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Krankenhaus 2.0„So stationär wie nötig, so ambulant wie möglich“

Ambulantisierung ja, aber wie? Prof. Christian Wallwiener und Markus Stobbe von WMC Healthcare klären im Gespräch, wo Potenziale liegen und wie sie ausgeschöpft werden können. Und welche Rolle dabei die MVZ spielen.

Ambulante Versorgung
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Symbolfoto

Es ist eines der Themen, das den Krankenhäusern aktuell unter den Nägeln brennt: Intersektoralität muss endlich von der grauen Theorie zur gelebten Wirklichkeit werden. Der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser ist groß. Spätestens mit den anstehenden Reformen wird die Erbringung ambulanter Leistungen vom stiefmütterlich behandelten Nebengeschäft zu einer wichtigen Säule der Versorgung und ein relevantes Geschäftsmodell werden. Prof. Christian Wallwiener, Geschäftsführer bei WMC Healthcare, spricht mit Markus Stobbe, einem Experten für ambulante Medizin, darüber, wie die Umsetzung ambulanter Strategien im Krankenhaus gelingen kann.

Wallwiener: Du bist noch relativ neu bei im WMC-Team und wir sind sehr froh, mit dir einen ausgewiesenen Experten für die Weiterentwicklung und das Management ambulanter Versorgung durch Krankenhäuser gewonnen zu haben. Wie passen deine Erfahrungen in unser Portfolio und welche Kernkompetenzen bringst du mit?

Stobbe: Ich bringe mich vor allem bei der operativen Umsetzung ambulanter Strategien ein. Ich helfe dabei, die gewünschten ambulanten Konzepte, die momentan Land aus Land ein, nahezu jedem Krankenhaus ins Medizinkonzept geschrieben werden, endlich wirkungsvoll auf die Straße zu bringen. Dabei nutze ich meine Erfahrung: Ich bin vor mehr als 20 Jahren im Gesundheitsbereich gestartet und habe bereits 2008 vom stationären in den ambulanten Sektor gewechselt. Das war also zu einer Zeit, als der Trend zur Ambulantisierung noch nicht in aller Munde war.

Markus Stobbe ist seit mehr als 25 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Dabei hat er sich, nach einigen Stationen im stationären Bereich, vor allem auf den ambulanten Sektor konzentriert. So war er z.B. für einen der größten privaten Krankenhausträger Deutschlands als Geschäftsführer für den Ausbau der ambulanten Medizin in Hamburg und Teilen Schleswig-Holsteins verantwortlich.

Ende 2019 gründete er das Beratungsunternehmen Formedic. Seit Juni 2024 ist er bei WMC Healthcare für den Bereich Ambulante Medizin verantwortlich.

Wallwiener: Gefühlt reden wir seit Jahren über Ambulantisierung. Trotzdem ist es lange ein Buzzword geblieben. Können sich Krankenhäuser noch länger leisten, den Kopf in den Sand zu stecken?

Stobbe: Nicht, wenn sie mittelfristig überleben wollen. Bis zu 20 Prozent der Fälle werden in den nächsten zehn Jahren von der stationären in die ambulante Leistungserbringung verlagert werden müssen. Gesetzgeber und Kostenträger werden das aus volkwirtschaftlicher Sicht forcieren. Denn es ist nicht vermittelbar, dass Leistungen, die überall auf der Welt längst ambulant erbracht, in Deutschland aufgrund der Vergütungsfehlanreize noch stationär durchgeführt werden. Außerdem– und das ist aus meiner Sicht der viel entscheidendere Punkt – werden wir in wenigen Jahren aufgrund einer immer älter werdenden Bevölkerung und zeitgleichem Fachkräftemangel schlichtweg die stationären Bettenkapazitäten dafür nicht mehr haben.

Wallwiener: Der Fachkräftemangel und das Ärztesterben, gerade auf dem Land, werden sich anders gar nicht lösen lassen. Innerhalb der kommenden Dekade werden uns 50 000 Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung wegbrechen, u.a. auch weil die Betreiber von Facharztpraxen in Rente gehen und keine Nachfolger finden. Trotz dieser Fakten ist in den Kliniken bisher wenig passiert. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass sich viele Häuser bei der Umsetzung einer ambulanten Strategie so schwertun?

Die ambulante Medizin ist deutlich straffer getaktet. Hier muss präzise und effizient gearbeitet werden.

Stobbe: Der Fachkräftemangel wird unweigerlich dazu führen, dass die Krankenhäuser sich in diese Versorgungslücke hineinentwickeln müssen. Nur so kann man die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung absichern. Aber es ist nicht einfach für Kliniken, gewinnbringend am ambulanten Geschäft teilzunehmen. Ein entscheidender Aspekt ist hierbei sicher die noch immer unzureichende Honorierung ambulanter Leistungen. Fast noch wichtiger ist aber, dass die ambulante Medizin im Rahmen einer vertrags- und privatärztlichen Niederlassung – verglichen mit dem Klinikalltag – in der Regel deutlich straffer getaktet ist. Es muss klar sein, dass hier sehr präzise und effizient gearbeitet werden muss. Das funktioniert aber weder mit einer hochkomplexen Infrastruktur, die einen schnellen Patiententurnover verhindert, noch durch klassische, fragmentierte Krankenhausprozesse, die häufig wenig stabil sind und einen erheblichen Personaleinsatz erfordern.

Wallwiener: Haben die Hybrid-DRG denn jetzt dazu geführt, dass das ambulante Geschäft für Kliniken attraktiver wird oder ist es sogar umgekehrt: Es gibt im Schnitt ja bei diesen DRG deutlich weniger Geld als bei der zuvor erfolgten stationären Leistungserbringung.

Stobbe: Das stimmt und die Rechnung geht nur dann auf, wenn diese Leistung auch in ambulanten Strukturen erbracht wird. Denn in einem stationären Setting sind die Kosten viel höher. Und damit meine ich nicht allein die Infrastruktur. Häufig sind z.B. bereits ambulante OP-Zentren an den Kliniken vorhanden. Räumlich gesehen passt das. Viel wichtiger ist es jetzt, das entsprechende Personal dafür zu gewinnen. Denn die ambulante und stationäre Versorgung sind wirklich zwei völlig unterschiedliche Welten. Die Denk- und Arbeitsweise unterscheidet sich stark. Wer als niedergelassener Arzt oder Ärztin die Verantwortung für eine Praxis trägt, braucht Unternehmergeist. Wirtschaftliches Denken ist ebenso wichtig wie die Leidenschaft für die Patientenversorgung. Denn wenn die Zahlen nicht stimmen, muss die Praxis schließen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Job. Wirtschaftlichkeit und gute Patientenversorgung gehen also ganz selbstverständlich Hand in Hand. Natürlich hat es auch in den Kliniken in den letzten Jahren einen Wandel gegeben zu mehr Effizienz. Klar ist aber auch, dass stationäre Versorger von den Niedergelassenen in dieser Hinsicht noch einiges lernen können.

Stationäre Versorger können von Niedergelassenen einiges lernen.

Wallwiener: Kann es gelingen, die Mitarbeitenden aus den Kliniken – aus Ärzteschaft, Pflege und der Verwaltung – für ambulante Medizin so zu begeistern, dass sie diesen besonderen Spirit spüren?

Stobbe: Im Einzelfall ist das sicher möglich. Aber es ist zweifelsohne von großer Bedeutung, ambulantes Personal für die MVZ von Kliniken zu gewinnen. Eine erfahrene Praxismanagerin z.B. ist ein absoluter Gewinn, da man ihr neue Herausforderungen im MVZ anbieten kann. Denn auch fachspezifische Belange müssen berücksichtigt werden. So ist z.B. die Abrechnung im stationären und ambulanten Bereich so unterschiedlich, dass man dafür erfahrene Fachleute braucht. Das gleiche gilt fürs Controlling oder das Personalmanagement. Wer versucht, das ambulante Geschäft einfach in den administrativen Krankenhausstrukturen mitlaufen zu lassen, wird keinen Erfolg haben.

Wallwiener: Eines deiner Themen ist die Verzahnung zwischen ambulanten und stationären Strukturen. Welche Rolle spielen dabei die MVZ, die die meisten Krankenhäuser ja bereits seit einigen Jahren zusätzlich zum stationären Kerngeschäft betreiben?

Stobbe: Nahezu jedes Krankenhaus hat bereits eine ambulante Struktur. Diese war bisher aber immer auf die Zuweisung der Patienten ins Krankenhaus ausgerichtet: Man akquirierte so Patienten für die Klinik; die Wirtschaftlichkeit der ambulanten Strukturen wurde durch stationäre Erlöse erzielt. Das muss sich zwingend ändern: Wenn die ambulante Medizin in den Kliniken nicht länger ein Stiefkind ist, und beide Sektoren sich als gleichwertige Partner sehen und sich auch so aufstellen, dann stecken in der Ambulantisierung enorme, auch monetäre, Chancen. Das reduzierte stationäre Leistungsgeschehen wird zumindest in absehbarer Zeit die Krankenhausvorhaltekosten nicht decken können. Es kann also eine Rationale für mehr ambulante Versorgung durch Krankenhäuser sein, diese wichtige Erlösquelle mit zu nutzen, um das Krankenhaus als Versorgungsanker der Region zu finanzieren. Ambulante Versorgung wird dann vom wackligen Spielbein zum Standbein des Geschäftsmodells „Krankenhaus 2.0“.

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Wallwiener: Inwiefern zahlt es auch auf die Arbeitgebermarke ein, wenn ein Krankenhaus ambulante und stationäre Versorgung eng verzahnt?

Stobbe: Es ist fast unausweichlich, wenn man für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiv sein will. Das medizinische fachliche Kontinuum ist auch im Sinne der Aus- und Weiterbildung nicht so ohne weiteres aufzuteilen. Wenn ein Haus möglichst viel der Fach- und Weiterbildung eines Faches aus einer Hand abbilden kann, kann es passende Arbeitsmodelle für unterschiedliche Lebensphasen anbieten. Ich denke da an Teilzeit, aber auch an eine ambulante Tätigkeit mit Einbindung in stationäre Hintergrunddienstmodelle und vieles mehr.

Wallwiener: Was ist der Vorteil für die Patientinnen und Patienten, wenn die Sektorengrenzen schmelzen?

Stobbe: Die Zukunft der Gesundheitsversorgung liegt in der regionalen und gestuften Versorgung. Das ist das Zielbild in vielen Gesundheitsregionen und auch einer der Ansätze der geplanten Krankenhausreform. Dabei sind die ambulante Versorgung und auch die entsprechende Vor- bzw. Nachsorge ein Kernelement. Bieten Krankenhäuser diese Leistungen mit an, profitieren die Patienten. Denn dann wird der Patientenpfad nahtlos, und die Versorgung erfolgt so stationär wie nötig, aber so ambulant wie möglich. Und zeigt sich im Behandlungsverlauf, dass doch ein Klinikaufenthalt notwendig ist, dann landet der Patient auch sicher dort, wo es für ihn am sinnvollsten ist. Alle Zahnräder greifen ineinander und die Patientensteuerung läuft optimal.

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