
Parkinson, Epilepsie, Schizophrenie: Diese und andere neurologische Erkrankungen sind noch nicht vollständig verstanden. Einen Schub neuer Erkenntnisse verspricht ein neues Zentrum für biomagnetische Hirnforschung, das die Charité – Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) am 20. Oktober in Berlin eröffnet hat. Das sogenannte OPM-MEG-Zentrum auf dem Campus Charité Mitte nutzt eigenen Angaben zufolge erstmals in größerem Umfang optisch gepumpte Magnetometer (OPMs) zur Messung der Hirnaktivität in der klinischen Forschung.
„Mit dem neuen Zentrum schaffen wir ideale Voraussetzungen für Durchbrüche in der biomedizinischen und klinischen Neuroforschung sowie bei der Entwicklung quantensensorischer Technologien“, sagte die Berliner Gesundheitssenatorin Dr. Ina Czyborra (SPD) anlässlich der Eröffnung.
OPM-MEG

Wenn Neuronen im Gehirn feuern, fließen winzige Ströme. Dabei entstehen Magnetfelder, die mithilfe spezieller Quantensensoren gemessen werden können. Das Verfahren nennt sich Magnetoenzephalographie (MEG). Es liefert wertvolle Informationen über die Funktionen des Gehirns: So lassen sich beispielsweise Hirnrhythmen auslesen, die an den Bewegungsstörungen bei Parkinson beteiligt sind oder bei Psychosen eine Rolle spielen.
Ein neuer Typ der Quantensensoren sind die OPMs. Sie ermöglichen es, die Hirnsignale bei Zimmertemperatur mit einer bisher unerreichten Kombination aus Echtzeit- und räumlich hochauflösender Funktionsmessung zu erfassen. Anders als die bislang üblichen Sensoren benötigen OPM-Sensoren keine starke Kühlung und können direkt am Kopf getragen werden – ein Vorteil insbesondere für Patientengruppen, die sich bewegen, wie Kinder oder Menschen mit Parkinson.
Gefördert von der DFG
Das neue Zentrum vereint die Expertise der PTB in der Quantensensorik und magnetischen Abschirmung mit der klinischen Forschung der Charité zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, so die Charité. Die PTB werde für die gesamte Messtechnik und deren Weiterentwicklung zuständig sein. Diese setze die Charité für Forschung im Bereich neurologischer Mechanismen und psychiatrischer Erkrankungen sowie für klinische Studien an größeren Patientengruppen ein.
„Die Neurowissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Charité, die herausragende Kompetenz unserer Wissenschaftler:innen spiegelt sich in Initiativen wie dem Exzellenzcluster NeuroCure, dem Sonderforschungsbereich Retune oder dem Einstein-Zentrum für Youth Mental Health“, sagt Prof. Joachim Spranger, Dekan der Charité. „Mit dem neuen OPM-MEG-Zentrum stärken wir die neurowissenschaftliche Forschung an der Charité und in Berlin weiter – immer mit dem Ziel, Erkrankungen wie Schizophrenie, Epilepsie, Autismus oder Parkinson besser zu verstehen und behandeln zu können.“ Dafür sei die Verbindung der klinischen Expertise der Charité mit der technologischen Kompetenz der PTB außerordentlich wertvoll.
Finanziert wurde das Herzstück des Zentrums – ein Ganzkopf-OPM-System mit 96 Sensoren – durch eine Förderung der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), teilte die Charité mit: Die Charité übernahm die Baukosten, die PTB stellt und betreibt die vom Bund finanzierte Abschirmkabine. Die schwachen magnetischen Signale des menschlichen Gehirns ließen sich nämlich nur messen, wenn man äußere Magnetfelder, etwa der Erde oder eines in der Nähe vorbeifahrenden ICEs, sorgsam abschirmt. In der neuen Kabine werde mit geringstmöglichem Materialaufwand ein höchstmöglicher Schirmfaktor erreicht.
Genutzt von Charité, PTB und Start-ups
Das neue Zentrum wird der Charité zufolge von Forschungsgruppen beider Einrichtungen genutzt werden. Die PTB-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler fokussieren sich auf Forschung in der Quantensensorik, die Umsetzung verlässlicher Quantenmetrologie und eine beschleunigte Technologieentwicklung. Charité-Forschende wollen beispielsweise epileptische Herde im Gehirn insbesondere von Kindern exakter identifizieren, um deren chirurgische Entfernung zu erleichtern. Auch die Entwicklung von modernen Gehirn-Computer-Schnittstellen, die unter anderem die Mobilität von Menschen mit Behinderungen verbessern könnten, soll in dem neuen Zentrum vorangebracht werden.
Das neue Zentrum ist ein erstes Beispiel für den zurzeit äußerst spannenden Übergang der Quantentechnologien in die Kommerzialisierung.

„Die PTB kann hier unter besten praxisnahen klinischen Bedingungen in einem Reallabor ihre Sensorsysteme weiterentwickeln und sie im Rahmen ihres Quantentechnologie-Kompetenzzentrums (QTZ) und des geplanten Berliner Transferzentrums für die Quantentechnologie (BT-Q) für eine industrielle Verwertung und Zulassung qualifizieren“, sagt Prof. Cornelia Denz, Präsidentin der PTB. Das neue Zentrum sei ein erstes Beispiel für den zurzeit äußerst spannenden Übergang der Quantentechnologien in die Kommerzialisierung.
Um den komplexen Technologietransfer im biomedizinischen Bereich der Quantentechnologie zu beschleunigen, seien Forschungskooperationen mit weiteren Partnerinstitutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft geplant. Nicht zuletzt würden junge Start-up-Firmen das Zentrum nutzen können und von Qualitätssicherung und Technologievalidierung profitieren. So trage das neue OPM-MEG-Zentrum zu den Zielen der Berliner Initiative Berlin Quantum und Berlin Unite bei, der jüngst gegründeten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Start-up Factory für Berlin-Brandenburg.







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