
Charité-Chef Prof. Heyo K. Kroemer sieht das deutsche Gesundheitswesen am Rand seiner Belastungsgrenze. Er warnte bei einem Hintergrundgespräch vor einer weiteren Verschärfung der Lage bis 2030. Die Verschiebung der Krankenhausreform und kurzfristige politische Maßnahmen schadeten dem System, so Kroemer.
Besonders kritisch bewertet er die geplanten Kürzungen bei den Landeszuwendungen: Allein in Berlin erhält die Charité 28 Millionen Euro weniger. Die Einschnitte wirken sich unmittelbar auf Forschung und Lehre aus. So wurde die Planung eines Masterstudiengangs für die Pflegewissenschaft erst einmal auf Eis gelegt.
Zudem steht die Reduzierung der Studienplätze im Raum. Betroffen wären unter anderem die Studiengänge Hebammenwissenschaft, Zahnmedizin aber auch die Humanmedizin. Die wirtschaftliche Situation der Charité bleibt weiterhin kritisch. 2024 wies die Einrichtung ein Defizit von 87,4 Millionen Euro aus.
300 Millionen Euro Drittmittel
Trotz dieser Rahmenbedingungen blickt die Charité auf ein starkes Forschungsjahr 2025 zurück. Rund 300 Millionen Euro an Drittmittel wurde in diesem Jahr eingeworben, freut sich der Vorstand. Das ist ein Bestwert unter den deutschen Universitätskliniken.
Die wissenschaftliche Basis wird durch große neue Verbundprojekte gestärkt, darunter das neu gegründete Exzellenzcluster ImmunoPreCept in dem die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Krankheit für zell-basierte molekulare Prävention und interzeptive Medizin erforscht werden sowie die Fortführung des Exzellenzclusters NeuroCure zur Erforschung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen.
Spitzenplatz bei EU-Fördermitteln
Hinzu kommen zwei neue Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mehrere ERC Grants, die Themen wie Schlafregulierung, KI-gestützte Hirnsignaldekodierung und immunologische Mechanismen adressieren. Die Charité zählt laut Analyse der Nationalen Kontaktstelle Gesundheit zu den erfolgreichsten Empfängern von EU-Forschungsfördermitteln und belegt im europäischen Vergleich einen Spitzenplatz.
Zentral für zukünftige Strukturveränderungen ist nach Prof. Kroemers Einschätzung die Digitalisierung. Er betonte, dass etwa ein Drittel der heutigen Tätigkeiten von Ärzten und Pflegekräften durch digitale Systeme ersetzbar sei. Digitale Tools und KI sollen dabei nicht nur Abläufe standardisieren, sondern auch Diagnostik und Therapieentwicklung unterstützen.
Prävention im Fokus
Inhaltlich will sich die Charité 2026 verstärkt der Prävention zuwenden. Prof. Kroemer verwies auf Kooperationen mit Industriepartnern und neue Konzepte außerhalb klassischer Sektorengrenzen, etwa Gesundheitschecks in Mobilitätsumgebungen oder ein präventives Lungenscreening ab 50 Jahren. Prävention müsse „neu gedacht“ und datenbasiert weiterentwickelt werden. Digitale Anwendungen und KI sollen dabei eine größere Rolle spielen, sowohl zur Entlastung klinischer Abläufe als auch zur Therapiefindung.
Mit Blick auf die Krankenhausreform bekräftigten Prof. Kroemer und Charité-Dekan Prof. Joachim Spranger die Bedeutung einer stärkeren Zentralisierung komplexer Fälle. Es sei nicht akzeptabel, dass Patienten in Kliniken behandelt würden, die keine vollständige Tumorsequenzierung anbieten können.
Die Verschiebung der Reform bis 2030 bremse aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden Kroemer notwendige Strukturveränderungen und verzögere Verbesserungen in der Versorgung. Gleichzeitig sieht er große Fortschritte in der personalisierten Onkologie und betonte, dass eine vollständige Sequenzierung von Tumoren künftig Standard werden müsse.
Trotz finanzieller Unsicherheiten bleibt die Führungsspitze optimistisch. Die wissenschaftlichen Erfolge 2025, neue Forschungsstrukturen und die internationale Sichtbarkeit seien eine Grundlage, um Forschung, Lehre und Versorgung im kommenden Jahr weiterzuentwickeln.








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