
„Mein Job hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich möchte einfach nur zurück in den Alltag vor Long Covid“, gibt eine Befragte der Umfrage „Long Covid im Arbeitsleben“ an, die durch das Projekt Rehadat am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Kooperation mit Long Covid Deutschland (LCD) durchgeführt wurde. So wie ihr geht es vielen. Umso erschreckender ist es, dass etwas mehr als die Hälfte der Befragten zum Zeitpunkt der Erhebung im Jahr 2022 aufgrund von Long Covid arbeitsunfähig war. Ein nicht zu unterschätzendes Problem versteckt sich also hinter der Krankheit, vor dem auch die Arbeitgebenden nicht die Augen verschließen können.
Dass häufig weder Vorgesetzte noch Personalabteilung das Thema auf dem Schirm haben, macht es Betroffenen – oft hochqualifizierte Arbeitnehmende und Leistungsträger – doppelt schwer. Diese dürfen allein vor dem Hintergrund des Fachkraftmangels – gerade im pflegerischen und medizinischen Bereich – nicht für den Arbeitsmarkt verloren gehen. Hier gilt es, dass beide Seiten Schritte aufeinander zu machen.
Zeit, Verständnis und Flexibilität
Erste Erfahrungen zeigen, dass der Umgang mit an Long Covid erkrankten Arbeitnehmenden vor allem eins erfordert: Zeit, Verständnis und Flexibilität seitens des Unternehmens. Denn eigentlich können viele Mitarbeitende mit Long-Covid-Symptomen ihrem Job auch nach der Erkrankung nachgehen – sie brauchen aber in der Regel, zumindest für einen längeren Zeitraum, individuelle Arbeitsanpassungen. Auch das macht die Rehadat-Umfrage deutlich: 94 Prozent der Befragten, die zum Erhebungszeitpunkt gearbeitet haben, fühlten sich bei ihren Tätigkeiten beeinträchtigt. Die meisten, nämlich 81 Prozent, gaben an, nicht mehr so lange konzentriert arbeiten zu können. Weniger Arbeitsvolumen oder Schwierigkeiten bei komplexen Aufgabenstellungen sind ebenfalls ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, welche Beeinträchtigungen nach der Covid-Erkrankung zurückgeblieben sind.
Erschreckende Auswirkungen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von 36 Millionen Menschen in Europa aus, die an Long Covid leiden. In Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitenden ist daher statistisch gesehen mindestens eine Person an Long Covid erkrankt. Eine Hochrechnung des Frankfurter Ökonomen Afschin Gandjour zeigt, dass der Anteil derjenigen, die sich aufgrund von Long Covid nicht mehr oder nicht mehr voll am Arbeitsmarkt beteiligen können, bei 0,4 Prozent liegt. Long Covid ist also ein ernstzunehmendes medizinisches Problem, das auch soziale und ökonomische Auswirkungen hat. Nicht nur das Betroffenen-Netzwerk LCD ist sich daher sicher, dass Long Covid das Potenzial hat, das Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland – generationenübergreifend – erheblich zu belasten.
Dr. Alexander Hearing vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung setzt die indirekten Kosten pro Long-Covid-betroffenem Mitarbeitenden für die Wirtschaft auf 22 000 Euro an. Die Universität Frankfurt bezifferte den volkswirtschaftlichen Schaden von Long Covid für 2021 – verbunden mit temporärer Arbeitsunfähigkeit und Behandlung – gar auf ungefähr 5,7 Milliarden Euro in Deutschland. Gandjour kam in einer Studie zu dem Schluss, dass Long Covid allein in 2021 zu einem Produktionsverlust von geschätzten 3,4 Milliarden Euro geführt habe.
Die Motivation und auch die generellen Kompetenzen Ihres Mitarbeitenden sind unverändert.
Wenn man auf die Zahlen blickt, „ist von Auswirkungen durch Long Covid auf die Arbeitswelt auszugehen“, so Mareike Decker, Teamleiterin bei Rehadat am IW und Mitautorin der Studie. Die Zahlen zeigen: Long Covid betrifft viele und stellt auch Arbeitgebende vor Herausforderungen. Dass nur 40 Prozent der Befragten demnach Unterstützung seitens ihres Arbeitgebers bekommen haben, liegt teils auch an der Unwissenheit ob solcher Angebote. Decker verweist auf Möglichkeiten der Unterstützung für Long-Covid-Betroffene im Arbeitskontext, die im Rehadat-Leitfaden „Von wegen nur ein Schnupfen“ praxisnah dargestellt werden.
Tipps für Arbeitgeber

Stay in touch:
Versuchen Sie, gerade bei längerer Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeitenden, mit diesem in Kontakt zu bleiben – sofern dies auch seitens des Mitarbeitenden gewünscht ist. Schaffen Sie eine vertrauensvolle Basis. So ist frühzeitig eine Perspektive möglich und Sie können gemeinsam über den Verlauf der Krankheit, die individuelle Symptomatik sowie die Rückkehrmöglichkeiten sprechen. Nehmen Sie den betroffenen Mitarbeitenden und seine Erkrankung ernst und suchen Sie aktiv mit ihm nach individuellen Unterstützungsmöglichkeiten.
Nicht überfordern:
Mit Long-Covid-Symptomen ist es unwahrscheinlich, dass die betroffenen Arbeitnehmenden gleich wieder voll arbeiten. Es ist wichtig, dass sie unter ihrer Belastungsgrenze bleiben! Geben Sie sich und Ihren Arbeitnehmenden Zeit, sich – gerade nach längerer Arbeitsunfähigkeit – neu zu orientieren und an die Arbeitsbelastung langsam heranzutasten. Regelmäßige Reflexionsrunden zeigen, ob hier Anpassungsbedarf besteht.
Nicht unterfordern:
Die Motivation und auch die generellen Kompetenzen Ihres Mitarbeitenden sind unverändert. Die Leistung kann jedoch nicht mehr beliebig „abgerufen“ werden. Es braucht meist in einem ersten Schritt eine flexiblere Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung. Um diese zu finden, ist das persönliche Gespräch und der transparente Umgang mit der Krankheit wichtig.
Lösungen anbieten:
Gemeinsam können verschiedene Dinge wie flexible Pausengestaltung oder auch individuelle Arbeitszeitregelungen ausprobiert und nach einer Testphase ausgewertet werden. Auch das Schnüren kleinerer Aufgabenpakete kann hilfreich sein. Das ist besonders für diejenigen wichtig, bei denen die Symptome in Schüben immer unterschiedlich auftreten oder die an Schlafstörungen leiden. So kann sich der Arbeitsrhythmus im Laufe des Tages verschieben und auch außerhalb der
regulären Arbeitszeit liegen.
Auf Warnsignale achten:
Auch bei Long Covid gilt – wie bei allen anderen Erkrankungen – darauf zu achten, dass die Mitarbeitenden nicht zu viel arbeiten. Sie haben eine Fürsorgepflicht gegenüber Ihrem Mitarbeitenden und sollten daher auch ein Auge auf seine Belastungsgrenze haben: Ist er müde, weniger motiviert, sinkt sein Leistungsniveau oder bringt er sich weniger als üblich ins Team ein? Dann sprechen Sie dies an! Hier sollte präventiv agiert werden. Auch über Unverständnis gegenüber dem Betroffenen oder der Symptome innerhalb der Belegschaft muss offen gesprochen werden.
Unterstützung suchen:
Holen Sie beispielsweise auch die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt mit ins Boot oder nutzen Sie einen externen arbeitsmedizinischen Dienst. Sie haben ein eigenes Betriebliches Eingliederungsmanagement? Dann ziehen Sie auch diese Personen frühzeitig hinzu. Das Gleiche gilt für die Schwerbehindertenvertretung, den Personal- oder Betriebsrat. Zudem gibt es Fördermöglichkeiten für die berufliche Teilhabe von Long-Covid-betroffenen Mitarbeitenden. Informieren Sie sich!
Sie wollen mehr dazu wissen? Dann lesen Sie hier weiter: Rehadat-Leitfaden „Von wegen nur ein Schnupfen! Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Long Covid gestalten lässt.“
Belastungsgrenzen berücksichtigen
Oft fehlt es an Verständnis für die Erkrankung. Sandra, eine an Long Covid erkrankte und in Teilzeit arbeitende Ärztin, erklärt ihre reduzierte Energie und die Belastungsintoleranz anschaulich mit der Löffeltheorie. „Du hast pro Tag acht Löffel zur Verfügung. Aufstehen, Duschen und Essen machen kosten zwei Löffel, Arbeiten kostet sechs Löffel. Alle Löffel sind aufgebraucht, danach muss ich mich ausruhen und liegen“. Liegen bedeute komplette Reizabschirmung, kein Handy, kein Lesen – nur Liegen mit Noise-Cancelling-Kopfhörern und Augenmaske.
Im Crash verschlechtern sich alle Symptome – über Tage und manchmal Monate.
„Verbrauche ich mehr Löffel als ich habe, bekomme ich einen Crash“, erklärt Sandra. „Im Crash verschlechtern sich alle Symptome – über Tage und manchmal Monate“. Daher ist es wichtig, ein individuelles Energiemanagement – Pacing genannt – anzuwenden und die Symptome gut einordnen und managen zu können. Sandra hat Pacing mühsam erlernt und schafft es in der Regel, damit eine Verschlechterung der Symptome zu vermeiden und ihren Alltag an die neue Situation anzupassen. Dennoch: Auch mit Pacing steht ihr nur eine begrenzte Anzahl an Tätigkeiten innerhalb eines Tages zur Verfügung.

Die Schwierigkeit von Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen ist laut Decker, „dass in diesem Bereich oft vergleichsweise wenig Flexibilität bezüglich des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit möglich ist. Schichtdienste lassen häufig wenig Abweichungen zu, Homeoffice ist in vielen Arbeitsbereichen nicht vorgesehen. Doch auch hier können Lösungen gefunden werden, damit Mitarbeitende mit Long Covid im Job verbleiben.“ Decker erklärt, dass es gerade bei Long Covid Verständnis und Flexibilität seitens der Arbeitgeber braucht. Hier sind einerseits Sensibilisierung für das Thema, andererseits aber auch Aufklärung und Transparenz notwendig – auf allen Seiten.
Arbeitgeber sollten offen sein, die Arbeitszeit nach unten anzupassen, wenn man gemeinsam merkt, dass die Leistungsfähigkeit des Mitarbeitenden noch nicht gegeben ist.
„Die Arbeitgeber sind verpflichtet, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Die stufenweise Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell kann eine Lösung sein, Long-Covid-betroffene Mitarbeitende wieder ins Berufsleben zu integrieren. Es braucht aber in der Regel eine andere Herangehensweise und vor allem andere Zeitfenster als normalerweise üblich. Hier sollten Arbeitgeber so offen sein, die Arbeitszeit auch nach unten anzupassen, wenn man gemeinsam merkt, dass die Leistungsfähigkeit des Mitarbeitenden momentan eben einfach noch nicht so gegeben ist“, erklärt die Expertin. Sie verweist darauf, dass es gerade bei der Wiedereingliederung von Long-Covid-Erkrankten in die Arbeitswelt nicht mit einem BEM-Gespräch getan ist, sondern das BEM als nachhaltig wirkender und längerer Prozess zu verstehen sei. Unterstützen Arbeitgebende flexibel mit den richtigen Angeboten, kann dies für beide Seiten eine lohnende Investition sein.
Betroffene ernst nehmen und flexibel sein
Vor allem die Flexibilisierung der Arbeits- und Pausenzeiten oder der Wechsel der Tätigkeit ins Homeoffice würden dabei helfen, Long-Covid-erkrankte Mitarbeitende stärkenorientiert wieder einzusetzen, das zeige auch die Umfrage. Daher rät Decker, gemeinsam individuelle Lösungen zu finden.
Wie wichtig es ist, mit dem Arbeitgeber gemeinsam die stufenweise Wiedereingliederung ganz individuell zu planen, weiß Dr. Claudia Ellert aus eigener Erfahrung. Auch sie ist Ärztin. Ellert hat bis zu ihrer Corona-Erkrankung im November 2020 als Leitende Oberärztin in der Gefäßchirurgie gearbeitet und kennt die Fallstricke der Wiedereingliederung. „Ich hatte glücklicherweise einen sehr verständnisvollen Chef, mit dem ich offen und transparent meine Probleme besprechen konnte. Wir haben dann das Arbeitspensum sehr langsam über einen Zeitraum von sechs Monaten auf am Ende 80 Prozent gesteigert.“ Zudem hatte sie das Glück, andere Tätigkeiten sowie zwei Tage Homeoffice verhandeln zu können, denn „ich konnte aufgrund der anhaltenden Probleme nicht mehr lange stehen und hochkonzentrierte Operationen durchführen, wie diese in der Gefäßchirurgie an der Tagesordnung sind.“
Sie erinnert sich, dass sie über mehrere Jahre, bis zum Sommer 2023, ein relevantes kognitives Problem hatte und sich beispielsweise in Sprechstunden nicht lange auf einen Gesprächspartner konzentrieren konnte. Bis heute kann die ehemalige Triathletin keinen Sport machen. „Wenn ich mich moderat bewege und innerhalb meiner Grenzen bleibe, geht es“, erklärt sie die Einschränkungen auch im privaten Bereich.
Kernsymptome von Long Covid
Nicht immer treten alle Symptome bei allen Betroffenen auf.
- Dauerhaftes Erschöpfungsgefühl (Fatigue)
- Konzentrations- und / oder Gedächtnisprobleme bzw. Sprach- oder Wortfindungsstörungen
- Belastungsintoleranz
- PEM (Post-Exertionelle Malaise)
- Kurzatmigkeit
- Muskel-, Kopf- und / oder Gliederschmerzen
- Schlafstörungen und Müdigkeit
- Engegefühl/Schmerzen in der Brust
- Schwindel
- Depression/Angstzustände
- Verlust / Veränderung von Geschmacks- und/oder Geruchssinn
Als Folge der Infektion kann auch die neuroimmunologische Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis /Chronisches-Fatigue-Syndrom (kurz: ME/CFS) auftreten. Die Zahl der Betroffenen hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt und liegt momentan bei etwa 500 000. Diese Gruppe ist besonders gefährdet, in die Arbeitsunfähigkeit abzurutschen – das zeigt auch die Rehadat-Umfrage.
Ellert ist in der glücklichen Situation, dass ihr ehemaliger Chef alles getan hat, um ihre Fachexpertise am Klinikum zu halten. So haben die beiden alle vier Wochen überprüft, ob der Arbeitsumfang erhöht werden kann. „Es ist extrem wichtig, dass sich das Arbeitsumfeld an die Leistungsfähigkeit der Long-Covid-Betroffenen anpasst. Nur so können Betroffene ihre Fähigkeiten gezielt einbringen, ohne eine Überlastung zu riskieren.“
Ich hatte glücklicherweise einen sehr verständnisvollen Chef, mit dem ich offen und transparent meine Probleme besprechen konnte.
Sie vergleicht den Genesungsvorgang bei Long Covid mit dem eines Beinbruchs: „Sie sind nicht nach vier Wochen wieder voll da und auf der Baseline Ihrer vorherigen Belastungsgrenze. Long Covid führt zu chronischen Einschränkungen und man muss individuell schauen, was mit diesen Einschränkungen möglich ist. Das ist ein flexibler und individueller Prozess, der ein hohes Maß an Kommunikation und Rücksprache zwischen den Betroffenen und den Arbeitgebenden erfordert. Ich hatte hier sehr viel Glück“, führt die Medizinerin aus.
Dies sogar in doppelter Hinsicht, denn nach einem Jahr nicht-chirurgischer Tätigkeit in ihrem früheren Job, war sie frustriert, weil die Schreibtischarbeit sie nicht erfüllt hat. „Da fiel mir ein Angebot vor die Füße: Ich habe als angestellte allgemeinmedizinische Ärztin in einem Medizinischen Versorgungszentrum begonnen. Mittlerweile kann ich sogar wieder voll arbeiten und mache meinen Facharzt in Allgemeinmedizin. Ich merke, dass ich mittlerweile das mache, was mich erfüllt.“








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