„Vor Corona waren wir gut einmal pro Woche im Klinikum, zurzeit kommt das viel seltener vor“, sagt Hümeyra Aydin, die als medizinische Fachangestellte arbeitet und auch bei ihrem Ehrenamt ganz bewusst ihr Kopftuch trägt. Wenn sie gerufen werden, liegen meist Patienten im Sterben, und dann ist ihre spirituelle Betreuung gefragt. Oder es geht um die Entscheidung, ob und wann lebenserhaltende Maschinen abgestellt werden dürfen. Dann beschreibt Aydin die Optionen, erklärt, was die verschiedenen Gelehrten sagen. „Es gibt nie die eine richtige Antwort“, sagt die 43-Jährige, „es ist immer eine individuelle Gewissensentscheidung.“ Ihr Einsatz hilft Menschen in Extremsituationen, etwa dem 18-Jährigen, der einen Herzstillstand hatte, oder dem Ehepaar, das sie nach einer Totgeburt betreut haben. Und manchmal klingelt ihr Telefon auch mitten in der Nacht, wie nach dem Tod einer muslimischen Nigerianerin, die nach einer Routineoperation starb und fünf völlig verstörte Kinder zurückließ. Da sind Hümeyra und Selcuk Aydin zusammen ins Klinikum gefahren und haben ihnen beigestanden. Genauso würden sie auch Mitarbeitern des Hauses helfen, wenn die ihren Rat oder einfach jemanden zum Reden brauchen. Ihre Telefonnummer hängt im Haus aus, auch ein Flyer informiert über das Angebot.
Nicht nur „Friede, Freude, Eierkuchen“
Hinter all dem steht auch das harte Ringen um Personal, insbesondere Pflegekräfte. „Wir müssen uns unterscheiden“, betont Barth, „in der Region konkurrieren wir auch mit Krankenhäusern in Stuttgart.“ Ohne die Kollegen aus dem Ausland geht es nicht, „das wissen auch die Stamm-Mitarbeiter und lassen sich darauf ein“, sagt Barth: „Wir haben keine Alternative.“ OP-Schwester Mirella Schlei hat die Kollegen im Klinikum von Anfang an als „sehr offen, herzlich und hilfsbereit“ erlebt. „Die wissen, wie man mit Ausländern umgeht. Sie können gut erklären und haben viel Geduld“, sagt Schlei und schmunzelt. Berührungsängste kennt sie nicht: „Ich weiß, dass ich im Haus jeden ansprechen und fragen kann.“ Einen wichtigen Ansprechpartner hatte sie in ihrem damaligen Bereichsleiter. Er vermittelte sie auch von ihrer ersten Einsatzstelle in einem großen OP, auf der sie nicht wirklich glücklich war, auf ihre jetzige Station.
Das ist ein Vorteil des Ludwigsburger Hauses, das mit mehr als 1000 Betten das größte im RKH-Verbund ist: „Wir können jemanden auch intern versetzen, wenn die Chemie einmal nicht stimmt“, bestätigt Steffen Barth. Den Eindruck von „Friede, Freude, Eierkuchen“ jedenfalls mag er nicht vermitteln. Denn da sind auch immer mal wieder die Patienten, die nach einer deutschen Pflegekraft verlangen. Dann versucht das Team zu vermitteln, den Druck rauszunehmen. „Oft hilft es, von Anfang an offen miteinander zu sein“, sagt Barth. Alle Neueinsteiger tragen ein Namensschild mit dem Hinweis „Mitarbeiter in Anerkennung“, und Barth ermuntert sie, ihre Situation aktiv anzusprechen: „Wir brauchen manchmal noch etwas länger, bitte reden Sie langsamer mit uns, und wiederholen Sie das Gesagte.“ Wenn die Patienten Bescheid wüssten, könnten alle von der Situation profitieren, ist Barth überzeugt. Bei einem der monatlichen Treffen sei kürzlich die Idee entstanden, das Namensschild um einen Aufkleber zu ergänzen: „Bitte reden Sie langsamer mit mir.“ Barth will das jetzt einmal versuchen, freiwillig, versteht sich. Mirella Schlei jedenfalls erlebt die meisten Patienten als freundlich und herzlich: „Sie reden mit mir und stellen auch Fragen“, sagt sie: „Ich habe den Eindruck, die Deutschen mögen Brasilien.“
Wohnungen für Klinikbeschäftigte
Neben der Sprache geht es bei Barths Treffen meist auch um das Thema Wohnen. Das Klinikum Ludwigsburg hat gleich mehrere Häuser, um Beschäftigte unterzubringen. Zentral gelegen, in Fußwegnähe zur Klinik – „das ist ein Luxus“, sagt Barth. Die Gruppe der neuen Brasilianerinnen etwa wohnt derzeit zusammen in Vierer- und Dreier-WGs. Nach ein paar Monaten können sie in Einzelapartments in ein Haus umziehen, in dem Kollegen verschiedener Kulturen leben – Bosnier und Kroaten etwa, Serben, Ägypter, Rumänen, Griechen genauso wie Marokkaner, Türken und Deutsche. Auch Mirella Schlei wohnt seit ihrem Start in Ludwigsburg in einem Haus, das den RKH-Kliniken gehört. „Eine schöne Wohnung und günstig“, sagt sie. Dass viele ihrer Kolleginnen ihre Familien nach Ludwigsburg nachholen möchten und sich dafür größere Wohnungen wünschen, hört Steffen Barth jetzt öfter. Doch da muss er passen: „Das können wir nicht gewährleisten, sondern können nur bei der Suche helfen.“
Apropos helfen: Auf sogenannten Dolmetscherlisten, die ausgehängt werden und im Intranet der Klinik zu finden sind, bieten zahlreiche Mitarbeiter Hilfe in ihrer Muttersprache an – für Kollegen und Patienten. „Eine gelungene Integration ist eine Gemeinschaftsaufgabe“, betont Steffen Barth, „aber das Engagement aller Mitarbeiter lohnt sich.“ Auch Mirella Schlei hilft gern. Die Neuen aus Brasilien haben ihre Telefonnummer, können sich melden, wenn sie ihren Rat brauchen. Genau wie eine Personalvermittlerin, mit der das Klinikum seit Jahren zusammenarbeitet und die Schlei seit ihrem Neustart in Ludwigsburg sehr unterstützt hat. Für Schlei selbst steht fest, dass sie langfristig in Deutschland bleiben möchte. Zurück nach Brasilien zieht es sie jedenfalls nicht, erst recht nicht, nachdem sie ihren neuen Freund kennengelernt hat. Die Familie wächst…





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