der Ansatz unterstützt unter anderem die gesetzlichen Krankenkassen dabei, Vertrauen in digitale Angebote aufzubauen und gleichzeitig die ethischen Herausforderungen bei der Nutzung neuer Technologien zu bewältigen.
Zwillingstransformation Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Selbstverständlich ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht nur eine technologische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Sie bietet vielfältige Chancen, um die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern, stellt aber gleichzeitig neue Anforderungen an den Umgang mit sensiblen Daten, die digitale Inklusion und die ethische Nutzung von Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI). Parallel gewinnt das Thema Umwelt und Gesundheit mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit immer mehr an Bedeutung. Diese beiden Trends zeigen sich zum Beispiel auch im kürzlich veröffentlichten Global Risk Report im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos.
Für die nächsten zehn Jahre werden neben technologischen vor allem ökologische und soziale Risiken als gesellschaftsgefährdend angesehen. Man spricht hier auch von einer sogenannten Zwillingstransformation (englisch: Twin Transformation). Dementsprechend gilt die Beachtung der digitalen und nachhaltigen Transformation als mitentscheidend für den Erfolg von Unternehmen und Organisationen in der Zukunft. Für Krankenkassen bedeutet dies, dass sie nicht nur digitale Technologien einführen, sondern auch sicherstellen müssen, dass diese Technologien ressourcenschonend und sozial verantwortlich eingesetzt werden. Hier kommt das Konzept der Corporate Digital Responsibility (CDR) ins Spiel.
Relevanz von CDR im Gesundheitswesen
CDR steht für die digitale Verantwortung von Unternehmen und zielt darauf ab, technologische Innovationen im Einklang mit ethischen, sozialen und ökologischen Prinzipien zu gestalten. Für gesetzliche Krankenkassen ist dies, als Körperschaften des öffentlichen Rechts, eine besondere Verantwortung. Ihre Arbeit beeinflusst die Gesundheit von Millionen Menschen. Dabei ist das Vertrauen der Versicherten Grundlage einer Innovation, die nur dann Fortschritt bedeutet, wenn Betroffene sich durch sie besser versorgt fühlen. Eine verantwortungsvolle Digitalisierung ist damit im Grunde in der DNA gesetzlicher Krankenkassen verankert.
Corporate Digital Responsibility ist mehr als Datenschutz – es ist ein umfassender Ansatz, der sicherstellt, dass digitale Technologien nicht nur effizient, sondern auch verantwortungsvoll eingesetzt werden. Der Fokus liegt darauf, Chancen der Digitalisierung zu nutzen, ohne soziale, ökologische oder ethische Risiken zu vernachlässigen. Einerseits geht es darum, die Digitalisierung nachhaltig zu gestalten, und andererseits darum, Nachhaltigkeitsziele durch den Einsatz digitaler Technologien zu erreichen.
CDR-Initiative des BMUV gibt Orientierung
Um Unternehmen bei der Umsetzung von CDR zu unterstützen, wurde 2018 die Corporate Digital Responsibility Initiative, kurz CDR-Initiative, ins Leben gerufen, die seit 2022 beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) angesiedelt ist. Ihr Ziel ist es, digitale Verantwortung in allen Branchen zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Mitgliedsunternehmen wie die ING Bank, die Otto Group und die Barmer verpflichten sich, die Prinzipien des CDR-Kodex umzusetzen und regelmäßig über ihre Fortschritte zu berichten. Der Kodex umfasst zentrale Leitprinzipien wie Menschenzentrierung, Fairness, Transparenz und Nachhaltigkeit, die in fünf Handlungsfelder überführt werden: Umgang mit Daten, Bildung, Klimaund Ressourcenschutz, Inklusion sowie Mitarbeitenden-Einbindung. Berichtet wird über Maßnahmen, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen. Dazu gehören u.a.:
- „Verbrauchersouveränität und Autonomie sicherstellen“
- „Über ethische Fragen der Digitalisierung aufklären“
- „Digitale Lösungen zum Schutz unserer Umwelt stärken“
- „Mitarbeitende auf Veränderungen vorbereiten und im Wandel unterstützen“
- „Zugangshürden zu Produkten und Dienstleistungen entgegenwirken“
Die Handlungsfelder der CDR-Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
- Umgang mit Daten
- Mitarbeitendeneinbindung
- Bildung
- Inklusion
- Klima- und Ressourcenschutz
Gesetzliche Krankenkassen als Vorreiter digitaler Verantwortung
Die Barmer, eine der größten gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, hat CDR bereits in ihre Unternehmensstrategie integriert und berichtet regelmäßig über Fortschritte. Ein Schwerpunkt der Barmer liegt dabei auf der Einbindung ihrer Mitarbeitenden in die digitale Transformation. Mit einem Netzwerk von über 600 DigiCoaches und abteilungsübergreifenden Projekten fördert sie eine Kultur der Innovation und Mitgestaltung. Diese partizipativen Ansätze tragen maßgeblich dazu bei, Hemmschwellen abzubauen und die Akzeptanz digitaler Angebote zu steigern. Natürlich gibt es in einigen Zielbereichen noch Potenzial für eine weiterführende operative Umsetzung.
Die AOK Plus, die größte gesetzliche Krankenkasse in Sachsen und Thüringen, zeigt ebenfalls vielversprechende Ansätze in der digitalen Verantwortung, auch wenn sie bisher keinen ganzheitlichen CDR-Ansatz verfolgt. Dabei legt sie besonderen Wert auf digitale Inklusion, indem sie ihre Angebote konsequent an den Standards zur digitalen Barrierefreiheit ausrichtet. Zudem wurden Accessibility-Manager etabliert, die mit ihren ganzheitlichen Vorgaben dafür sorgen, bestehende Barrieren abzubauen und neue gar nicht erst entstehen zu lassen. Trotz operativer Stärken könnte eine durchgängige CDR-Strategie die Maßnahmen der AOK Plus noch gezielter bündeln. Eine interne, übergreifende CDR-Organisation würde dazu beitragen, bestehende und zukünftige Aktivitäten effizient zu koordinieren und Synergien zu heben. Zudem würde die Entwicklung einer Zwillingstransformations- Strategie, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit verbindet, die Position der AOK Plus als eine der Vorreiterinnen im Gesundheitswesen weiter stärken.
Verantwortung als Basis für Erfolg
Digitale Verantwortung ist kein optionales Add-on, sondern eine Grundvoraussetzung für die Zukunftsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen. CDR bietet einen strukturierten Rahmen, um Vertrauen in digitale Angebote zu fördern und gleichzeitig gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Krankenkassen, die digitale Verantwortung ernst nehmen, können nicht nur das Vertrauen ihrer Versicherten gewinnen, sondern auch die Basis für eine nachhaltige Digitalisierung des Gesundheitssystems schaffen. Die CDR-Initiative liefert hierfür eine normative und strategische Blaupause, die es durch konkrete Maßnahmen umzusetzen gilt. Die Zeit zu handeln ist jetzt: Gesetzliche Krankenkassen, die sich der digitalen Verantwortung stellen, werden nicht nur zum Vorbild, sondern sichern die Zukunftsfähigkeit des gesamten Gesundheitssystems.



