
Beleidigungen, Bedrohungen und sogar körperliche Gewalt gegen das Personal im Krankenhaus nehmen zu. Zuletzt sorgte Anfang des Jahres ein besonders heftiger Fall für Aufsehen: In einer Berliner Notaufnahme waren mehrere Männer auf einen Arzt und einen Pfleger losgegangen – wegen zu langer Wartezeit.
Kein Einzelfall, wie allein die Zahlen aus der Hauptstadt zeigen. Wie Berlins Innensenatorin Iris Spranger Ende Januar 2024 im Innenausschuss mitteilte, ist die Anzahl der Polizeieinsätze in und an Krankenhäusern in den vergangenen Jahren um 40 Prozent gestiegen. 194 Fälle von Körperverletzungen und Übergriffen registrierte die Berliner Polizei allein im vergangenen Jahr. Das waren deutlich mehr als 2022 mit 162 solcher Taten.
Zwischen Angst, Anspannung und Alkohol
Die Gründe, wieso es in Notaufnahmen zu Übergriffen kommt, sind durch vielfältige Faktoren bedingt, wie aus einem Forschungsbericht des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hervorgeht. Grundlage des Berichts sind mehrere wissenschaftliche Studien, die im Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) und im Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare) vom UKE durchgeführt wurden.
Demnach können Alkohol- und Drogenkonsum sowie psychiatrische, neurologische oder schmerzhafte Erkrankungen eine Rolle spielen. Aber auch Angst, Anspannung, Sorge und Ungewissheit können zu „sozial unerwünschtem Verhalten“ führen, heißt es. Lange Wartezeiten sowie Abend- und Nachtstunden seien weitere Risikofaktoren.
Fast jeder Beschäftigte hat schon Gewalt erlebt
Wie weiter aus dem Bericht hervorgeht, erlebten in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung 97 Prozent der Beschäftigten in Notaufnahmen verbale Gewalt, ausgehend von Patienten, 94 Prozent erlebten Gewalt, die von Begleitpersonen ausging. Ähnlich hoch ist die körperliche Gewalt, die 87 Prozent der Beschäftigten ausgehend von Patienten erlebten (ausgehend von Angehörigen: 64 Prozent). Fast die Hälfte der weiblichen Pflegekräfte gab zudem an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben.
Es stellt sich die drängende Frage: Wie lassen sich derartige Vorfälle verhindern? Einen Überblick dazu gibt das sogenannte TOP-Prinzip. Dieses teilt mögliche Gegenmaßnahmen in drei Gruppen ein: Technische Maßnahmen, Organisatorische Maßnahmen oder Personenbezogene Maßnahmen.
Null Toleranz bei Agaplesion
Agaplesion startete vor Kurzem beispielsweise die Initiative „AGA gegen Gewalt – Hinschauen und Handeln“. Sie ist konzernweit und soll alle Menschen bei Agaplesion für die Problematik sensibilisieren und Handlungsmöglichkeiten eröffnen. „Wir weisen bereits bei der Einstellung auf die Null-Toleranz-Haltung bei Agaplesion gegenüber jeglicher Form von Gewalt hin“, erklärt Constance von Struensee, Agaplesion-Personalvorständin. Den Mitarbeitenden stehen Führungskräfte, Seelsorger, Mitarbeitenden-Vertetung sowie Personalleitungen als vertrauliche Ansprechpersonen zur Verfügung. Es gibt digitale und anonymisierte Meldewege als geschützte und diskrete Plattformen.
Wir weisen bereits bei der Einstellung auf die Null-Toleranz-Haltung bei Agaplesion gegenüber jeglicher Form von Gewalt hin.
Zudem hat das Projektteam „AGA gegen Gewalt“ gemeinsam mit dem Vorstand und Mitarbeitenden unterschiedlichster Berufsgruppen Leitlinien und Standards sowie ein Programm an Maßnahmen zu Prävention, Intervention und Aufarbeitung erarbeitet. Es umfasst alle Arten von Gewalt und adressiert sämtliche Personengruppen, nicht nur Mitarbeitende, sondern beispielsweise auch Gäste oder Angehörige. Ziel sei, dem Thema eine stärkere Öffentlichkeit zu verleihen und allen Menschen bei Agaplesion die Mittel anzubieten, um Gewalt „entschlossen und lösungsorientiert begegnen zu können“, betont Dr. Franziska Bechtel, Referentin für diakonische Bildung bei Agaplesion und Koordinatorin des „AGA gegen Gewalt“-Projektteams.
Präventionsnetzwerk #sicherimdienst
In Nordrhein-Westfalen gibt es das übergreifende Präventionsnetzwerk #sicherimdienst. Es ist ein Baustein der NRW-Initiative für „mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“. Das Netzwerk hat mehr als 1000 Mitglieder aus verschiedenen Behörden, Instituten, Verbänden oder Organisationen aus den Bereichen des Öffentlichen Dienstes. Als erstes Krankenhaus trat im November 2022 das Klinikum Leverkusen dem Netzwerk bei.
Prof. Dr. Marc N. Busche, Chefarzt der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie am Klinikum Leverkusen, nahm gemeinsam mit Jessica Odenthal, Stabsstelle für Betriebliches Gesundheitsmanagement, am berufsspezifischen Interventions- und Sicherheitstraining (BIUS) teil. Ein Zertifikat befähigt die beiden nun, die Schulungen zu Gewaltprävention für andere Unternehmen im Öffentlichen Dienst anzubieten.
Abstand einhalten und die Hände vor dem Körper haben sind die wichtigsten Basics.
Das Problem in den Ambulanzen bestätigte auch Busche. Die Wartezeiten sind mitunter lang, der Geduldsfaden ist kurz. „Patienten kommen manchmal wegen einer Lappalie in die Notaufnahme, das ist grundsätzlich ein Problem“, sagte Busche im vergangenen Sommer im Gespräch mit kma. Wenn dann schwer erkrankte Patienten früher behandelt werden, passt das einigen nicht – während andere geduldig warten.
Schulungen können Mitarbeitende unterstützen
In den Schulungen lernen die Mitarbeitenden, mit diesen Situationen umzugehen. „Abstand einhalten und die Hände vor dem Körper haben sind die wichtigsten Basics“, so der Mediziner. Redet sich eine Person in Rage, sei es wichtig, die Hände beschwichtigend vor dem Körper zu halten – gleichzeitig dient das natürlich auch als Schutz. Im Idealfall kann man die Situation verlassen. Weiterer Punkt: Öffentlichkeit erzeugen.
Habe ich nur drei Techniken und drei Strategien, womit ich 70 Prozent der Vorfälle abdecke, habe ich unendlich viel gewonnen.
Im Kern wird in der Schulung das Nötigste vermittelt. „Das BIUS-Konzept ist, dass es simpel ist und auf wenige Knotenpunkte setzt“, erklärt Jessica Odenthal. Zwar gibt es etliche Techniken und Strategien, um solchen Situationen entgegenzuwirken, lernt man aber alle, ist es kaum möglich, im entscheidenden Moment die richtige auszuwählen. „Habe ich nur drei Techniken und drei Strategien, womit ich 70 Prozent der Vorfälle abdecke, habe ich unendlich viel gewonnen“, beschreibt sie.








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