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Vorwürfe im AufsichtsratKontroverse um Interims-Chef am Klinikum Lippe

Neue Unruhe im Klinikum Lippe. Geschäftsführer Dr. Niklas Cruse werden mutmaßliche Vergabe- und Compliance-Verstöße vorgeworfen, weshalb der Aufsichtsrat seine Befugnisse kappen will. Gutachter widersprechen, und die Belegschaft solidarisiert sich.

Klinikum Lippe in Detmold
Klinikum Lippe
Gehört zum Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld: das Klinikum Lippe – hier der Standort in Detmold.

Das Klinikum Lippe (KLG) ist einmal mehr in die Schlagzeilen geraten, und erneut geht es um den Klinikchef. Dabei wirft das, was in Detmold gerade passiert, noch zahlreiche Fragen auf und hat bereits mehrere Gutachter beschäftigt. Gleichzeitig wird spekuliert und unterstellt, die Befugnisse des Geschäftsführers sollen beschränkt werden, große Teile des Klinikpersonals stellen sich aber offenbar demonstrativ hinter ihn.

Nach dem Ende März ausgeschiedenen Geschäftsführer Dr. Johannes Hütte, dem zuletzt der politische Rückhalt gefehlt hatte, steht nun sein Nachfolger Dr. Niklas Cruse in der Kritik. Er ist am 16. März auf Basis eines Managementvertrages mit der Hospital Management Group (HMG) interimsweise als kaufmännischer Geschäftsführer in Detmold gestartet.

Der Landkreis Lippe hat jetzt mitgeteilt, es gebe „ernstzunehmende Hinweise auf mutmaßliche Vergabe- und Compliance-Verstöße“, mit denen sich kürzlich der Aufsichtsrat des Klinikums befasst habe. Es sei unklar, ob diese zutreffen oder auch strafrechtlich relevant sein könnten, erklärte Aufsichtsratschef Dr. Axel Lehmann. Der Noch-Landrat ist bei der jüngsten Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen nicht mehr angetreten. Wer sein Amt demnächst übernehmen wird, und wie in der Folge der Wahl der Aufsichtsrat des Klinikums besetzt sein wird, steht noch nicht fest.

Eingeschränkte Befugnisse

In der aktuellen Konstellation haben die Kontrolleure dafür votiert, Cruse im Amt zu belassen, gleichwohl aber seine Befugnisse einzuschränken. Ob und wie das umgesetzt wird, soll nach jetzigem Stand in der nächsten Gesellschafterversammlung am 23. September diskutiert werden.

Einige Mitglieder des Aufsichtsrates hatten offenbar noch weiter gehen wollen. Ein Antrag, aufgrund der vorliegenden Hinweise den Vertrag mit der HMG zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen und damit Cruse als Geschäftsführer abzulösen, sei allerdings nicht zur Abstimmung gekommen, so der Landkreis. Eine Erklärung wird nicht gegeben.

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Der Mitteilung aus dem Kreishaus zufolge geht es bei den eingegangenen Hinweisen konkret darum, dass Aufträge an Unternehmen gegangen seien, die – genau wie die HMG – zur Vivecti-Gruppe gehören. Neben den bereits erteilten Aufträgen gebe es außerdem Hinweise darauf, „dass möglicherweise noch ein Auftrag von erheblichem Volumen an ein Unternehmen der Vivecti-Gruppe vergeben werden könnte und dabei Wettbewerbsregeln verletzt werden könnten“, heißt es. Diese Hinweise lägen inzwischen auch der Staatsanwaltschaft vor, so der Landkreis.

Wie dort mit dem Material umgegangen wird, ist derweil offen. Nach Informationen von kma ist bei der Staatsanwaltschaft bislang kein Ermittlungsverfahren anhängig.

Aufsichtsrat soll Aufträge genehmigen

„Um Schaden vom Klinikum Lippe, aber auch vom Geschäftsführer abzuwenden, habe ich dem Aufsichtsrat vorgeschlagen, dass die Geschäftsführung vorerst jeden geplanten Auftrag an Unternehmen der Vivecti-Gruppe ohne Betragsgrenze vorher vom Aufsichtsrat genehmigen lassen muss“, erklärte Landrat Lehmann. Diesem Vorschlag sei das Gremium bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung gefolgt. Darüber hinaus empfehle der Aufsichtsrat der Gesellschafterversammlung, Cruse die Einzelvertretungsberechtigung zu entziehen.

Als Aufsichtsrat ist es unsere Pflicht, solch gravierenden Hinweisen nachzugehen.

Der Manger solle das Klinikum künftig nur gemeinsam mit der medizinischen Geschäftsführung oder – bei Vakanz der Position – mit dem Prokuristen vertreten. Ferner sei beschlossen worden, dass bei unterschiedlichen Auffassungen in der Geschäftsführung der Aufsichtsrat entscheide. Bis dato habe der kaufmännische Geschäftsführer in solchen Fällen das letzte Wort gehabt.

„Bislang ist nicht eindeutig geklärt, ob hier tatsächlich planmäßig und vorsätzlich Vivecti-Unternehmen mit Aufträgen der KLG versehen und Compliance-Vorgaben verletzt wurden“, betonte Lehmann: „Dennoch ist es als Aufsichtsrat unsere Pflicht, solch gravierenden Hinweisen nachzugehen.“ Daher hätten die Aufsichtsratsmitglieder, die Kenntnis von den erhobenen Vorwürfen erlangt und diese in der Sitzung thematisiert hatten, „zum Wohle des Klinikums genau richtig gehandelt“.

Gutachten stützen den Geschäftsführer

Über mögliche Interessen, die hinter den Hinweisen stehen könnten, wird vor Ort rege spekuliert. Dass die damit verbundenen Vorwürfe wirklich substanziell sein könnten, darf zumindest bezweifelt werden. kma liegen zwei Gutachten vor, in denen von der HMG mandatierte Experten keine Hinweise für einen Vergabeverstoß oder gar eine strafrechtlich relevante Handlung sehen.

Einerseits wird festgestellt, dass „der Rückgriff auf fachliche Expertise in einem bestehenden Netzwerk oder im Rahmen einer Markterkundung nicht nur vergaberechtlich zulässig, sondern zur Vorbereitung des Vergabeverfahrens üblich und sinnvoll“ sei. Im Ergebnis lägen keine Vergaberechtsverstöße vor, und es drohten auch keine Verstöße. Zudem erklärt ein zweiter Experte, Fachmann für Strafrecht, „auf der Grundlage des vorliegenden Sachverhalts scheidet eine Strafbarkeit unter allen denkbaren Gesichtspunkten sicher aus“. Der Tatbestand des § 298 StGB sei „evident nicht erfüllt“.

Fragenkatalog der Aufsichtsräte

Im Vorfeld der jüngsten Aufsichtsratssitzung hatte Cruse offenbar einen umfangreichen Fragenkatalog des Gremiums erhalten und beantwortet. Fragen und Antworten konnte kma ebenfalls einsehen. Im Fokus der 14 Fragen steht unter anderem die Kündigung der bisherigen Einkaufsgesellschaft des Klinikums.

Diese sei mit Blick auf Vergaberechtskonformität und enorme Haftungsrisiken „rechtlich geboten“ gewesen, erklärt Cruse in seinen Antworten und verweist auf die Einschätzung des langjährigen externen Vergabeanwalts des Klinikums, den er dazu befragt habe. Bei der Entscheidung, zu kündigen und eine Neuausschreibung zu planen, sei zu jedem Zeitpunkt das Vier-Augen-Prinzip berücksichtigt worden. Bei der Vorbereitung der Neuausschreibung stehe man derzeit noch ganz am Anfang, und mit der Leistungsbeschreibung habe man sich noch gar nicht befasst.

Angebotsabfragen oder Anbahnungsgespräche mit Partnern der Vivecti-Gruppe habe es in seiner Zeit als Geschäftsführer nicht gegeben, so Cruse in seinen Antworten weiter. Bislang seien lediglich Markterkundungsgespräche mit der EKK Plus und Prospitalia geführt worden. Letztere gehört wie die HMG zur Vivecti-Gruppe. Solche Erkundungen seien branchenüblich und könnten durchaus sachgerecht sein, wird mit Verweis auf die rechtliche Stellungnahme desselben Vergabeanwalts betont, den Cruse Mitte August damit beauftragt hatte, die Ausschreibung zum Beitritt zu einer Einkaufsgemeinschaft vorzubereiten.

Dr. Niklas Cruse
Privat
Dr. Niklas Cruse ist seit März Geschäftsführer des Klinikums Lippe.

Dass dieser Anwalt seine Tätigkeit in dem Beschaffungsvorhaben mittlerweile bis auf Weiteres eingestellt und den zentralen Vorwurf möglicher Vergabe- und Compliance-Verstöße gegen Cruse formuliert hat, gehört zu den Besonderheiten des Falles. Bei der Finalisierung der Ausschreibungsunterlagen habe er festgestellt, dass ein schwerwiegender Verstoß gegen die Vergabeverordnung, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und weitere relevante Gesetze und Vorschriften zu befürchten sei, heißt es in einem Schreiben an Cruse und Landrat Lehmann, das kma ebenfalls vorliegt. Auch eine Strafbarkeit könne nicht ausgeschlossen werden – Vorwürfe, gegen die Cruse die von der HMG eingeholten Rechtsgutachten ins Feld führt.

Grundsätzlich werde sehr transparent damit umgegangen, dass die HMG Teil der Vivecti-Gruppe sei, betont er in seinen Fragebogen-Antworten. Man habe bei den Gesprächen mit Gesellschaftsvertretern zu jedem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, „dass die Zugehörigkeit zur Vivecti-Gruppe durchaus bekannt war“. Die Netzwerkpartner inklusive Prospitalia seien auch schon bei der allerersten Kontaktaufnahme mit dem Kreis Lippe Teil einer Unternehmensvorstellung gewesen.

Auf Nachfrage von kma wollte Niklas Cruse zum jetzigen Zeitpunkt keine persönliche Stellungnahme abgeben. Offenbar soll die nächste Gesellschafterversammlung abgewartet werden.

Breite Unterstützung in der Belegschaft

Derweil war vor und nach der letzten Aufsichtsratssitzung auch Positives zu hören. Cruse habe sich „seit seinem Amtsantritt in weiten Teilen der Mitarbeiterschaft des Klinikums Lippe Sympathie und Anerkennung verschafft“, betonte Landrat Lehmann in der Mitteilung des Kreises. Cruse habe „zu einer deutlichen Verbesserung der Stimmung in der Belegschaft und des Arbeitsklimas beigetragen, was ich ihm hoch anrechne“, so Lehmann.

Dass der Interimschef bei den Beschäftigten offenbar gut ankommt zeigen drei offene Briefe, die kma ebenfalls vorliegen. Darin haben sich sowohl ärztliche Direktoren und Chefärzte, die Pflegedirektion sowie die Stationsleitungen des Klinikums für Cruse ausgesprochen. Seine Philosophie trage zur Wiederherstellung des „Wir“-Gefühls am Klinikum bei, erklären etwa die Mediziner. Sie erkennen einen „spürbaren Stimmungswechsel und eine Aufbruchstimmung“ im Haus. Die Konstruktion „eines etwaigen zukünftigen Compliance-Problems im Kontext eines noch nicht begonnenen Ausschreibungsverfahrens“ sei nicht nachvollziehbar.

Auch die Pflegedirektion lobt Cruse als „exzellente Wahl“. Er habe das Klinikum in kurzer Zeit entscheidend nach vorn gebracht. Die Arbeitszufriedenheit bei den Beschäftigten und den Auszubildenden steige spürbar. Ähnlich formulieren es die Stationsleitungen: Seit Cruses Amtsantritt erlebten sie eine völlig veränderte Atmosphäre, heißt es in ihrem Brief. Sie wünschten sich, dass „der Kurs der Offenheit, Verbindlichkeit und Wertschätzung“ fortgesetzt werde.

Medizinische Geschäftsführerin verlässt Klinikum

Mit Blick auf den Plan des Aufsichtsrats, nach dem Niklas Cruse das Klinikum nur noch gemeinsam mit der medizinischen Geschäftsführung vertreten soll, ist eine aktuelle Personalie in Detmold relevant: Die derzeitige Amtsinhaberin Dr. Christine Fuchs wird das Haus verlassen. Sie ist seit 2020 medizinische Geschäftsführerin, und jetzt endet ihr Vertrag Ende September. Fuchs hatte sich im November 2024 deutlich kritisch zu „parteipolitischen Querelen“ rund um das Klinikum geäußert, die die Zukunft des Hauses gefährdeten.

Die Stelle sei auf Beschluss der Gesellschafterversammlung ausgeschrieben worden, teilt das Klinikum auf Anfrage von kma mit. Der Auswahlprozess laufe und solle noch in dieser Wahlperiode abgeschlossen werden. Ziel sei es, „eine lange Vakanz dieser wichtigen Position zu vermeiden“.

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