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QualitätswettbewerbCapitation-Modelle als Ausweg aus der Finanzierungskrise

Im deutschen Gesundheitssystem bestehen zahlreiche Herausforderungen und Verbesserungspotenziale. Capitation als sektorenumspannendes Vergütungs- und Versorgungsmodell ist ein vielversprechender Ansatz, um u.a. rigide Sektorengrenzen zu überwinden.

Taschenrechner und Stethoskop liegen auf Geldscheinen
Lemau Studio/stock.adobe.com
Symbolfoto

Hintergrund

Die Fragmentierung der Organisation der Gesundheitsversorgung in Deutschland, der Bedarfs- bzw. Kapazitätsplanung, der Erbringung von Leistungen und deren Vergütung führt zu Brüchen bei der Behandlung und auf der Makroebene bis hin zur Ressourcenverschwendung. Ihre Überwindung ist Voraussetzung für Effizienzsteigerung und Optimierung der Versorgungsqualität.

Viel diskutierte Entwicklungen (demografischer Wandel, Fachkräftemangel, steigender Kostendruck etc.) verändern die Bedingungen, unter welchen das Gesundheitssystem seine Funktion aufrechterhalten muss. Das gelingt unzureichend, wodurch sich der Druck für die Gesundheitsversorgung auf Politik und die Gesellschaft erhöht. So war es nicht verwunderlich, dass die stärkere Integration der Versorgung Eingang in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung gefunden hat.

Ein Beispiel für entsprechende Fortschritte ist der Ausbau von Anreizen für ambulantes Operieren – im Rahmen der speziellen sektorengleichen Vergütung mittels Hybrid-DRGs. Auf die gleiche gesetzgeberische Initiative geht die Einführung der Krankenhaustagesbehandlung zurück. Allerdings wird – nicht nur mit Blick auf das geplante Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) – deutlich, dass sozialrechtliche und gesundheitsökonomische Vorgaben bisherige Umsetzungsversuche unmöglich machen.

Finanzielle Anreizsysteme

So ist die Krankenhaustagesbehandlung bislang quasi nicht im Versorgungsalltag angekommen. Die im Koalitionsvertrag adressierte Erhöhung der Attraktivität bevölkerungsbezogener Versorgungsverträge bzw. Gesundheitsregionen wirkt, wie schon zuvor, nur in ausgewählten Modellregionen. Capitation-Modelle als Organisations- und Vergütungsansatz werden in diesem Zusammenhang diskutiert. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass finanzielle Anreizsysteme wesentlich für Abläufe innerhalb der Gesundheitsversorgung verantwortlich sind. Weil der Kostendruck auf Leistungserbringer- und Kostenträgerseite steigt, braucht es Ansätze, um Patienten weiterhin eine bedarfsgerechte Versorgung auf hohem Qualitätsniveau anbieten zu können, die zugleich effizient ist.

Im Folgenden werden solche Capitation-Modelle grundsätzlich beschrieben, um dann die Erfahrungen in Spanien zu analysieren und schließlich eine Übertrag auf Deutschland zu diskutieren.

Grundlagen Capitation-Modelle

Capitation-Modelle basieren auf dem Gedanken, dass die bedarfs- und bedürfnisorientierte Patientenbetreuung maßgeblich für die Nutzung von Ressourcen innerhalb des Gesundheitsangebotes ist und die Finanzierung direkt den Bedürfnissen des Patienten folgt. Die Höhe der Vergütung wird prospektiv als Budget bestimmt und summiert sich aus den Pauschalen pro versicherter Person.

Kriterien für deren Festlegung können neben dem Alter und den Bedarfen der Versicherten auch der Umfang des Leistungskatalogs sowie strategische Versorgungsziele sein. Die Leistungserbringenden übernehmen eine finanzielle (Mit)Verantwortung. Entsprechend bergen solche Modelle das Risiko, dass nicht intendierte Vergütungsanreize zur Unterversorgung führen. Daher ist es notwendig, eine Capitation mit einem spezifizierten Qualitätsmanagement, patientenbezogenen Zielkriterien sowie langfristigen Verträgen zu verbinden.

Fallbeispiel: Das Valencia-Modell

In Spanien wurde in mehreren Regionen der autonomen Gemeinschaft Valencia ab Mitte der 2000er Jahre ein auf der Capitation basierendes Vergütungs- und Versorgungsmodell eingeführt. Dabei wurde der ambulante und stationäre Bereich inklusive rehabilitativer Versorgung mit einer pauschalierten Vergütung je Einwohner integriert. Die beiden Versorgungsbereiche wurden bereits damals strukturell und prozessual nahe zusammengedacht. In der Regel sind ambulante Versorgungseinrichtungen an Krankenhäusern angesiedelt.

Das sogenannte Valencia-Modell entspricht einer öffentlich-privaten Partnerschaft, in der Konzessionen an private Managementunternehmen vergeben wurden. Diese bestehen meist aus einer privaten Krankenversicherung als Gesundheitsspezialist und einem Zusammenschluss öffentlicher Kreditinstitute, welche gemeinsam die Gesundheitsversorgung und die finanzielle Stabilität der regionalen Versorgung gewährleisten.

Angestiegene Patientenzufriedenheit

Die Konzessionen wurden mit Laufzeiten von in der Regel 15 Jahren versehen, um Schwankungsrisiken abzufedern und Anreize für Präventions- und Versorgungsmaßnahmen zu setzen. Um die Vergütungshöhe an die Bedarfe der Versicherten anzupassen, wird die Höhe der pauschalierten Capitation anhand der Altersstruktur in der Region berechnet. Aus der Capitation aller Einwohner ergibt sich das prospektive regionale Gesundheitsbudget.

Qualitätsindikatoren und ein Qualitätswettbewerb zwischen den Regionen setzen positive Versorgungsanreize. Wenn ein Patient mit den Leistungen nicht zufrieden ist, kann er sich in einer Nachbarregion behandeln lassen und die eigene Region ist zahlungspflichtig. Es zeigen sich positive Wirkungen z. B. die Reduktion von Wartezeiten, von medizinischen und operativen Kosten oder generell von Ressourcen. Hervorzuheben ist die angestiegene Patientenzufriedenheit.

Zu den akzeptanzstiftenden und Erfolg bringenden Faktoren gehören eine detaillierte Kenntnis des Versorgungsbedarfes, die konsequente Einbindung der regionalen Leistungserbringer sowie die aktive Integration der Patienten und Angehörigen in die Definition der Patientenpfade inklusive einer aktiven Rückmeldung zur Prozess- und Ergebnisqualität. Ein weiteres wichtiges Element stellt eine moderne und funktionsfähige IT-Infrastruktur dar. So wurde im Valencia-Modell von Beginn an eine elektronische Patientenakte genutzt.

Übertragung auf Deutschland

Um Effizienz- und Qualitätspotenziale in Deutschland zu heben, müssen alle, die in den Regionen Leistungen erbringen oder Kosten tragen, die Versorgung gemeinsam gestalten und die sektoralen Hürden im Gesundheitssystem abbauen. Internationale Beispiele zeigen, dass die erfolgreiche Implementierung integrierter Versorgungskonzepte eine Änderung der Sichtweise der Akteure sowie die aktive Beteiligung der Patienten und ihrer Angehörigen erfordern.

Sinnvoll ist die Einbindung regionaler Unterstützungsstrukturen wie Patientenverbände und soziale Dienste – sowohl bei der Bedarfs- und Bedürfnisanalyse als auch bei der Ausarbeitung der integrierten Versorgungsstrukturen. Aufklärung und partizipative Beteiligung sind wichtige Voraussetzungen für einen möglichen Erfolg.

Wirksames Anreizkonstrukt

Bezogen auf die aktuelle Diskussion zur Krankenhausreform ist die Capitation wie folgt einzuordnen: Während in den Entwürfen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes viele Einzelmaßnahmen enthalten sind, welche sowohl die Strukturen (unter anderem Zuteilung von Leistungsgruppen) als auch die Vergütung (unter anderem partielle Vorhaltevergütung) stationärer Versorgung adressieren, setzt ein Capitation-Modell grundsätzlicher an.

Zwar ist auch der Capitation durch die Vergütung ohne zwingenden Patientenkontakt eine Art Vorhaltepauschale immanent. Allerdings ist diese durch das sektorenübergreifende Budget in ein wirksames Anreizkonstrukt eingebettet, das zu einer qualitativ hochwertigen und effizienten Leistungserbringung führen kann.

Während also im KHVVG viele einzelne, für sich schon komplexe Maßnahmen ineinandergreifen müssen, bietet ein Capitation-Ansatz bereits den Werkzeugkasten, um die adressierten Ziele zu erreichen. Zuletzt setzt ein Capitation-Ansatz, wenngleich das KHVVG auch sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen ermöglicht, einen stärkeren Fokus auf die integrierte und sektorenübergreifende Versorgung.

Fazit

Capitation-Modelle sind also geeignet, die rigiden Sektorengrenzen zu überwinden, tragen zur Versorgungssicherheit bei und weiten den Vertragsspielraum zwischen Leistungserbringenden und Versicherern aus. Sektorengrenzen werden überwunden und Patienten scheitern nicht mehr am professionellen Selbstverständnis einzelner Leitungserbringer, sondern können qualitativ hochwertig behandelt werden.

Daneben schafft ein wie hier beschriebener Capitation-Ansatz einen Qualitätswettbewerb und fördert Ambulantisierung. Analysen internationaler Gesundheitssysteme können dabei unterstützen, den aktuellen ordnungspolitischen Rahmen in Deutschland besser zu nutzen bzw. weiterzuentwickeln und mögliche Beharrungsstrukturen zu überwinden.

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DGIV e.V.

Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) ist ein deutschlandweit agierender Verein mit der Zielsetzung, die Integrierte Versorgung in der medizi-nischen, pflegerischen und sozialen Betreuung als Regelfall durchzusetzen. Die DGIV wurde am 26. September 2003 in Berlin gegründet. Ziel der Gründungsmitglieder war es, die Integrierte Versorgung als alternative Versorgungsform zur damaligen Regelversorgung zu entwickeln und letztendlich durchzusetzen.