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InterviewWas macht Deeskalation im Klinikum aus, Herr Lautenschlag?

Danièl Lautenschlag betreut hauptsächlich Kunden aus dem Gesundheitswesen in Sachen Deeskalations- und Verteidigungstechniken. Was bei der Arbeit mit Mitarbeitenden der Branche besonders ist, erzählt er im Interview mit kma.

Daniel Lautenschlag
Christina Weineich
Daniel Lautenschlag ist Gründer und Geschäftsführer von WortGefecht.

Weil verbale und körperliche Übergriffe auf ihre Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte immer häufiger werden, setzen die DRK Kliniken Berlin auf die Unterstützung eines Deeskalationsexperten. Im Gespräch mit kma erläutert Danièl Lautenschlag, wieso Schmerz größeres Übel verhindern kann, warum ein würdevoller Umgang für alle Beteiligten wichtig ist und Sicherheitsdienste kein Allheilmittel im Kampf gegen Gewalt sind.

kma: Das Training wirkt teilweise ziemlich brutal. Warum braucht es für Krankenhausmitarbeitende solch ein körperliches Deeskalationstraining?

Lautenschlag: Ja, es wirkt schon sehr martialisch. Aber die Situationen, die wir hier durchgehen, sind auch sehr drastisch. Zum Beispiel trainieren wir, einen Angreifer, der eine Kollegin oder einen Kollegen würgt, von ihr wegzuziehen. Tatsächlich kommt das Würgen relativ häufig vor und es ist auch sehr geschlechterspezifisch: Männern passiert das so gut wie nie, Frauen sind hingegen in dramatischer Häufigkeit betroffen. Ein Problem dabei ist, dass beim Würgen Kehlkopf und Zungenbein mit relativ wenig Kraft schnell verletzt werden können. Das heißt, bei einem solchen Angriff gibt es nicht viel Spielraum. Man muss schnell eingreifen und dann muss das auch sofort funktionieren.

Zur Person

Danièl Lautenschlag ist Gründer und Geschäftsführer von Wortgefecht, einem Berliner Unternehmen für Deeskalationsmanagement. Er ist Selbstverteidigungsausbilder, Kampfsporttrainer und zertifizierter Sicherheits- und Personenschützer im Bereich Privat- und Geschäftspersonen. In seinen körperlichen Deeskalationstrainings legt er einen Schwerpunkt darauf, physische Auseinandersetzungen ganzheitlich zu betrachten – weil für ihn die Vermeidung einer solchen Situation trotz körperlichen Trainings an erster Stelle steht. Seit der Corona-Pandemie steigt die Nachfrage nach Selbstschutz-Trainings im Gesundheitswesen, mittlerweile macht diese Branche einen Großteil seiner Klientel aus.

Sie bilden verschiedene Branchen in Deeskalationstechniken aus. Mittlerweile macht das Gesundheitswesen einen Großteil ihrer Klientel aus. Hatten Sie im Vorfeld Brancheneinblicke gesammelt, um sich besser darauf einstellen zu können?

Mein Vater ist Chefarzt, mein Bruder ist Geschäftsführer diverser Kliniken. Meine Schwester und mein Bruder sind ebenfalls Ärzte – die Branche ist für mich also nicht neu. In puncto fachlicher Herangehensweise musste ich mich natürlich einarbeiten. Das fing damit an, dass jemand aus einer Kinder- und Jugendpsychiatrie auf mich zukam und gefragt hat, ob ich nicht Wege zeigen könnte, um schwierige Situationen mit Kindern und Jugendlichen anders als bisher aufzulösen.

Mittlerweile sind 90 bis 95 Prozent meiner Kunden tatsächlich Krankenhäuser.

Dann kam die erste Zentrale Notaufnahme und so ging es immer weiter. Dadurch haben wir viel Erfahrungen gesammelt, auch in Bezug auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen verschiedener Abteilungen wie der ITS oder ZNA. Mittlerweile sind 90 bis 95 Prozent meiner Kunden tatsächlich Krankenhäuser.

kma war live beim Training dabei. Alles weitere zu diesem Thema lesen Sie im Artikel: So schützen die DRK Kliniken Berlin ihre Mitarbeitenden.

Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise beim Training für die Zielgruppe Krankenhaus?

Die Sicht der von Gewalt betroffenen Personen in diesem Bereich ist eine ganz andere als von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sonstiger Branchen. Die größte Hürde ist meist: Viele sind Pflegekräfte und die gucken pflegerisch in diese Welt. Das heißt, sie scheuen sich ein bisschen, anderen auch einmal wehzutun. Aber wenn wir jemandem Schmerzen zufügen, tun wir das nur, um größeres Übel zu vermeiden. Im Gesundheitswesen ist es auch so, dass der Verhältnismäßigkeit noch einmal eine größere Bedeutung zukommt als in anderen Branchen.

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Warum?

In anderen Branchen kann man durchaus härter eingreifen und wenn einmal ein blaues Auge dabei entsteht, schreit da niemand. Im Krankenhaus geht das natürlich nicht, hier muss bei den Deeskalationsmaßnahmen möglichst wenig passieren. Und es ist hier noch einmal besonders wichtig, dass man einen sehr würdevollen Umgang pflegt, und zwar für beide Seiten – selbst, wenn es sich um einen sehr extremen Moment handelt.

Es macht etwas mit den Pflegekräften und Ärzten, die in so einer Situation eingreifen.

Es macht etwas mit den Pflegekräften und Ärzten, die in so einer Situation eingreifen. Ich mache so etwas schon mein Leben lang, meine Klienten sind das aber nicht gewohnt. Und da setzt das Training an: Wenn es die Dinge erfordern, sollen sie besser damit zurechtkommen und wissen, dass es okay ist, was sie in dieser Situation machen müssen.

Können Sie Kritik an einem Deeskalationstraining, wie Sie es anbieten, nachvollziehen? Also spitz formuliert heißt es ja schon, dass man die Deeskalation im Krankenhaus doch lieber Profis wie Mitarbeitenden von Sicherheitsdiensten überlassen sollte.

Ja, das kann ich absolut nachvollziehen. Allerdings nur mit der Sicht von außen. Wenn man sich mit der Materie beschäftigt, dann weiß man, dass man das Problem gar nicht outsourcen kann. Seien wir mal ehrlich: Jeder Klinikleiter oder Geschäftsführer weiß, dass Sicherheitsdienste ein unfassbar hoher Kostenfaktor sind und sie trotzdem nicht gleichzeitig vor jeder Tür stehen können. Insofern bin ich ein Freund davon, den Beschäftigten selbst die Kompetenzen beizubringen als dass sie auf Hilfe warten, die vielleicht nicht rechtzeitig kommt. Was wir machen, ist eigentlich Hilfe zur Selbsthilfe. Und die Evaluation zur Wirkung des Deeskalationstrainings an den DRK Kliniken Berlin zeigt das auch. Die Mitarbeiter sind dankbar dafür, sie fühlen sich sicherer. Seit ich die Zahlen der Umfrage kenne, denke ich, dass man gegen diese Deeskalationsmaßnahme auch nicht mehr so viel sagen kann. Es zeigt doch, was das Training mit den Teilnehmern macht. Und das ist es doch, worauf man im Endeffekt hören sollte.

Einblicke von weiteren Akteuren im Gesundheitswesen

Die Zunahme der physischen und psychischen Gewalt in Kliniken beschäftigt mehr und mehr Akteure des Gesundheitswesens. Ursachen und Lösungen sehen aber nicht für alle gleich aus. kma hat mehrere Verbände um Statements gebeten.

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Rettungsdienste setzen sich tagtäglich für das Leben und die Gesundheit anderer Menschen ein. Umso besorgniserregender ist es, dass sie dabei immer häufiger zur Zielscheibe von Gewalt werden. Die Zahl der Übergriffe steigt gerade in Kliniken und Notaufnahmen seit Jahren deutlich an. Das ist eine alarmierende Entwicklung, der wir entschieden entgegentreten müssen. Wer in einem Krankenhaus arbeitet, hat selbstverständlich Anspruch auf einen Arbeitsplatz frei von Bedrohung, Aggression und Gewalt. Hier steht die Politik in der Pflicht. Wir brauchen flächendeckende Schutzkonzepte für Krankenhäuser – dazu gehören bei Bedarf auch Polizeipräsenz und staatlich finanzierte Sicherheitsdienste. Angriffe auf medizinisches Personal müssen konsequent und unmittelbar verfolgt und geahndet werden. Krankenhäuser, Notaufnahmen und Arztpraxen sind Orte der Heilung, keine rechtsfreien Räume. Wer Helfende angreift, greift das Fundament unserer Gesundheitsversorgung an. Dem muss der Staat entschieden entgegentreten.

Dr. Mareike Adler, Referentin Psychologie bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW): Unternehmen müssen für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten sorgen. Dazu gehört auch, sie bestmöglich vor Gewalt zu schützen. Für Kliniken heißt das: Es ist sinnvoll, ein Gewaltschutzkonzept zur Prävention und zum Umgang mit Gewalt sowie zur Nachsorge zu entwickeln und umzusetzen. Das Risiko für Gewaltvorfälle ist dort hoch, wo sich Menschen in psychischen Ausnahmesituationen befinden. In Kliniken sind in besonderem Maße Notaufnahmen betroffen. Gefährdet sind die Beschäftigten in engem Kontakt mit Patientinnen und Patienten. Äußere Einflüsse verstärken diesen Effekt. So ist beispielsweise bei steigenden Temperaturen im Sommer eine Zunahme an Aggression zu erwarten. Sind aufgrund von Hitzefolgen zudem mehr Patientinnen und Patienten zu versorgen, steigt das Arbeitsaufkommen für Beschäftigte – und auch die Wartezeiten. Daher ist es umso wichtiger, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und Maßnahmen umzusetzen. Eine Hilfestellung bietet der Mindeststandard für Notaufnahmen der BGW.

Andreas Tyzak, Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD): Gewalt ist ein Thema, das leider zum Alltag vieler Mitarbeitender im Krankenhaus oder den Rettungsdiensten gehört – bei uns insbesondere in Notaufnahmen, der Psychiatrie oder Geriatrie. Die Belastung durch aggressive Verhaltensweisen bedarf stets einer individuellen Aufmerksamkeit. Als Verband nehmen wir wahr, dass das Thema regional von ganz unterschiedlicher Relevanz ist. Es ist daher aus unserer Sicht immer individuell zu schauen, welche Maßnahmen zielgerichtet zum Schutz der Mitarbeitenden notwendig sind, da der Grund von Gewalt in der Erkrankung der Patienten bis zur Unzufriedenheit von Angehörigen liegen kann. Unsere Einrichtungen berichten, dass Personalschulungen zur Deeskalation bzw. zur Verteidigung weit verbreitet sind. Daneben sind individuelle Schutzkonzepte erstellt, die den Rückzug von Personal ermöglichen oder sich mit der Frage beschäftigen, wie Personal in Gefahrensituationen hinzugerufen werden kann. Wir würden uns freuen, wenn wir in der Gesellschaft insgesamt wieder zu mehr toleranten Verhalten miteinander kämen. Branchenweite Lösungen und konkrete Anforderungen an jedes einzelne Krankenhaus sind aus unserer Sicht derzeit zu dieser Problematik nicht sinnvoll. 

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